„Downton Abbey“ als Soap Opera

Vor ein paar Tagen habe ich die dritte Staffel von „Downton Abbey“ zu Ende angeschaut. Wie auch schon nach der ersten und zweiten Staffel bin ich von dieser Serie weiterhin sehr fasziniert. Ich war vorher schon ein großer Fan von  Robert Altmans Film „Gosford Park“, der ebenso wie „Downton Abbey“ von Julian Fellowes geschrieben wurde und eigentlich genau die gleiche Thematik behandelt. Zwar spielt der Film im November 1932, also zwei Jahrhrzehnte später als die erste Folge von „Downton Abbey“, doch zeigt auch er anhand der auf einem Landhaus versammelten Gesellschaft aus Adeligen und ihren Dienern ein Abbild des britischen Klassensystems.

Während „Gosford Park“ zumindest vordergründig als Murder Mystery daherkommt, ist „Downton Abbey“ ganz klar von den klassischen Elementen einer Soap Opera geprägt. Zu diesen gehört beispielsweise, dass die Handlung fast ausschließlich über Gespräche vorrangetrieben wird; Actionszenen oder aufwändige Außenaufnahmen gibt es nicht zu sehen, dafür aber Menschen, die miteinander reden. Dafür eignet sich ein zentraler Schauplatz, an dem sich die Serie abspielt und an dem alle Hauptfiguren immer wieder versammelt sind, natürlich hervorragend,  sei dieser nun ein Krankenhaus, eine Wohngemeinschaft oder wie im Fall von „Downton Abbey“ ein aristokratischer Landsitz, auf dem etwa zwei Dutzend Menschen wohnen, zum Teil auch arbeiten oder jedenfalls regelmäßig dort zu Gast sind. Die Unterhaltungen der Protagonisten drehen sich dabei fast immer um deren persönliche Probleme. Soaps erzählen nicht von großen Kriegen und außergewöhnlichen, weltpolitischen Ereignissen, jedenfalls erzählen sie nicht direkt von ihnen. Denn all das kann in ihnen schon zum Thema werden, jedoch nur insoweit es für die Figuren der Soap von Bedeutung ist. So erzählt „Downton Abbey“ etwas über den ersten Weltkrieg, nimmt seine Zuschauer aber nicht mit ins Kampfgeschehen. Stattdessen wird der Krieg sozusagen nach Downton geholt und es werden seine Konsequenzen für die Zuhausegebliebenen zum Thema gemacht.

Ein weiteres wichtiges Merkmal von Soaps ist ihre prinzipielle Endlosigkeit. In der heutigen Serienwelt, in der sich Genres und Erzählformen immer mehr vermischen, ist dies vielleicht gar nicht mehr so klar erkennbar (auch „Downton Abbey“ widerspricht in einigen seiner Merkmale dem klassischen Soap-Schema), doch im Kern sind Soap Operas Geschichten, die sich endlos fortsetzen lassen. Für Daily Soaps, die in manchen Fällen jahrzehntelang vier oder fünf neue Folgen pro Woche hervorbringen müssen, ist dieses Charakteristikum geradezu überlebensnotwendig. Diese Endlosigkeit wird über eben jene kleinen und größeren Probleme hergestellt, über die die Figuren Episode für Episode reden. Während (Kino-)Filme, die in zwei Stunden eine abgeschlossene Geschichte erzählen, klar auf die Lösung der zu Beginn ihrer Handlung eingeführten Problemstellungen hinarbeiten und sie zum Schluss auch erreichen können, nehmen Soap Operas die Lösung von Problemen immer wieder zum Anlass für neue Probleme. In diesem Sinne ist hier eine Lösung niemals eine Lösung, sondern stets nur ein vorrübergehendes Ende. Zwar träumen die Charaktere (und mit ihnen die Zuschauer) davon, dass sich all die Krisen irgendwann auflösen und sie frei von Sorgen leben können, doch genau dieser Zustand wäre in diesem Fall das Ende der Erzählung. Dann bliebe nur noch ein „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“. Verbrechen, Ehekrisen, krumme Geschäfte, drohender Bankrott usw. werden in Soap Operas immer nur so zu einem Schluss gebracht, dass sich daran direkt die nächste Krise anschließen lässt. Auflösungen werden nur auf Zeit geboten, Stillstand gibt es nicht.

Sehr schön lässt sich dies an Hochzeiten verdeutlichen: In Liebesfilmen wird meist auf die Hochzeit hin erzählt und die Zuschauer sind glücklich, wenn sich das Liebespaar am Ende des Films endlich „gekriegt hat“ und die Glückseligkeit dann mit der Heirat ihren höchsten, finalen Punkt erreicht. Für Soap Operas wäre eine solche Funktion der Hochzeit dagegen fatal, da damit ein wirklicher Schlusspunkt erreicht wäre. Das Paar darf nach der Hochzeit eben nicht glücklich bis an sein Lebensende zusammen leben, diesen Luxus können sich nur Filme leisten, die aber den unfairen Vorteil haben, einfach zum Abspann übergehen zu können und nicht weiter erzählen müssen. In Soap Operas hält das frische Eheglück nie lange an. Sehr bald entdeckt die eben noch so glückliche Braut, dass ihr Mann ihr untreu ist. Oder dass er Drogen nimmt. Oder ein Kind aus einer früheren Beziehung vor ihr geheim hält. Oder der Mann hegt plötzlich große Zweifel and dem geschlossenen Bund fürs Leben, weil er eigentlich in eine andere verliebt ist. Die Möglichkeiten sind vielfältig und was Hochzeiten angeht, macht auch „Downton Abbey“ in der dritten Staffel mehrmals von ihnen Gebrauch.

Es ließen sich noch weitere Merkmale aufzählen, aber ich will hier keine medienwissenschaftliche Arbeit schreiben. Tatsache ist, dass „Downton Abbey“ in vielen Punkten genau dem klassischen Soap-Schema enstpricht. Die beiden genannten – die Fokussierung auf das Persönliche und auf persönliche Gespräche, sowie die Krise als Normalzustand und als Motor der Erzählung – gehören dazu. Interessanterweise verbindet „Downton Abbey“ diese Soap-Merkmale aber mit einigen anderen Merkmalen, die ganz und gar nicht zu einer Soap Opera passen wollen und schafft so eine (neue?) Mischform. Vor allem die Tatsache, dass nicht Tag für Tag oder Woche für Woche neue Episoden produziert werden, sticht dabei ins Auge (dennoch steht in der Serie nie etwas still, anders als andere aktuelle Serien wie etwa „Mad Men“ leistet sich „Downton Abbey“ zu keinem Zeitpunkt den Luxus eines langsames Erzähltempos). Dazu kommt, dass die schauspielerischen Leistungen weit über das Niveau hinausgehen, wie man es zumindest von einer konventionellen Daily Soap erwartet. Sicherlich ist auch dies ein Teil des weltweiten Erfolges der Serie. Die One-Liner, die Julian Fellowes Maggie Smiths Figur mindestens einmal pro Folge in den Mund legt, wären aus dem Mund einer anderen Schauspielerin etwa bestimmt nicht so zum Brüllen komisch (für mich zählen sie zu den Höhepunkten der Serie!).

Shirley MacLaine, die in der dritten Staffel eine Gastrolle spielt, äußert in einer der Dokumentationen auf den DVDs die Vermutung, der Erfolg der Serie läge auch in ihrem Erzähltempo begründet, das den Gewohnheiten der heutigen Internetgeneration entspricht. Tatsächlich ist mir – gerade im Vergleich zu anderen aktuellen Serien – der schnelle Wechsel an Szenen auch schon aufgefallen. Die Serie erzählt in jeder Folge mehrere parallele Handlungsstränge und schneidet dabei im gefühlten Minutentakt von einer Gesprächsszene zur nächsten, wobei meist direkt und ohne Erklärung mitten ins Thema eingestiegen wird. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das etwas Neues ist; vielmehr scheint es mir ein generelles Soap-Merkmal zu sein, dass man von modernen Serien vielleicht nur kaum noch gewohnt ist; hier wäre eine tiefergehende Analyse sicherlich interessant.

„Downton Abbey“ scheint also eine höchst interessante Verbindung neuer und alter Formen zu sein (und nicht nur neuer und alter, schließlich verbindet es auch die als kulturell wenig wertvoll angesehen Soap Operas mit den modernen, „sophisticated“ Serien, wo Schauspiel, Ausstattung usw. nur vom Feinsten sind). Ich bin schon gespannt auf das letztjährige 90minütige Christmas Special der Serie, das die Handlung nach der dritten Staffel weiterführt und das ich mir demnächst ansehen werde. Leider habe ich von entscheidenden Entwicklungen der Handlung schon gelesen und bin in diesem Sinne massiv gespoilert, doch vor dem Hintergrund meiner obigen Ausführunge muss es eigentlich klar sein, dass die Crawleys Weihnachten nicht in Glück und Frieden verbringen können, sondern dass die Handlung für alle Figuren erneut ein Wechselbad der Gefühle bereithält.