Heute ist der letzte Tag des 30. DOK.fest München. Ich habe es zwar gestern und heute nicht mehr ins Kino geschafft, möchte aber noch einmal über ein paar Filme bloggen, die ich auf dem DOK.fest gesehen habe.
Zunächst ist da „Elephant’s Dream“, sicherlich einer der am besten aussehendsten Filme des Festivals. Der Belgier Kristof Bilsen, der hier den Alltag in Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo portaitiert, bringt wunderschön komponierte Einstellungen auf die Leinwand. Sein Film zeigt die andere Seite des Kongo, an die man nicht zuerst denkt, wenn man den Namen dieses Landes liest. Man sieht also in „Elephant’s Dream“ keine Soldaten und Gewehre, keine Unruhen oder bürgerkriegsähnliche Zustände. Ganz im Gegenteil ist dies sogar ein äußerst ruhiger Film. Das liegt zum einen an seinem Inhalt, denn die hier in den Mittelpunkt gerückten Personen haben gemeinsam, dass sie alle nicht besonders viel zu tun haben. Die Postbeamtin sitzt den ganzen Tag über hinter einer Glasscheibe an ihrem Schalter; selten bringt jemand einen Brief zu ihr. Der Bahnhofswärter sitzt neben den Gleisen, nur selten fährt mal ein Zug vorbei. Was genau hier die Hintergründe sind, warum also diese Menschen anscheinend zwar Berufe, aber trotzdem nichts zu tun haben, das erfährt man entweder nicht oder ich habe es in meiner Konzentration auf die schönen Bilder nicht mitbekommen. Und diese Bilder sind der zweite Grund, warum der Film so ruhig ist. Statt Handkamera setzt Bilsen auf Stativaufnahmen, statt vieler Schnitte auf lange Einstellungen.
Diese Inszenierungsweise gibt dem Film und seinen Zuschauern immer wieder die Gelegenheit, inne zu halten um zu staunen oder auch um sich zu wundern. Sie macht aber auch deutlich, dass die Grenzen zwischen Dokumentation und Spielfilm fließend sind. Bilsen geht im Publikumsgespräch nach der Vorführung darauf ein, wie wichtig ihm die Ästhetik des Films war und dass die Einstellungen und Perspektiven, mit denen er seine Motive in Szene setzt, ganz bewusst gewählt sind (zudem erwähnt er, dass er auch das Sounddesign ganz bewusst gestaltet hat). Das ist natürlich bei anderen Dokumentationen auch der Fall, aber hier spielt sich die Inszenierungsweise eben sehr in den Vordergrund. Das ist an sich nichts Negatives und ich habe den Film auch sehr genossen. Allzu viel über den Kongo habe ich hier aber nicht erfahren.
Auch Regisseurin Carolin Genreith reißt in „Das Golddorf“ ein interessantes, ja brisantes Thema zumindest an: Asylbewerber in Deutschland. Der Ansatz, den sie gewählt hat ist eigentlich äußerst geschickt. Sie schildert den Alltag einiger Asylbewerber, die in einem Gasthaus im idyllischen Bergen im Chiemgau untergebracht sind und versucht, vor allem das Aufeinandertreffen von Einwohnern und Einwanderern in den Blick zu nehmen. Das gelingt auch immer wieder recht gut und ist dann am ergiebigsten und interessantesten, wenn die traditionsbewussten bayerischen Bürger aus der Perspektive der Neuankömmlinge gezeigt werden, die noch nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen. Dann gelingt es Genreith, ihren und den Blick der Zuschauer so weit zu „ver-andern“, dass einem heimische Bräuche und Selbstverständlichkeiten mit einem Mal eben nicht mehr selbstverständlich erscheinen, sondern hinterfragt werden. Das geschieht wie gesagt meistens durch die Beobachtungen der aus Afghanistan, dem Senegal oder aus anderen fernen Ländern eingewanderten Asylanten. Ein paar Mal hakt Genreith jedoch auch selbst nach, beispielsweise als sie eine junge Frau filmt, die sich auf ein Treffen des örtlichen Trachtenvereins vorbereitet. Die Frau erklärt, sie müsse sich die Haare in einer ganz bestimmten Weise flechten und nach oben stecken, eben weil dies die anderen Frauen auch alle täten und alle Frauen im Trachtenverein die gleiche Frisur haben müssten. Genreith stellt ihr mehrmals die Frage, was geschehen würde, wenn eine Frau mit einer anderen Frisur zum Treffen auftaucht und bekommt schließlich zur Antwort: Das würde sich wohl keine trauen. Ich persönlich hätte an dieser Stelle noch weiter gefragt und wissen wollen, was denn in der Vorstellung der jungen Frau in einem solchen Fall wohl schlimmes passieren würde. Vielleicht hätte ich sogar versucht, sie zu überreden, mit einer „falschen“ Frisur zum Trachtenverein zu gehen und das filmen zu dürfen. Aber auch die Aussage der jungen Frau allein finde ich schon hoch interessant. Schade nur, dass Genreith nicht auch an anderen Stellen im Film so nachgehakt hat.
Anders als es die Thematik viellelicht vermuten lässt, ist „Das Golddorf“ ein erstaunlich konfliktarmer Film. Natürlich haben die Asylbewerber alle ihre Schwierigkeiten – von Heimweh über Sorgen um die in Lebensgefahr zurück gelassene Familie bis hin zu bürokratischen Schwierigkeiten. Aber wäre dieser Film ein Spielfilm, würde man ihm wohl einen zu flachen dramaturgischen Bogen und einen Mangel an Konflikten vorwerfen. Denn von Auseinandersetzungen zwischen den Dorfbewohnern und den Asylbewerbern oder gar von rassistisch motivierten Angriffen fehlt hier jede Spur. Wenn es keine gab, so ist das um so besser und es ist ja auch schön zu erfahren, dass ein solches Zusammenleben nicht immer vor allem von Konflikten geprägt sein muss. Vielleicht haben ja gerade die Dreharbeiten Genreiths dazu beigetragen, solche Konflikte abzubauen, weil sich die gefilmten und interviewten Einwohner so noch mehr mit ihren Gedanken und Gefühlen über die Neuankömmlinge auseinander setzen mussten. Wie auch immer, es ist schön, in den Begegnungen zwischen den Kulturen so viel Positives gezeigt zu bekommen. Dass dieses Zusammenleben dauerhaft so friedlich und fast problemlos abläuft wie hier dargestellt, glaube ich aber leider nicht.
Auch „Das dunkle Gen“ behandelt ein aktuelles und wichtiges Thema: Depression. Wie auch bei „Ce qu’il reste de la folie“ und „Nicht alles schlucken“ handelt es sich hierbei um einen der Filme, die psychische Krankheiten, deren Konsequenzen und den Umgang mit ihnen zum Inhalt haben. Die Filmemacher Miriam Jakobs und Gerhard Schick begleiten in „Das dunkle Gen“ den selbst an Depression erkrankten Protagonsten Frank S. bei seinen Versuchen, den möglicherweise genetischen Ursachen der Depression auf den Grund zu gehen. Nun habe ich mir von dem Film keine endgültige Antwort auf die Frage erwartet, ob es denn ein „dunkles Gen“ gebe, wo genau im menschlichen Erbgut also die Anlagen zur Depression liegen. Ich war dann aber doch überrascht davon, wie sehr der Film zwischen verschiedenen (nicht immer interessanten) Gedanken hin und her schlingert. Frank S., der selbst Arzt ist und dessen Interessen vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich liegen, unterhält sich im Lauf des Films mit einer Molekulargenetikerin, einem Bildhauer, einer Komponistin und mehreren weiteren Wissenschaftlern. Der Zusammenhang wird hier nicht immer ganz klar und liegt wohl einzig in den Interessen des Protagonisten begründet. Und so ist „Das dunkle Gen“ auch kein Film, der Antworten liefert, sondern eher einer, der einen an Depression erkrankten Menschen auf seiner Reise der Genesung begleitet. Dabei ist manches interessant, manches weniger und mit Depression hat der Film mit zunehmendem Verlauf immer weniger zu tun. Dies spiegelt vielleicht die zunehmende Genesung von Frank S. wieder, macht den Film allerdings auch für den am Thema Depression interessierten Zuschauer zunehmend unbefriedigend. Auffallend ist, dass die beiden großen deutschen Festivalbeiträge zur Thematik – „Das dunkle Gen“ und „Nicht alles schlucken“ – die Psychotherapie weitgehend ausblenden und sich auf andere Aspekte im Zusammenhang mit psychischen Krankheiten konzentrieren. („Das dunkle Gen“ startet am 11.06. regulär in den deutschen Kinos und auch „Nicht alles schlucken“ wird im Rahmen einer großen Kinotour noch in weiteren Kinos in ganz Deutschland zu sehen sein.)