Filmfest München: „Les Fauves“, „Leid und Herrlichkeit“, „Memory – The Origins of Alien“

Nach meinen ersten beiden Filmen ging es am Freitag und Samstag für mich mit drei Filmen weiter, die rücklickend eines gemeinsam haben: Es geht in ihnen ums Erzählen von Geschichten, um Mythologie.

Depp & LafitteDer erste davon heißt „Les Fauves“, kommt aus Frankreich und lässt sich – wie uns vor Beginn der Vorstellung mitgeteilt wurde – nur äußerst schwer einem Genre zuordnen. Horror, Erotik, Thriller, Teenie-Film – von allem ist ein bisschen was dabei und gleichzeitg geht der Film über all das hinaus. Auch dabei ist Lily-Rose Depp, die Tochter von Johnny Depp. In einem anderen Film sei sie ihm aufgefallen, erzählt der Regisseur Vincent Mariette nach Filmende dem Publikum und ihm sofort als richtige Besetzung der Hauptrolle erschienen. Auch wenn er diese wohl am liebsten mit der jungen Christina Ricci besetzt hätte, in die er als 17-Jähriger verliebt gewesen war. Aber Lily-Rose Depp, die dank ihrer Mutter Vanessa Paradis fließend französisch spricht, ist eine ähnlich gute Besetzung für die junge Laura, die auf einem Campingplatz in Südfrankreich nicht nur sexuelle Erfahrungen macht, sondern auch scheinbar übernatürliche. Immer wieder werden zerfetzte Tierkadaver im Wald gefunden, was die Leute als Beweis dafür sehen, dass irgendetwas in der Gegend sein Unwesen treibt.
Für eine ganze Weile habe ich den Film richtig geliebt. Nicht nur erzeugt er eine beklemmende Atmosphäre und baut sein Mysterium geschickt auf, sondern er wird ab einem gewissen Punkt der Handlung zudem ein Film über das Geschichtenerzählen selbst. Die Bedeutung von Geschichten und Mythen und deren Notwendigkeit für die Gesellschaft wird thematisiert, gleichzeitg auch die Frage, wie weit man gehen darf, um den Menschen solche Geschichten zu liefern. Noch mehr begeistert als Depp hat mich dabei Laurent Lafitte, der den mysteriösen, bedrohlichen und auf Laura anziehend wirkenden Paul spielt. Leider zerfastert der Film für meinen Geschmack zum Ende hin jedoch ein wenig, wird etwas zu konkret und verliert die wunderbare Metaebene der Geschichte aus dem Blick. Aber das ist Ansichtssache, denn er bietet durchaus noch genügend Interpretationsspielraum, um sich zu fragen, was hier real war und was nicht. Die ersten drei Viertel von „Les Fauves“ (englischer Titel: „Savage“) habe ich jedenfalls geliebt und hatte dann das Gefühl, dass mir der Schluss zu viel Denkarbeit abgenommen hat, so dass ich mich nicht weiter damit beschäftigen wollte. Schade.

BanderasWo ich gerade schon von Geschichten schreibe, die vom selbst vom Geschichtenerzählen handeln, muss ich natürlich auch auf Pedro Almodóvars neuen Film „Leid und Herrlichkeit“ eingehen. Darin spielt Antonio Banderas eine Version von Almodóvar selbst, könnte man sagen. Einen alternden – okay: alten – Filmregisseur, der von körperlichen Leiden und Gebrechen geplagt wird, schon länger keinen Film mehr gedreht hat und sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss. Vieles, aber nicht alles, was im Film vorkommt, stammt tatsächlich aus der Biographie Almodóvars, wie Banderas nach der Vorführung des Films erzählt. Vieles ist aber auch „Autofiktion“, also eine fiktive Version der eigenen Lebensgeschichte des Regisseurs. Banderas spielt seine Rolle jedenfalls großartig, weil er vor allem körperlich ganz darin aufgeht. Allein wie er mit steifem Rücken und schmerzenden Gliedmaßen langsam in ein Auto steigt ist sehenswert!
In Rückblenden gibt es die Kinheit Almodóvars, Entschuldigung die Kindheit von Salvador Mallo (so der Name von Banderas‘ Rolle) zu sehen, wodurch das Bild dieser Persönlichkeit komplettiert wird und man zudem in den Genuss weiterer großartiger Schauspielleistungen kommt (Asier Flores als junger Salvador und Penélope Cruz als seine Mutter). „Leid und Herrlichkeit“ hat mir mit seiner Mischung aus komödiantischen und tragischen Elementen in typischer Almodóvar-Manier sehr gut gefallen.

Auch beim dritten Film in diesem Blogpost bleibe ich bei Thema „Geschichten über Geschichten erzählen“. Alexandre O. Philippe hat bereits die Dokumentation „The People vs. George Lucas“ sowie einen ganzen Film über die Duschszene in Hitchcocks „Psycho“ gedreht. Für seine neueste Doku „Memory – The Origins of Alien“ hat er sich wieder eine der ganz großen in Filmform erzählten Geschichten zum Thema genommen: „Alien“ von Ridley Scott. Ich war skeptisch, bevor der Film losging. Denn mal ehrlich, was soll man über einen vierzig Jahre alten Klassiker noch Neues sagen, über den es umfangreiche Bücher und sehr gute Making-of-Dokumentationen gibt? Als „Alien“-Fan kenne ich die Entstehungsgeschichte dieses Films bereits sehr gut und habe einige der damit verbundenen Anekdoten schon mehrmals gehört. Gleichzeitig konnte ich als „Alien“-Fan trotz meiner Skepsis aber natürlich doch nicht anders, als mir eine Karte für „Memory“ zu holen. Und tatsächlich, meine Zweifel gegenüber der Daseinsberechtigung von Philippes Film wurden größtenteils zerstreut.
O'BannonDer Film schafft es nämlich, eine Geschichte über „Alien“ zu erzählen, die über das hinausgeht, was man eben von den DVD bzw. Blu-rays oder etwa aus Dokumentationen über H.R. Giger schon kennt. Dabei besinnt er sich tatsächlich auf die „Origins“, also Ursprünge der Geschichte und beginnt ganz am Anfang bei Dan O. Bannon, in dessen Ideen und Konzepten das Drehbuch zu „Alien“ seinen Anfang hatte. Neu war mir zum Beispiel, dass O’Bannon an Morbus Crohn litt, also einer chronischen Darmerkrankung und dass es durchaus möglich ist, dass dies als Teil seiner Inspiration für das im Körper eines Menschen schlummernde und plötzlich herausbrechende Alien war. Auch auf H.R. Giger und (in geringerem Umfang) auf Ridley Scott wird im Film eingegangen, schließlich haben der Künstler und der Regisseur beide maßgeblich zum Film beigetragen.
Auch mythologische und kunstgeschichtliche Ursprünge des Films werden beleuchtet, wobei insbesondere die Namen Francis Bacon und H.P. Lovecraft von Bedeutung sind. Zum Glück verlässt sich Philippe weitestgehend nicht auf alte, bereits bekannte Interviews mit den Beteiligten, sondern hat – soweit dies möglich war – neue Interviews beispielsweise mit den Darstellern Veronica Cartwright und Tom Skerrit geführt. O’Bannon und Giger sind leider bereits verstorben und von Sigourney Weaver oder Ridley Scott findet man im Film leider keine neuen Aussagen. Sigourney Weaver ist natürlich ein paar Mal in Filmszenen zu sehen, wird ansonsten aber gar nicht erwähnt, womit zumindest ein wichtiger Einfluss auf den Film vollkommen außen vor bleibt. Auf die 1979 überraschende Tatsache, dass die Hauptfigur weiblich ist, wird hier jedenfalls nicht eingegangen. Trotzdem bietet „Memory“ auch hartgesottenen Fans noch den einen oder anderen Informations- bzw. Interpretationshappen, den sie noch nicht gehört haben dürften.

„Les Fauves“ wird noch einmal am 6. Juli auf dem Filmfest gezeigt. „Leid und Herrlichkeit“ läuft noch einmal am 4. Juli (hierfür gibt es aber wenn überhaupt nur noch Restkarten). Die beiden Vorstellungen von „Memory“ sind leider bereits vorüber.

Copyright Bilder: Filmfest München

Filmfest München 2019: „Maggie“ & „Los Tiburones“

Heute hat das 37. Filmfest München begonnen und ich nehme das mal zum Anlass, endlich diesen vernachlässigten Blog zu reaktivieren. Während des Filmfestes wird es also von mir hier ein paar Beiträge geben; hoffentlich werde ich auch danach wieder regelmäßig bloggen.

Mein Filmfest ging heute mit einem Fehlstart los. Ich wollte mir nämlich um 9 Uhr in der Früh den Eröffnungsfilm „The Art of Self-Defense“ in der Pressevorführung anschauen. Gewohnheitsmäßig bin ich dafür ins City/Atelier-Kino an der Sonnenstraße gefahren, das von meiner Wohnung so schnell erreichbar ist und wo die meisten der Pressevorstellungen stattfinden. Aber eben nur die meisten! Kurz vor meiner Ankunft musste ich bei einem Blick ins Programm nämlich feststellen, dass genau diese eine Vorstellung im Festivalzentrum im Gasteig stattfand. Dort noch rechtzeitig zum Filmbeginn hin zu kommen, war leider nicjt nicht mehr möglich. Also bin ich erst einmal wieder nach Hause gefahren.

Dort habe ich als Akkreditierter von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, mir einige der Filmfest-Filme zu Hause per Stream anzuschauen. Mit dem Laptop auf dem Bett liegend habe ich so den koreanischen Independent-Film „Maggie“ von Ok-seop Yi gesehen. Ein richtiges Kinoerlebnis ist das natürlich nicht und ich habe mich immer wieder durch mein Smartphone ablenken lassen, was mir im Kino nie passieren würde.

Maggie - SzenenbildIn „Maggie“ geht es um eine junge Krankenschwester (Ju-young Lee), die Grund zu der Annahme hat, dass sie und ihr Freund auf dem plötzlich im Krankenhaus aufgetauchten Röntgenbild zu sehen sind, das ein Paar beim Sex zeigt. Als wäre dies nicht schon absurd genug, taucht auch noch ein die Geschichte erzählender Wels auf, der in einem Aquarium im Krankenhaus lebt. Und dann beginnen sich über die gesamte Stadt verteilt riesige Sinklöcher zu bilden…

Wie das alles genau zusammen hängt, will ich hier gar nicht verraten. Ich könnte es auch gar nicht, denn wie so oft im asiatischen Kino wird in „Maggie“ nichts zu Ende erklärt. Der Film vermittelt stattdessen Stimmungsbilder und Gefühle – Einsamkeit, die Sehnsucht nach Nähe und Verbindung und mehr. Die eigentliche Geschichte ist gar nicht so wichtig. Dass der Film dadurch keine wirklich greifbare Handlung hat und man sich viel selbst zusammenreimen bzw. dazu denken muss, mag den einen oder anderen abschrecken. Gleichzeitig macht es den Film aber auch leichter zugänglich, sofern man bereit ist, sich auf diese Erzählweise einzulassen.

Abends ging es dann endlich richtig los für mich. Um 18 Uhr stand in der Hochschule für Film und Fernsehen die Vorführung des argentinischen Independentfilms „Los Tiburones“ an. Der Saal war nur sehr spärlich besucht, vielleicht waren viele Münchner einfach noch nicht in Filmfest-Stimmung. Im Mittelpunkt des Regiedebüts von Lucía Garibaldi steht die 14-jährige Rosina (Romina Bentancur), die mit ihrer Familie in einem Dorf in Uruguay lebt. An der Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsensein ist sie von Sex und allen anderen Dingen, die das Leben der Erwachsenen ausmachen, ebenso fasziniert wie eingeschüchtert. Ein etwas schmierig wirkender Typ, der für Rosinas Vater arbeitet, versucht sich Los Tiburones - Szenenbildimmer wieder plump an sie heran zu machen. Er scheint damit Erfolg zu haben, doch wohl nur, weil es Rosina an anderen Optionen mangelt und ihre Neugier auf das faszinierende Unbekannte zu groß ist. Schließlich sind da noch die titelgebenden Haie, die Rosina im Meer gesichtet haben will.

Genau eine Szene gibt es in „Los Tiburones“ die stark an Steven Spielberg erinnert. Darin beschließen die am Strand zusammen stehenden Dorfbewohner, den Hai zu jagen und zu töten. Ansonsten nimmt dieser Handlungsstrang gar keinen so großen Raum ein, wie man glauben könnte. Womöglich ist der Hai hier gar kein Hai, sondern vielmehr ein Symbol für all das, was Rosina im Kopf herumgeht – Erwachsenwerden, Männer, Sex,… Genau wie diese ihr größtenteils noch unbekannten Seiten des Lebens ist nämlich auch der Hai faszinierend und furchteinflößend zugleich.

Im Gesicht der Hauptdarstellerin spiegeln sich den ganzen Film über ihre Reaktionen auf die Ereignisse um sie herum. Allzu viel passiert auch in diesem Film nicht, aber immerhin passt er mit seinen glühend heißen Bildern von Sonne, Strand und Meer bestens zur Stimmung, die auch auf Deutschlands sonnigstem Filmfestival herrscht.

„Maggie“ wird noch dreimal auf dem Filmfest gezeigt: am 3., 4. und 5. Juli. „Los Tiburones“ läuft noch zweimal, am 4. und 6. Juli.

 

Copyright Bilder: Filmfest München

Das 36. Filmfest München 2018

Ein Hinweis in eigener Sache:

Über das Filmfest München schreibe ich dieses Jahr nicht hier auf dem Blog. Stattdessen könnt ihr mein Festivaltagebuch auf Filmszene.de lesen. Am besten speichert ihr euch den Link, weil ich das Tagebuch im Verlauf der nächsten Tage noch ein paar mal um neue Einträge erweitern werde.
Auf Twitter werde ich euch jedes Mal sofort informieren, wenn das Festivaltagebuch aktualisiert worden ist.

Viel Spaß beim Lesen!

Filmfest München: „78/52“, „David Lynch: The Art Life“, „The Man“, „Brigsby Bear“

Das 35. Filmfest München ist vorbei. Es waren wieder wunderbare neun Tage. Ich habe 30 Filme gesehen (vielleicht so viele wie bei keinem Festival zuvor), drei weitere Veranstaltungen besucht und auch zwei etwas ruhigere Tage eingelegt, an denen ich vor allem mit Freundinnen in Hotelbars oder vor dem Gasteig gesessen bin und gute Gespräche geführt habe. Abschließen will ich das Ganze nun mit einem letzten Blogpost, in dem ich noch einmal meine Eindrücke von ein paar der gesehenen Filmen schildere.

Ein Film, den ich natürlich sehen musste, war „78/52“. Diese Dokumentation beschäftigt sich allein mit der berühmten Duschszene in Alfred Hitchcocks „Psycho“. Regisseur Alexandre O. Philippe war vor ein paar Jahren bereits mit der (unter „Star Wars“-Fans umstrittenen) Dokumentation „The People vs. George Lucas“ auf dem Filmfest München zu Gast. Auch dieses Mal war er persönlich angereist und stand dem Publikum nach dem Film für ein Q&A zur Verfügung.
78/52Der Titel „78/52“ leitet sich aus der Länge der Duschszene (in Sekunden) und der Anzahl der Schnitte darin ab. Mit Hilfe von Interviews mit anderen Filmschaffenden und Kreativen wie Guillermo del Toro, Bret Easton Ellis, Eli Roth, Elijah Wood, Peter Bogdanovich oder Schnittlegende Walter Murch wirft Philippe nicht nur einen Blick auf den Entstehungsprozess der vielleicht berühmtesten Filmszene der Kinogeschichte, sondern arbeitet auch den enormen Einfluss heraus, den diese Szene seitdem auf das Kino hatte. Hitchcock hat damit dramaturgisch, musikalisch, schnitttechnisch und auf viele weitere Arten Neuland betreten und mit alten Konventionen gebrochen. Leider sind die meisten an der Entstehung von „Psycho“ beteiligten Personen bereits verstorben. Als einzige von ihnen hat Philippe noch eine der als Body Doubles für Janet Leigh dienenden Frauen interviewen können.
„78/52“ ist für Kino- und ganz besonders Hitchcock-Fans natürlich ein Muss. Der Film bringt einem keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse, verdeutlicht aber einmal mehr den Einfluss und die Bedeutung, die Hitchcocks Werk im Allgemeinen und „Psycho“ im Besonderen in der Filmgeschichte einnehmen. Alexandre O. Philippe hat auf dem Filmfest übrigens verraten, dass er momentan an einer Doku-Fernsehserie arbeitet, bei der in jeder Folge eine andere berühmte Filmszene behandelt werden soll. Danach werde ich auf jeden Fall die Augen offen halten.

David Lynch: The Art LifeEbenfalls in der Reihe „Lights! Camera! Action!“ wurde die Dokumentation „David Lynch: The Art Life“ gezeigt. Ich erinnere mich noch an eine andere beeindruckende Dokumentation über den Kultregisseur, die einfach den Namen „Lynch“ trug und vor zehn Jahren auf dem Filmfest gezeigt wurde. Darin konnte man David Lynch nicht nur als Filmemacher kennen lernen, sondern als Allroundkünstler, der insbesondere sehr interessante Fotos schoss. Auch in „The Art Life“ geht es nun, wie der Titel verspricht, um David Lynch als Künstler. Um seine Filme geht es hier kaum, dafür aber um sein Leben und seine Biographie. Man sieht Lynch vor allem beim Malen und beim Schaffen von Skulpturen zu. Über diese Bilder haben die Regisseure Jon Nguyen und Rick Barnes die Stimme David Lynchs gelegt, der uns aus seinem interessanten Leben erzählt. Er beginnt mit Kindheitserinnerungen und schildert dann seine Anfänge als Künstler. Ein bisschen wirkt das so, als würde man sich ein mit Bildern unterlegtes Hörbuch anhören. Es hat schon fast etwas Meditatives, einem ganz in sich und seine Kunst versunkenen David Lynch beim Malen zuzusehen. Doch dank der über diese Bilder gesprochenen autobiographischen Elemente ist der Film auch hochinteressant.

Um Kunst geht es auch in „The Man“. Der dänische Film von Regisseurin Charlotte Sieling erzählt eine Vater-Sohn-Geschichte: Simon (Søren Malling) ist ein weltweit gefeierter Künstler Mitte fünfzig. Sein Sohn Caspar (Jakob Oftebro) hat bisher bei der Mutter gelebt, taucht eines Tages aber im Atelier seines Vaters auf. Der ist gar nicht begeistert, verhält sich abweisend und unhöflich und hofft, den jungen Wilden schnell wieder los zu werden. Doch Caspar hat vor, eine Weile zu bleiben. Auch er ist Künstler, stößt mit seinen von Simon als „Grafitti“ verspotteten Werken bei diesem jedoch auf Ablehnung. Die Konfrontationen zwischen den beiden schaukeln sich mehr und mehr hoch.
The Man„The Man“ ist kein schlechter Film, aber leider auch in keiner Hinsicht besonders herausragend. Die Entwicklung der Vater-Sohn-Geschichte ist äußerst vorhersehbar und selbst die letzte, vielleicht als große Überraschung gemeinte Szene habe ich ab einem bestimmten Punkt kommen sehen. Die Charaktere wirken klischeehaft und auch die Schauspieler haben mich nicht vollends überzeugt. Ich bereue es nicht, „The Man“ angeschaut zu haben, aber viel wird davon bei mir nicht hängen bleiben.

Wesentlich interessanter fand ich da schon „Brigsby Bear“. Der amerikanische Independentfilm von Dave McCary zeigt in den ersten Minuten eine Familie, bei der scheinbar alles in Ordnung ist. Der 25-jährige James (Kyle Mooney) lebt noch bei seinen Eltern und verehrt die Fernsehserie „Brigsby Bear“, mit der er aufgewachsen ist. Erst ein paar Szenen später wird klar, dass James als Baby entführt worden ist und seitdem ein vollkommen von der Außenwelt abgeschottetes Leben bei seinen Entführern gelebt hat. „Brigsby Bear“ ist eine von seinem „Vater“ eigens für James gedrehte Science Fiction-Serie, die James nicht nur unterhalten, sondern ihm auch gute Manieren und wichtige Lebenslektionen beibringen soll. Nachdem James von der Polizei befreit und zu seinen wahren Eltern zurück gebracht worden ist, kann er zunächst nicht fassen, dass außer ihm niemand jemals von „Brigsby Bear“ gehört hat. Weil er sehnsüchtig auf neue Episoden wartet, beschließt er, einfach selbst einen „Brigsby Bear“-Film zu drehen. Dabei hat er zwar die Unterstützung seiner Schwester und einiger neu gewonnener Freunde, doch seine Eltern sehen diese Entwicklung mit Sorge und finden, ihr Sohn solle sich lieber dem (so genannten) realen Leben zuwenden.
Brigsby BearLetztes Jahr lief mit „Slash“ ein so richtig nerdiger Film auf dem Filmfest. „Brigsby Bear“ rangiert auf der Nerd-Skala zwar wohl ein paar Punkte darunter, doch auch hier geht es darum, die teilweise etwas speziellen, nerdigen Hobbies anderer Leute zu akzeptieren und zu verstehen, dass etwa das Schreiben von Slash Fiction oder die an Besessenheit grenzende Beschäftigung mit einer Fernsehserie nicht sinnloser Zeitvertreib sind. Das müssen (kleiner Spoiler!) auch James‘ Eltern mit der Zeit erkennen: während sie zunächst seine Fokussierung auf „Brigsby Bear“ wie gesagt mit Sorge betrachten und ihn zu allerlei anderen sozialen Aktivitäten drängen wollen, verstehen sie später, dass das Fandasein ihren Sohnes keineswegs in die Einsamkeit abdriften lässt. „Brigsby Bear“ ist ein charmanter kleiner Film mit gut aufgelegten Darstellern (darunter u.a. Claire Danes und Mark Hamill, der auch die Figuren in der fiktiven „Brigsby Bear“-Serie spricht). Jeder, dessen Lieblingsserie vorzeitig abgesetzt worden ist, wird James‘ Leiden nachvollziehen können. 🙂


Natürlich habe ich längst nicht über alle Filme gebloggt, die ich dieses Jahr auf dem Filmfest gesehen habe. Ich habe mich meistens auf die Filme konzentriert, die mir gefallen haben (die größte Ausnahme dabei war „Rey“, mit dem ich überhaupt nichts anfangen konnte). Es gab dieses Mal nicht den einen Film, der mir am besten gefallen hat, so wie etwa letztes Jahr „Closet Monster“ oder vor drei Jahren „Under The Skin“. Meine beiden Lieblingsfilme in diesem Jahr waren wohl „Home“ und „The Death and Life of Otto Bloom“. Darüber hinaus haben mir „The Road to Mandalay“, „Handsome Devil“, „Prinzessinnen und Drachen“ und „Überleben in Neukölln“ sehr gut gefallen.

Copyright Bilder: Filmfest München

Filmfest München: „Home“, „Wakefield“, „The Death and Life of Otto Bloom“, „Prinzessinnen und Drachen“

Sieben von neun Festivaltagen liegen hinter mir. 25 Filme habe ich schon gesehen und heute und morgen werden es noch ein paar mehr werden. Über ein paar Filme habe ich schon gebloggt (hier, hier und hier), aber bevor ich nachher wieder ins Kino muss, sollen auch hier im Blog noch ein paar Filmbesprechungen dazu kommen.

Einen der besten – ja vielleicht sogar den besten – Film meines diesjährigen Festivalprogramms habe ich am Dienstag gesehen. „Home“ ist ein belgisches Drama der Regisseurin Fien Troch, die darin die Geschichte einiger Jugendlicher schildert. Einer von ihnen, Kevin, ist soeben aus dem Jugendgefängnis entlassen worden und kommt bei seiner Tante unter. Er freundet sich mit Sammy und John an, die beide ihre eigenen Probleme haben. Mehr will ich über die Handlung gar nicht verraten. Auch wenn es zunächst den Anschein hat, der Film habe gar keine richtige Geschichte, so spitzt diese sich mit zunehmendem Verlauf doch immer mehr zu. Viele Szenen dienen allerdings ganz einfach der Etablierung der Charaktere und ihrer Lebenswelt. Dadurch wirken die Figuren so nahbar und authentisch.

HomeEin weiterer Grund dafür ist, dass Troch überwiegend Laiendarsteller gecastet hat, die sich bei den Dreharbeiten nicht streng ans Drehbuch halten mussten. Zudem basiert vieles von dem, was im Film gezeigt wird, auf eigenen Jugenderinnerungen der Regisseurin. Das Ergebnis ist ein Film, der einen mit seiner Direktheit und Natürlichkeit sehr berührt und einem das eine oder andere Mal auch einen Schlag in die Magengrube versetzt. „Home“ ist spannend, aber zum Teil auch erschreckend. Denn hier wird nichts beschönigt oder verschwiegen und Themen wie Gewalt und sexueller Missbrauch werden offen thematisiert. Das ist ganz großes, aber sicherlich nicht leicht verdauliches Kino.
Lockerer geht es da schon in „Wakefield“ (Regie: Robin Swicord) zu – allerdings nur auf den ersten Blick. Der diesjährige CineMerit Award-Preisträger Bryan Cranston („Breaking Bad“) spielt darin den New Yorker Anwalt Howard Wakefield, der jeden Abend nach der Arbeit mit dem Zug nach Hause in den Vorort fährt, zurück zu seiner Frau (Jennifer Garner, „Alias“) und seinen beiden Töchtern. Eines Abends jedoch entdeckt er bei seiner Ankunft einen Waschbär vor der Garage gegenüber des Hauses. Als er das Tier verscheuchen will, flüchtet es in die Garage.Wakefield Howard folgt ihm und landet schließlich in der Abstellkammer über der Garage. Von dort hat er durch ein kleines Fenster einen guten Blick in die Küche und das Wohnzimmer seines Hauses. Weil er sich mit seiner Frau gestritten hat und einer weiteren Konfrontation aus dem Weg gehen will, macht er es sich in dem Schuppen bequem und beobachtet seine Familie aus der sicheren Distanz, bis ihn der Schlaf übermannt. Auch am nächsten Morgen traut er sich jedoch nicht, wieder ins Haus zu gehen und beginnt, sich in der Kammer über der Garage häuslich einzurichten…

So seltsam und unglaubwürdig die Situation klingen mag, so absurd und bisweilen komisch ist dann doch die sich daraus ergebende Geschichte. Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, einfach alles hinzuschmeißen und aus dem Alltag auszubrechen, fragt Howard Wakefield in einem seiner per Voice-Over vorgetragenen inneren Monologe das Publikum. Natürlich stehen hinter diesem Wunsch bei ihm tieferliegende Probleme in der Beziehung zu seiner Familie, die der Film zum Teil in Rückblenden erläutert. Auf diese Weise wird Howards Entscheidung, quasi als Obdachloser beim eigenen Haus zu leben, doch noch nachvollziehbar. Er lebt von den Essensresten, die seine Familie und die Nachbarn wegwerfen und je mehr Zeit vergeht, umso „professioneller“ wird er einerseits was diesen Lebensstil betrifft, umso weniger traut er sich allerdings auch, seiner Frau wieder gegenüber zu treten.

Der Geschichte wird ganz aus Howards Perspektive gezeigt, was u.a. bedeutet, dass man seine Familie meistens nur durch die Fenster des Hauses zu sehen bekommt, ihre Unterhaltungen aber nicht hört. Stattdessen hört man dagegen die Version dieser Unterhaltungen, die Howard sich im Kopf zurechtlegt – seine eigene Interpretation des Geschehens, die stets von seinem anfänglichen Hass auf seine Frau geprägt ist und mit der Zeit auch immer mehr davon, dass er sich in seinen Zustand mehr und mehr hineinsteigert, mit kaum jemandem mehr spricht und, nun ja, ein wenig verrückt dabei wird.

WakefieldIn gewisser Weise ist „Wakefield“ ein Gedankenexperiment, welches durchspielt, was passieren würde, wenn man sich seinen Problemen nicht stellen würde und stattdessen aus dem eigenen Leben heraustreten und zum bloßen Beobachter werden könnte. Der Film ist absurd und komisch, aber doch in sich schlüssig und Bryan Cranston überzeugt auch in der Rolle des Durchschnittstypen, die weniger Aufmerksamkeit erregend ist als seine Rollen in „Breaking Bad“ oder als Präsident Lyndon B. Johnson in „All The Way“, welcher auch auf dem Filmfest gezeigt wurde.

„Gedankenexperiment“ ist ein gutes Stichwort, das mich gleich zum nächsten Film führt. Oben habe ich „Home“ als den vielleicht besten Film meines diesjährigen Programms bezeichnet. Nun, dasselbe muss ich auch über „The Death and Life of Otto Bloom“ sagen. Dieser Film ist in der Ausführung zwar weniger spektakulär als „Home“, dafür aber voll von Kreativität und naiver Lebenslust. Es handelt sich hierbei um eine Mockumentary, also eine fiktive Dokumentation, mit der Regisseur Cris Jones seinen ersten Langfilm vorgelegt hat. Er erzählt darin die Geschichte von Otto Bloom (Xavier Samuel), der die Zeit rückwärts erlebt. Er hat also keinerlei Erinnerungen an alles Vergangene, kann sich aber an die Zukunft „erinnern“. Mit Hilfe von (gespielten) Interviewaufnahmen von Ottos Weggefährten, fiktiven dokumentarischen Aufnahmen aus dessen Leben und auch mit einigen Aufnahmen, die genau genommen mit der Form der Dokumentation brechen, erzählt Jones die Geschichte dieses Mannes.

Das Szenario wird dabei erstaunlich ernsthaft und gut durchdacht durchgespielt. Was wäre, wenn es einen solchen Menschen tatsächlich geben würde? Sein Leben wäre gewissermaßen eine Mischung aus „Benjamin Button“ und „Memento“, denn während sein Körper altert wie der aller anderen auch, bewegt sich sein Bewusstsein doch fortwährend in die andere Richtung. Die sich daraus ergebenden philosophischen uThe Death and Life of Otto Bloomnd sonstigen wissenschaftlichen Fragen sind natürlich endlos, und einige davon werden im Film auch angesprochen. Filmisch ist an „Otto Bloom“ wie bereits angedeutet nichts besonders aufregend; die Grundidee jedoch und die Konsequenz, mit der diese weiterverfolgt wird, machen den Film nicht nur zu einem wahren Vergnügen, sondern auch zu einer Geschichte, über die man noch lange nach dem Abspann nachdenkt. Der Film bringt nicht nur Vergangenheit und Zukunft zusammen, sondern betrachtet zahlreiche weitere Themen mal aus einem etwas anderen Blickwinkel: Wissenschaft, Religion, Liebe, Tod… Man entdeckt hier Zusammenhänge, die man nicht für möglich gehalten hätte und folgt gespannt der Lebensgeschichte des fiktiven Otto Bloom, als sei er tatsächlich eine reale, zeitgeschichtliche Person. „The Death and Life of Otto Bloom“ ist ein Film, über den ich noch lange nachdenken werde.

Um die ganz großen Themen des Lebens geht es auch im Festivalbeitrag „Prinzessinnen und Drachen“ („Ivan Tsarevitch et la Princesse Changeante“) von Michel Ocelot. Allerdings werden diese dort kindgerecht aufbereitet (und der Film läuft auch in der Reihe des Kinderfilmfestes). In wunderschöner Scherenschnitt-Optik erzählt der 57 Minuten lange Animationsfilm vier verschiedene Märchen aus aller Welt. Davon hat es mir vor allem die erste Geschichte angetan: Sie handelt von einer Gruppe von Menschen, die in einer Höhle leben und von Monstern bedroht werden. Nur wenn die Monster gnädig sind, lassen sie die Menschen an die Trinkwasserquelle oder zum Pilzesammeln. Ein kleines Mädchen, für das alle anderen nur Verachtung übrig haben, traut sich jedoch – unterstützt von einer Ratte – den Monstern gegenüber zu treten. Und siehe da: Tritt man ihnen entgegen und blickt ihnen in die Augen, dann werden die Monster immer kleiner und verschwinden schließlich ganz. Auf diese Weise kommt das Mädchen nicht nur an Wasser und Nahrung, sondern findet schließlich einen Weg aus der Höhle hinaus in eine Welt, die keiner der Höhlenbewohner je gesehen hat.

Die Moral dieser Geschichte ist natürlich, dass man sich seinenPrinzessinnen und Drachen Ängsten stellen muss, um sie zu überwinden. Dann sehen sie auf einmal gar nicht mehr so groß aus, wie man vorher dachte. Zugleich entdeckt man so ganz neue Welten, anstatt wie die Menschen in der Geschichte sein Leben lang in einer Höhle zu verbringen. Hätte ich Kinder, würde ich ihnen diesen Film auf jeden Fall zeigen, nicht nur wegen der wichtigen Botschaften in den Geschichten. Die Märchenerzählungen sind optisch wunderschön gestaltet und lassen sich (zumindest wenn man die Möglichkeit hat, sie zuhause anzuschauen) auch als einzelne, in sich geschlossene Kurzfilme betrachten. Wie gesagt war der erste davon meine Lieblingsepisode, und darin wiederum hatte ich eine Lieblinsszene: Die Ratte lotst das Mädchen aus der Höhle heraus, wobei jedoch eine Reihe von Monstern überwunden werden müssen. Wieder und wieder beteuert das Mädchen, dass es große Angst vor diesen habe. Und was erwidert die Ratte darauf jedes Mal? „Bien sur. Vas-y!“ („Natürlich. Geh weiter!“) Denn was bleibt einem schon anderes übrig, wenn man sich nicht von seiner Angst besiegen lassen will? Den Monstern in die Augen schauen und weitergehen! Ich wünsche mir, auch ich hätte eine kleine Ratte an meiner Seite, die mir dabei hilft…

Leider sind alle Vorführungen der vier hier besprochenen Filme auf dem Filmfest schon vorbei.

Copyright Bilder: Filmfest München

Filmfest München: „Handsome Devil“ & „Überleben in Neukölln“

Ich kann nicht mehr sitzen! Das ist mein vorläufiges Fazit vom Filmfest München. Ein Screening nach dem anderen, dazwischen „Filmmakers Live“-Panels mit Bryan Cranston und Sofia Coppola und heute morgen ein Drehbuchworkshop – irgendwann tut einem der Allerwerteste vom ständigen Sitzen nur noch weh. Wie gut, dass ich vorgestern zwischen zwei Filmvorführungen einen Spaziergang durch München gemacht habe.

Nun aber zu einigen weiteren Filmen, von denen spätestens ab dem dritten Festivaltag viele in meinem Kopf miteinander zu verschwimmen scheinen. Ich werde also mal versuchen, meine Erinnerungen an sie zu rekonstruieren. Am Samstagabend habe ich „Handsome Devil“ gesehen, eine irische Internatsgeschichte um zwei ungleiche Schüler, die sich zunächst spinnefeind sind. Ned (Fionn O’Shea) interessiert sich mehr für Musik als für Rugby und fühlt sich u.a. deswegen dem Spott vieler seiner Mitschüler ausgesetzt. Dann muss er sich auch noch ein Zimmer mit Conor (Nicholas Galitzine) teilen, der dem Rugby-Team der Schule dabei helfen soll, an alte Erfolge anzuknüpfen. Vielleicht weil sich die beiden überhaupt nicht riechen können kommt ihr engagierter Englischlehrer (Andrew Scott, bekannt als Moriarty aus „Sherlock“) auf die Idee, sie mit einem Lied zusammen bei einer örtlichen Talentshow auftreten zu lassen. Beim Proben für ihren Auftritt lernen sich Ned und Connor besser kennen. Doch der Trainer und die anderen Mitglieder des Rugbyteams sehen es gar nicht gerne, dass ihr wichtigster Spieler so viel Zeit mit Ned und der Musik verbringt.
Handsome DevilRegisseur John Butler hat die Geschichte mit viel Feingefühl inszeniert und zudem seine jungen Darteller zu wirklich großartigen, nuancierten Leistungen angetrieben. Natürlich ist die Geschichte nicht neu und ziemlich vorhersehbar, aber die beiden glaubwürdigen Hauptdarsteller und der großartige Andrew Scott machen „Handsome Devil“ ebenso sehenswert wie der mit vielen tollen Songs angereicherte Soundtrack. Dieser Festivlabeitrag stellt einmal mehr das Thema „Identität“ in den Raum und stellt Fragen wie die, ob es einem wert ist, sein wahres Selbst zu verstecken, um seine Ruhe vor der Verachtung und Belästigung durch andere zu haben. Denn mehrere der Personen in der Geschichte sind homosexuell bzw. beginnen ihre Homosexualität zu entdecken, was besonders im Umfeld eines Jungeninternats natürlich alles andere als einfach ist. „Handsome Devil“ ist ein großartiger und kurzweiliger Film, der sowohl brandaktuelle als auch zeitlose Themen behandelt.

Die beiden Vorstellungen von „Handsome Devil“ auf dem Filmfest München sind leider bereits vorbei, aber ich gehe davon aus, dass man diesen Film hierzulande auch regulär im Kino oder zumindest durch eine DVD-Veröffentlichung zu sehen bekommen wird.

Überleben in Neukölln„Identität“ ist auch eines der Stichwörter zu „Überleben in Neukölln“. Zum einen geht es darin natürlich um die Identität eines ganzen Stadtviertels, aber auch um die seiner Bewohner. Diese werden in der Dokumentation von Rosa von Praunheim und Markus Tiarks portraitiert. Und auch wenn die Filmemacher sich dabei auf Mitglieder der LGBTIQ-Szene konzentrieren, so ist dies doch kein rein queerer Film. Denn man lernt darin Menschen kennen, die ganz einfach Spaß daran haben, sie selbst zu sein. Das kann z.B. bedeuten, sich als Mann jedes Wochenende in Frauenkleider zu werfen und in der eigenen Galerie selbst geschriebene Lieder zum Besten zu geben, so wie das Stefan alias Juwelia tut. Sobald er nach Berlin kam, erzählt Stefan im Film, brach diese Seite an ihm einfach aus ihm hervor.
So unterschiedlich die Neukölln-Bewohner, die im Film zu Wort kommen, auch sind, einen sie doch zwei Dinge: Zum einen das Engagement für die Erhaltung der Vielfalt und Buntheit des Kiezes und seiner Bewohner. Sie alle wollen auf ihre ihnen jeweils einzigartige Weise sie selbst sein, sich zum Ausdruck bringen und dafür sorgen, dass dies auch allen von ihnen gestattet ist. Zum anderen eint sie aber eben auch die Sorge, dass Neukölln seine beste Zeit vielleicht schon wieder hinter sich hat; schließlich sind auch hier bereits die Folgen der Gentrifizierung spürbar.

„Überleben in Neukölln“ ist ein manchmal zu Tränen rührender, insgesamt aber äußerst hoffnungsvoller Film. Denn die Art und Weise, wie hier so unterschiedliche Menschen nach dem Motto „leben und leben lassen“ zusammen leben, lässt einen hoffen, dass die Menschheit vielleicht doch noch eine Zukunft hat. Und gerade München kann sich von der Offenheit, Lockerheit und Warmherzig der Neuköllner ruhig mal eine Scheibe abschneiden.

„Überleben in Neukölln“ wird noch einmal auf dem Filmfest gezeigt: am 1.7. um 20 Uhr. Unbedingt hingehen!

Copyright Bilder: Filmfest München

Filmfest München: „Buster’s Mal Heart“, „Animal Kingdom“, „Flesh and Blood“, „The Road to Mandalay“

13 Filme in drei Tagen, das ist meine vorläufe Bilanz vom Filmfest München. Heute werden es wieder ein paar mehr, aber bevor ich gleich wieder los muss ins Kino will ich hier noch ein paar Eindrücke festhalten.

Rami Malek, bekannt aus der Serie „Mr. Robot“, spielt in „Buster’s Mal Heart“ seine erste Kinohauptrolle. Eigentlich spielt er darin sogar drei Rollen. Und eigentlich auch wieder doch nicht, es ist etwas verwirrend. Der Film jedenfalls zeigt parallel drei verschiedene Handlungsstränge: Da ist zum einen Jonah, der als Concierge in einem Hotel arbeitet – stets in der Nachtschicht. Dann ist da „Buster“, der in fremde Häuser einbricht, um dort zu übernachten und bei Radiosendern anruft, um vor dem Weltuntergang zu warnen. Und dann ist da noch ein Mann in einem einsamen Boot auf dem weiten Meer…

Buster's Mal HeartAll diese drei Männer werden von Rami Malek gespielt und wer nun erwartet, dass der Film irgendwann klar herausstellt, wie ihre Geschichten zusammenhängen, der wird enttäuscht werden. Es werden zwar Andeutungen gemacht, doch die endgültige Interpretation bleibt dem dem Zuschauer überlassen. Malek gelingt es mit seinen Darstellungen, den gesamten Film zu tragen. Dieser enthält außerdem einiges an religiöser Symbolik, u.a. in den Kirchenliedern, die zum Teil den Soundtrack bilden. Mich hat „Buster’s Mal Heart“ an „Matrix“ und „Vanilla Sky“ denken lassen, auch wenn er mit diesen beiden Filmen eigentlich kaum etwas gemeinsam hat, außer eben ein paar Andeutungen bezüglich des Sinns und Zusammenhangs der drei Geschichten. Ein seltsamer Film, aber einer der einen zum Nachdenken bringt. Wer bin ich, wer will ich sein, wie wirken sich meine Entscheidungen auf meinen weiteren Lebensweg aus und steht dieser überhaupt unter meiner eigenen Kontrolle? Das sind Fragen, die Regisseurin Sarah Adina Smith hier auf äußerst interessante Weise stellt.

Leider sind die beiden Vorstellungen von „Buster’s Mal Heart“ auf dem Filmfest bereits vorbei.

Seit einigen Jahren hat das Filmfest eine eigene Programmreihe für neue Fernsehserien. Davon habe ich mir dieses Jahr die ersten beiden Folgen von „Animal Kingdom“ angeschaut. Die Serie ist momentan in Deutschland bei TNT Serie zu sehen und basiert auf dem gleichnamigen australischen Film von 2010. Für die Serie wurde die Handlung nun in die USA verlegt. Sie beginnt mit dem Drogentod der Mutter des 17-jährigen Joshua (Finn Cole), der daraufhin zu seiner Großmutter (Ellen Barkin) zieht. Bei dieser wohnen auch ihre drei erwachsenen Söhne, die mit Raubzügen für die finanzielle Sicherheit des Familienclans sorgen – stets überwacht und geleitet von der alles kontrollierenden Matriarchin.

Animal Kingdom„Animal Kingdom“ bietet solide Unterhaltung, ist aber meiner Meinung nach in keinem Bereich wirklich herausragend. Joshua scheint mit den kriminellen Machenschaften seiner Verwandschaft von Anfang an kaum Probleme zu haben und lässt sich selbst schnell dafür einspannen. Wo bleibt da noch Raum für die Figur, sich zu entwickeln? Wie es sich für eine Serie gehört, werden mehrere Andeutungen gemacht, aus denen sich in den weiteren Folgen Storyelemente zimmern lassen. Aber all das ist Standardkost und nichts davon kann wirklich überraschen. Wer gerne halbnackten, verschwitzten Männern dabei zusieht, wie sie sich im Pool prügeln oder Autos auseinandernehmen, der kommt bei „Animal Kingdom“ wohl auf seine Kosten. Und Ellen Barkin spielt die unsympathische, aber stets um ihre Familie besorgte Mutter bzw. Großmutter wirklich gut. Aber ich werde die Serie nicht weiter verfolgen.

Interessanter fand ich da schon die in „Flesh and Blood“ dargestellte Familie. Auch hier geht es um Kriminalität, Drogenprobleme und familiären Zusammenhalt. Regisseur Mark Webber hat sich selbst und seine eigenen Familienmitglieder als Schauspieler besetzt. Er erzählt die Geschichte von Mark (Mark Webber), der nach fünf Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird und bei seiner Mutter (Madeline Brewer) und seinem 13-jährigen Bruder (Guillermo Santos) unterkommt. Alle Protagonisten haben hier ihr Päckchen zu tragen: Mark droht wieder in die Sucht abzurutschen, sein Bruder muss mit einer Asperger-Diagnose und seinem Außenseiter-Status leben und die Mutter musste als Teenagerin aus einem gewalttätigen Elternhaus fliehen.

Flesh and BloodDavon erzählt der Film in authentischen Bildern, bei denen nie so ganz klar ist, wieviel denn nun gespielt bzw. im Drehbuch festgelegt ist und wann die Darsteller ganz einfach spontan miteinander interagieren. Die Interaktionen wirken jedenfalls vollkommen natürlich und der Film damit schon fast dokumentarisch. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass Marks Bruder eine Dokumentation über seine Familie dreht und wir dadurch z.B. Interviewsequenzen mit der Mutter zu sehen bekommen. Übrigens spielen auch die Väter von Mark und seinem Bruder eine wichtige Rolle. In zwei wirklich nahe gehenden Szenen wird die Begnung der jungen Männer mit ihren Vätern geschildert und was man am Ende aus diesem Film mitnimmt, ist die Erkenntnis, dass Familie wohl immer viel (Beziehungs-)Arbeit bedeutet. Ein starker Film, der einen direkt berührt und ohne künstlich wirkendes Happy End daherkommt.

Leider sind auch die Vorführungen von „Flesh and Blood“ schon vorbei.

Ebenfalls ein starker Fim ist „The Road to Mandalay“. Die junge Lianquing kommt als illegale Einwanderin von Myanmar nach Thailand. Sie hält sich mit verschiedenen Jobs über Wasser und hofft, möglichst bald eine offizielle Arbeitserlaubnis zu erhalten. Dabei erlebt sie Rückschlag um Rückschlag, gibt aber nicht auf. Guo, der mit ihr nach Thailand gekommen ist, will sie dazu überreden, eine Stelle in einer Textilfabrik zu übernehmen, die besser bezahlt wird als viele andere Jobs. Zudem empfindet er für sie mehr als nur Freundschaft, traut sich jedoch nicht, ihr seine Gefühle zu offenbaren.

The Road to MandalayRegisseur Midi Z, der bereits mit zwei früheren Werken auf dem Filmfest München zu Gast war, hat mit „The Road to Mandalay“ zwar einen Film gedreht, in dem gar nicht viel passiert. Dank der großartigen Hauptdarstellerin, die die Hoffnungen, Ängste und Leiden ihrer Figur in jeder Einstellung für den Zuschauer spürbar macht, ist der Film aber trotzdem nie langweilig. Auch dieser Film wirkt phasenweise dokumentarisch, wenn man die Protagonisten etwa bei der Arbeit in Restaurants oder Fabriken beobachtet oder bei ihrem schwierigen Umgang mit Polizei und Behörden. Bestechung und Korruption sind dabei an der Tagesordnung und die Hoffnung auf eine legale Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zerschlägt sich schnell, so dass sich Lianquing auf ebenfalls sehr frustrierende Weise gefälschte Papiere zu besorgen versucht. „The Road to Mandalay“ ist ein manchmal ernüchternder und deprimierender, aber doch stets faszinierender und authentisch wirkender Einblick in eine Welt, die sowohl erschreckende Unterschiede als auch Parallelen zu unserer mitteleuropäischen Gesellschaft aufweist. Und spätestens das Ende des Films sorgt dann dafür, dass der Film im Gedächtnis haften bleibt und lange im Kopf des Zuschauers nachwirkt.

„The Road to Mandalay“ wird noch einmal auf dem Filmfest gezeigt: am 28.6. um 20 Uhr

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Filmfest München: „Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?“ & „Rey“

Es ist wieder so weit: Das Filmfest München hat begonnen und das bedeutet: neun Tage Ausnahmezustand! Den ersten Tag habe ich schon überstanden. Weil alle meine Screenings gestern in der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) stattfanden, musste ich dabei nicht einmal kreuz und quer durch die Innenstadt hetzen und konnte zwischen den einzelnen Vorstellungen vor der HFF Sonne tanken.

Mein erster Film trug witzigerweise den Titel „Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?“. Ob es ein schlechtes Omen ist, wenn das Filmfest bereits so beginnt? Ich fühlte mich gestern tatsächlich etwas gerädert, weil ich bereits in der Nacht vor dem ersten Festivaltag zu wenig Schlaf bekommen hatte – ein großer Fehler. Beim ersten Film, der in der Reihe „Neues deutsches Kino“ läuft, war ich aber noch wach und aufmerksam. Der Film erzählt die Geschichte der Paartherapeutin Luisa (Lina Beckmann). Sie ist schätzungsweise Mitte vierzig und mit Richard (Charly Hübner) verheiratet. Der ahnt nichts davon, dass seine Frau seit einiger Zeit eine heiße Affäre mit seinem Vorgesetzten Leopold (Benno Fürmann) hat. Dies wiederum bedeutet für Luisa natürlich einen erheblichen logistischen Aufwand, denn all die beruflichen und privaten Termine wollen erst einmal unter einen Hut gebracht werden – selbstverständlich ohne dass Richard von der Affäre erfährt.

Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?Doch Luisa erhält unerwartete Hilfe: Wie aus dem Nichts taucht plötzlich eine Doppelgängerin von ihr auf! Nachdem der erste Schock überwunden ist, tauft Luisa das Wesen auf den Namen Ann und erkennt, dass Anns Existenz durchaus ihre praktischen Seiten hat. Sie beauftragt Ann, sich um Richard zu kümmern, während sie sich selbst ganz in die Beziehung zu Leopold stürzen will. Aber so einfach, wie Luisa sich das ausmalt, läuft die Sache natürlich nicht ab…
Regisseurin Lola Randl hat mit „Fühlen Sie sich manchmal…“ eine charmante, witzige Komödie abgeliefert, deren größte Stärke die sympathische und vollkommen natürlich spielende Hauptdarstellerin ist. Es ist wirklich erfrischend, auch mal eine Person wie aus dem wahren Leben im Kino zu sehen und nicht immer nur auf Hochglanz gestylte Stars, denen man den Alltagsstress einer solchen Rolle gar nicht abnimmt. Lina Beckmann bringt genau die richtige Mischung aus Überdrehtheit und Bodenständigkeit in die Rolle ein und macht es dem Publikum leicht, sich mit ihr zu identifizieren. Zudem spielt sie hier natürlich eine Doppelrolle und darf als anfangs vollkommen naive und ahnungslose Ann auch eine andere Seite von sich zeigen.
Die ersten zehn oder fünfzehn Minuten wusste ich nicht so recht, was ich mit dem Film anfangen soll. Die teils absurd überzeichneten Szenarien, in denen das Bild am Computer verfremdet zu sein schien, fand ich etwas verwirrend und es war zunächst nicht klar, was das eigentlich für ein Film sein soll. Hat man die Figuren aber erst einmal kennen gelernt, versinkt man schnell in der Geschichte. Eines der Themen, die hier behandelt werden, ist natürlich das der Identität. Wer bin ich und wie kann ich angesichts all der Rollen, die ich im Alltag zu spielen habe (Ehefrau, Therapeutin, Geliebte,…) zu mir selbst finden und ich selbst bleiben? Das ist nur eine der Fragen, die der Film stellt.
Meine Lieblingsszene des Films ist eine eigentlich recht unscheinbare, die ich wohl nur deshalb so faszinierend fand, weil ich studierter Soziologe bin: Da sitzt Luisa mit Richard abends auf der Couch, mit dem Wissen, dass sie von Ann beobachtet werden. Weil Luisa Ann darauf vorbereiten will, bald ihre (Luisas) Rolle einzunehmen, versucht sie dieser zu erklären, was man als Richards Ehefrau so alles zu tun hat – selbstverständlich aber ohne Richard merken zu lassen, dass sie gerade eigentlich zu jemand anderem spricht. Sie betont also jede ihrer Handlungen und spricht Sätze wie „Und dann trinken wir zusammen Wein“, während Ann das Ganze wissbegierig beobachtet. Spannend fand ich die Szene, weil hier sowohl für das Kinopublikum, als auch für Ann – die Beobachterin im Film – gespielt wird. Dadurch werden soziale Konventionen klar herausgestellt, die sonst zwischen Luisa und Richard ganz selbstverständlich ablaufen würden, ohne dass Luisa darüber sprechen würde.
Aber damit will ich euch nicht weiter langweilen. Als Fazit bleibt mir noch zu sagen: „Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?“ ist wie erwähnt charmant, witzig und authentisch. Die letzte halbe Stunde zieht sich leider etwas und der ganz große Wurf ist Lola Randl damit nicht gelungen, aber eine unterhaltsame Komödie um ernste aktuelle Themen ist der Film allemal.
„Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?“ hat heute Abend Premiere im Arri-Kino (24.06., 19:30) und wird danach noch zweimal auf dem Festival gezeigt (am 25.6. um 22:30 und am 28.6. um 17:30, jeweils in der HFF).

Ein weiterer Film, den ich gestern gesehen habe, war der im Programmheft als „experimenteller Abenteuerfilm“ angekündigte „Rey“. Darin geht es um den französischen Anwalt Orélie-Antoine de Tounens (Rodrigo Lisboa), der 1860 in Südamerika die unabhängigen Königreiche Araucana und Patagonien gründete.

Rey„Experimentell“ ist der Film wirklich! Denn wenn ich die Einführung vor der Vorstellung richtig verstanden habe, dann hat Regisseur Niles Attalah den Film auf 35-Millimeter-Material gedreht und dieses dann für mehrere Monate vergraben! Das Ergebnis sieht man dem Film deutlich an, denn es gibt immer wieder Szenen, in denen der Film so verschmutzt und verwittert ist, dass tatsächlich kaum noch etwas zu erkennen ist. Eindeutig eine eigenwillige stilistische Entscheidung, die zusammen mit der ruhigen, meditativen und poetischen Inszenierung bei mir allerdings für akute Müdigkeit gesorgt hat. „Rey“ war überhaupt kein Film für mich und wäre ich nicht genau in der Mitte des Saals gesessen, dann hätte ich diesen wohl noch während des Films verlassen. Würde „Rey“ als Endlosschleife in einem Museum gezeigt werden, wo man sich für ein paar Minuten hinsetzen und zuschauen kann, dann fände ich das wohl cool. Als „ganz normaler“ Kinofilm war mir das dann aber doch zu sonderbar.

„Rey“ wird noch zweimal auf dem Filmfest gezeigt: am 26.6. um 16:30 und am 28.6. um 19:00 (jeweils im Theatiner Film).

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Filmfest München: „Lo and Behold“, „Made in France“ & „Die letzte Sau“

Über zahlreiche Filme aus dem diesjährigen Programm des Filmfest München habe ich schon gebloggt, ein paar wollen aber noch abgearbeitet werden. Da wäre zum Beispiel Werner Herzogs Dokumentation „Lo and Behold, Reveries of the Connected World“. Die deutsche Regie-Legende versucht darin, einem Phänomen auf den Grund zu gehen, von dem Herzog selbst recht wenig versteht: moderne Computertechnologie, insbesondere das Internet. Unterteilt in zehn Segmente widmet er sich unter anderem der Entstehung des Internet, künstlicher Intelligenz, der Frage wie man ein Internet auf dem Mars möglich machen wird oder auch Menschen, die sich entschlossen haben, abseits der Zivilisation in einem nahezu strahlungsfreien Gebiet zu leben.
LO_AND_BEHOLD+ROBOT_700Eine kurze Umfrage des in den Film einführenden Moderators vor der Vorstellung ergab, dass sich die Mehrheit der Zuschauer als unerfahren im Umgang mit Computern und Internet bezeichnen würden. Herzogs Film trug leider nicht viel dazu bei, diesen meist älteren Kinobesuchern die Angst vor der Technologie zu nehmen – ganz im Gegenteil. Werner Herzog schlägt sich in „Lo and Behold“ auf die Seite der Ängstlichen und Unsicheren, die sich mit Technik kaum auskennen und dürfte auch beim gleichermaßen unerfahrenen Zuschauer Ängste vor der Technik hervorrufen. Zwar kommen durchaus auch ein paar positive Aspekte des technologischen Fortschritts zur Sprache, insgesamt überwiegt aber die Darstellung der Nachteile und Gefahren. Zudem bleibt der Film – jedenfalls für auf dem Gebiet bewandertere Zuschauer – zu oberflächlich und dringt in kaum eines der zehn Themengebiete tiefer ein. Herzog erweist sich als großer Zweifler, der den Zukunftsszenarien seiner Interviepartner (darunter z.B. Elon Musk) kaum Positives abgewinnen kann. Bestes Beispiel dafür ist der Schluss des Films: Da erzählt ein Forscher, dass irgendwann in der Zukunft direkter zwischenmenschlicher Kontakt möglicherweise kaum noch nötig oder gewünscht sein wird, weil künstliche Lebensformen dann vielleicht als mit biologischen gleichgesetzt betrachtet werden. Er fügt hinzu, dass man sich das heute kaum vorstellen kann, was im Fall von Werner Herzog definitiv zutrifft. Der kommentiert dieses Szenario nämlich dadurch, dass er den Film anschließend mit einer Einstellung beendet, in der man ein paar vor der Zivilisation Geflüchtete in besagtem strahlungsarmen Gebiet gemeinsam musizieren sieht. Die Botschaft scheint klar: diese zwischenmenschliche Nähe werden Maschinen niemals ersetzen können. Schade, dass Herzog sich hier als so engstirnig erweist und nicht offener an das Thema herangeht. Er hätte damit etwas in den Köpfen seines Publikums bewegen können, statt nur festgefahrene Vorurteile und Ängste zu zementieren.

MadeInFrance02_700Ein weiterer höchst aktueller Film ist „Made in France“. Der französische Thriller von Nicolas Boukhrief handelt von einem Journalisten, der undercover in einer islamistischen Terrorzelle recherchiert. Gedreht 2014, wurde der französische Kinostart nach den Anschlägen in Paris im Januar und November 2015 mehrmals verschoben; inzwischen ist der Film in Frankreich für den Heimkinomarkt erschienen und soll auch in Deutschland nur auf DVD oder über Streamingportale veröffentlicht werden (teilweise wird er auch unter dem Titel „Inside the Cell“ vertrieben). Der Film ist durchgehend spannend inszeniert und die Darsteller spielen äußerst überzeugend. Dennoch wird man nach dem Filmende etwas ratlos im Kinosessel zurückgelassen. Zwar hat man soeben nervenzerreißende 90 Minuten erlebt, doch der Erkenntnisgewinn bleibt gering. „Made in France“ nimmt sich nicht die Zeit, das Glaubenssystem und die Weltsicht der Terroristen detalliert zu betrachten und bleibt damit ein konventioneller, wenn auch gut gemachter und unterhaltsamer Thriller. Aber wie soll man Terror auch verstehen?

Ein dritter Film mit Bezug zur aktuellen Gesellschaftslage ist „Die letzte Sau“ von Aron Lehmann. In seinem dritten Kinospielfilm nach „Kohlhaas“ und „Highway to Hellas“ erzählt der Regisseur die Geschichte des schwäbischen Bauern Huber (Golo Euler), der nach der Pleite seines Hofes und einigen weiteren Schicksalsschlägen frustriert das Handtuch wirft und sich auf einen Roadtrip quer durch Deutschland begibt. Im Beiwagen seines Mopeds mit dabei: die titelgebende letzte Sau, das einzige Überbleibsel seines Bauernhofes. Auf dem Weg durchs Land begegnet Huber einigen anderen schrägen Gestalten, die alle auf die eine oder andere Weise Opfer von Wirtschaft und Politik geworden sind. Da ist zum Beispiel ein ehemaliger Investmentbanker, der auf den Rat seines Psychotherapeuten hin zum Imker umgesattelt hat, aber immer noch einen unbändigen Hass auf die gnadenlose Ellbogengesellschaft der Finanzwelt in sich trägt. Überzeugt, dass es im Land nicht so weitergehen kann, zettelt Huber unterwegs unbeabsichtigt eine Revolution an.
drei-freunde_dieletztesau01_700Trotz der Verwurzelung der Geschichte in Deutschland und des schwäbischen Dialekts seiner Hauptfigur erzäglt „Die letzte Sau“ im Grunde eine universelle Geschichte. Denn die Folgen von Wirtschaftswachstum, Konkurrenzdenken, Leistungsoptimierung und Globalisierung betreffen nicht nur Bauernhöfe (und andere Unternehmen) in Deutschland. Die Art und Weise, wie Lehmann hier seine Zuschauer auf einige der negativen Folgen der Massentierhaltung aufmerksam macht, gefällt mir. Vielleicht braucht es einen solchen, sowohl sehr lustigen als auch immer wieder tragischen Film, um mehr Leute für dieses Thema zu sensibilisieren. Ich würde mich zwar nicht vollkommen hinter die Botschaft des Films stellen, wonach das Ursprüngliche und Traditionelle dem Modernen stets vorzuziehen ist. Aber die Entfremdung des Menschen von der Natur und die Folgen immer größeren, gedankenlosen Konsums sind wichtige Themen, die man im Kino selten auf so unterhaltsame Weise geschildert bekommt. „Die letzte Sau“ kommt im Oktober regulär in die Kinos.

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Filmfest München: „Oscuro Animal“, „Ein deutsches Leben“, „La Ciénaga“ & „Días Extraños“

OscuroAnimal-02_700Das 34. Filmfest München ist inzwischen vorbei, aber ich will noch über ein paar weitere Filme bloggen, die ich gesehen habe. Der ungewöhnlichste davon war wohl „Oscuro Animal“ von Felipe Guerrero. In getrennten Handlungssträngen kämpfen sich darin drei Frauen durch den Dschungel Kolumbiens, auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg. Der Film kommt vollkommen ohne Dialoge aus, was es nicht immer leicht macht, hier der Handlung zu folgen. Am Anfang kam mir das noch sehr seltsam und schwierig vor, doch irgendwann habe ich begonnen, einfach die fantastisch schönen Bilder zu genießen und mich von ihnen treiben zu lassen. „Oscuro Animal“ muss man definitiv im Kino sehen, nicht nur weil der Film auf die große Leinwand gehört, sondern auch weil man sich zuhause doch zu leicht dazu verleiten lässt, nebenbei andere Dinge zu tun. Dieser Film aber lebt davon, dass man zu- und hinschaut. Er versetzt einen dabei gelegentlich in einen entspannenden, fast meditativen Zustand, bringt einen aber auch immer wieder mit sehr harten und brutalen Szenen aus der Ruhe. Anders, aber gut!

A_German_Life+05_700Anders, aber sehr, sehr gut ist auch „Ein deutsches Leben“. Für die Dokumentation haben vier Regisseure Brunhilde Pomsel interviewt, die als Sekretärin für Joseph Goebbels gearbeitet hat. Die zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen 103-jährige Dame erzählt im Film ihre Lebenserinnerungen bis zum Ende des zweiten Weltkriegs. Es geht also nicht nur um ihre Arbeit im „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“, sondern beispielsweise auch um die Vorkriegszeit und um Schuldfragen. Die Einblicke aus erster Hand, die man dabei erhält, sind immer wieder faszinierend. Die Interviewaufnahmen Pomsels, bei denen man stets nur ihr Gesicht in Nahaufnahme und schwarz-weiß sieht, werden immer wieder durch zeitgenössische Aufnahmen unterbrochen, z.B. Reden von Goebbels oder amerikanische und deutsche Propagandafilme. Das ist mitunter sehr schwer anzusehen, in Kombination mit Pomsels Worten macht es einem aber nochmals die Realität des Holocausts bewusst und regt dazu an, Fragen zu stellen. „Ein deutsches Leben“ ist ein sehr gelungener und wichtiger Film geworden. Bei der Premiere (in einem dafür viel zu kleinen und sehr heißen Kinosaal!) war die nun 105-jährige Protagonistin selbst anwesend und überraschte alle Zuschauer mit ihrem Witz, ihrer Schlagfertigkeit und ihrer immer noch ungebrochenen Geistesstärke. Ein sehr bewegender Film über eine bemerkenswerte, beeindruckende Frau. („Ein deutsches Leben“ wird noch dieses Jahr seinen regulären Kinostart in Deutschland haben und später auch im Fernsehen gezeigt werden.)

Ein ebenfalls sehr bewegender Film wurde am Abend desselben Tages gezeigt: „La Ciénaga – Entre El Mar Y La Tierra“ („Between Land and Sea“). Allerdings war der Film nur für die meisten anderen Kinobesucher bewegend; ein Großteil der Zuschauer saß nämlich nach dem Filmende mit Tränen in den Augen da, während ich „La Ciénaga“ ziemlich platt und rührselig fand. In einem Pfahlhüttendorf an der kolumbianischen Küste lebt der 28-jährige Alberto (Manolo Cruz) gemeinsam mit seiner Mutter (Vicky Hernandez). Alberto leidet seit seiner Kindheit an einer unheilbaren Nervenkrankheit, die ihn nahezu bewegungslos gemacht hat. Aber Alberto hat einen ganz besonderen Wunsch: er möchte einmal aufs Meer hinausfahren.
LaCienaga-02_700„La Ciénaga“ ist beim Filmfestival in Sundance vom Publikum zum besten Film gewählt worden, was ich mir nur dadurch erklären kann, dass es sich hier um auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebrachtes Wohlfühlkino handelt. Die Auszeichnung der beiden Hauptdarsteller als beste Schauspieler auf demselben Festival kann ich da schon eher nachvollziehen. Manolo Cruz, der Alberto spielt und auch Regie geführt hat, hat eindeutig viel Recherche betrieben, um den Nervenkranken überzeugend darzustellen. Trotzdem habe ich hier aber zu keinem Zeitpunkt wirklich mitfühlen können, dazu erschien mir der Film von Anfang an zu kalkuliert und zu sehr auf große Gefühle aus zu sein. Auch hätte ich gerne mehr über die Lebensart der in dem Pfahlhüttendorf lebenden Fischer erfahren, doch der Film bleibt die ganze Zeit über bei Alberto, seiner Mutter und seiner besten Freundin. Das Ergebnis ist ein rührseliges Kammerspiel vor schöner Kulisse, mit einer nicht überaschenden, aber trotzdem für mich nicht nachvollziehbaren Entwicklung am Ende. Kann man sich anschauen, man verpasst aber nichts, wenn man es nicht tut.

DIAS+EXTRANOS+1_700Interessanter fand ich da schon „Días Extraños“ („Strange Days“) von Juan Sebastián Quebrada. Der in schwarz-weiß gefilmte Film zeigt den Alltag eines jungen kolumbianischen Paares in Buenos Aires. Luna und Juan haben kaum Geld, schlagen sich aber irgendwie durch. Sie streiten sich, haben Sex, gehen feiern. Viel mehr passiert eine ganze Weile nicht und trotzdem fand ich den Film da schon interessant, vor allem aufgrund der überzeugenden Darsteller, die das alles so lebensecht wirken lassen. Später aber lernen die beiden eine junge Frau kennen und nehmen sie mit zu sich in die Wohnung. Luna verabreicht ihr ein starkes Beruhigungsmittel und am nächsten Morgen wacht die Frau nackt zwischen Luna und Juan auf, bevor sie fluchtartig die Wohnung verlässt. Was genau in der Nacht zuvor geschehen ist, wird nicht explizit erwähnt und der Vorstellung des Zuschauers überlassen. Doch später kehrt die junge Frau zurück, um einen Racheakt zu vollziehen. „Días Extraños“ bleibt zwar in gewisser Weise Stückwerk, weil hier vieles unausgesprochen bleibt und der Konflikt zwischen den Figuren nicht aufgelöst wird. Dennoch hat mich der Film fasziniert. Er war sehr gut gespielt, schön anzuschauen und regt einen vor allem zum Nachdenken an. Ein starkes Stück Kino, wenn es auch wie gesagt etwas unvollendet wirkt und das Ende dann doch etwas mehr Erklärung nötig gehabt hätte.

Mindestens ein weiterer Blogpost über die Filmfest-Filme folgt noch! 🙂

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