Der heutige Beitrag zu meiner Reihe „Mehr als sieben Songs“ ist alles andere als ein Geheimtipp. Sam Smiths Bond-Song „Writing’s on the Wall“ wurde letzten Freitag veröffentlicht und natürlich haben sich sowohl die Fans als auch die Presse sofort gierig auf das Lied gestürzt – und es gnadenlos verrissen. Ich habe noch nicht einen einzigen durchweg positiven Kommentar über das Lied gelesen. Das verwundert mich umso mehr, weil ich „Writing’s on the Wall“ wirklich fantastisch finde. Ich würde sogar jetzt schon so weit gehen und behaupten, dass das Lied mein Lieblings-Bond-Song ist. Ja, ich mag es wirklich noch lieber als „Live and Let Die“, „Goldfinger“ und „The World Is Not Enough“, meine anderen Favoriten. Ein besonders großer Fan von Adeles „Skyfall“ war ich übrigens noch nie; das Lied ist mir zu eintönig und spannungsarm. Von der Emotionalität und Verletzlichkeit, die in Sam Smiths Gesang zum Ausdruck kommt, kann ich hingegen gar nicht genug kriegen. Mit meiner Meinung stehe ich anscheinend ziemlich alleine da – selbst in diesem im Großen und Ganzen positiven Artikel über das Lied wird Sam Smith dafür kritisiert, den Filmtitel „Spectre“ nicht im Text untergebracht zu haben, dabei ist das doch vollkommen egal. Ich habe den Eindruck, der Autor traut sich einfach nicht, „Writing’s on the Wall“ uneingeschränkt zu loben.
Warum stößt der Song auf so große Ablehnung? Viele Hörer stören sich an Smiths hohem Gesang bzw. wohl eher daran dass dieser – gerade für einen Bond-Song – nicht „männlich“ genug sei. Verletzlichkeit schön und gut, aber James Bond muss für die meisten ein harter Kerl sein und nichts weiter. Dabei ist doch gerade Daniel Craigs James Bond so sehr von seinen inneren Dämonen und Selbstzweifeln getrieben, wie dies vorher fast nie der Fall war. Noch dazu sind Frauen und Männer gleichermaßen komplexe Wesen, die sich nicht nur durch einige ihnen fest zugeschriebene Wesenszüge auszeichnen. Verletzlichkeit kann also gar nicht „unmännlich“ sein, sie entspricht eben nur nicht dem Bild, das viele von James Bond haben. Vielleicht wird „Spectre“ daran ja etwas ändern.
Ich weiß über den Inhalt des Films noch fast nichts, aber ich mache mir hier mal den Spaß, den Text von „Writing’s on the Wall“ ein wenig zu analysieren. Enthält er Hinweise darauf, was uns in „Spectre“ erwartet? Und singt Sam Smith hier überhaupt von bzw. aus der Perspektive von James Bond, muss man die zum Ausdruck gebrachte Verletzlichkeit also Bond zuschreiben?
I’ve been here before
But always hit the floor
I’ve spent a lifetime running
And I always get away
But with you I’m feeling something
That makes me want to stay
Natürlich liegt es nahe, dass diese erste Strophe aus Bonds Perspektive geschrieben ist. Sam Smith ist selbst männlich und schildert hier etwas in der ersten Person – bei einem Bond-Song ordnet man die Worte also als erstes James Bond zu. Ist es also Bond, der sein Leben lang auf der Flucht war? Hat er nun jemanden kennen gelernt, für den er sein bisheriges Leben aufgeben will? Falls ja, dann legen die ersten beiden Zeilen nahe, dass er schon mehrmals an diesem Punkt war. Geht es ihm also mit jeder Frau so? Dann wären diese Worte ja nur leere Versprechungen, die er schon oft gemacht, aber bisher nie gehalten hat. Oder richten sich die Worte vielleicht gar nicht an eines der „Bond Girls“, sondern an den von Christoph Walz gespielten Franz Oberhauser, Bonds Gegenspieler? Nicht besonders wahrscheinlich, aber zumindest hätten die letzten beiden Zeilen dann eine ganz andere Bedeutung. Naheliegender ist da schon, dass die Worte aus der Sicht einer der beiden Frauen geschrieben sind. „With you I’m feeling something that makes me want to stay“ hätte dann dieselbe Bedeutung wie in den meisten Bond-Filmen vorher.
I’m prepared for this
I never shoot to miss
But I feel like a storm is coming
If I’m gonna make it through the day
Then there’s no more use in running
This is something I gotta face
Betrachtet man die zweite Strophe als aus Bonds Perspektive geschrieben, dann beschreibt die zweite Zeile sein gewohntes, selbstsicheres Ich. Aber angesichts der Unsicherheit und der Bedrohung, die diese ersten beiden Strophen sonst zum Ausdruck bringen, wirkt es nicht so, als sei er wirklich noch so selbstsicher. Er versucht vielmehr verzweifelt, diesen Eindruck aufrecht zu erhalten – auch sich selbst gegenüber. „I’m prepared for this“, heißt es zwar, doch die Zeilen drei bis sechs erwecken den Eindruck einer Bedrohung, die sich Bonds Kontrolle entzieht. Er hat gar keine andere Wahl als sich ihr zu stellen.
Interessant ist der Gegensatz zwischen den letzten Zeilen der ersten beiden Strophen: In der ersten Strophe will jemand (bei jemandem) bleiben; in der zweiten wird jemandem klar, dass er sich einer (wohl unangenehmen) Sache stellen muss. Das lässt den Schluss zu, dass die beiden Strophen entweder aus der Perspektive zweier verschiedener Personen geschrieben sind (dann wäre es nicht durchgehend James Bond, der hier spricht) oder dass sie sich an verschiedene Personen richten bzw. auf verschiedene Angelegenheiten beziehen. Demzufolge möchte Bond bei jemandem bleiben, muss sich gleichzeitig aber auch etwas oder jemandem stellen. In diesem Zusammenhang machen die nächsten beiden Zeilen Sinn:
If I risk it all
Could you break my fall?
Mögliche Übersetzung: Wenn ich mich dieser Sache (aus Strophe 2) stelle, wirst du (=in Strophe 1 angesprochene Person) dann für mich da sein?
How do I live? How do I breathe?
When your’re not here I’m suffocating
I want to feel love run through my blood
Tell me is this where I give it all up?
For you I risk it all
Cause the writing’s on the wall
Der Refrain verändert die Bedeutung der beiden vorangegangenen Zeilen ein wenig. Hier heißt es nun nämlich „For you I risk it all“, die Liebesbeziehung und das große Wagnis stehen also in enger Verbindung. Bond muss alles riskieren, um seine Lieb(st)e zu retten. (Man könnte natürlich auch weiterhin spekulieren, ob einzelne Zeilen anderen Figuren als James Bond zugeordnet werden müssen, aber ich gehe ab jetzt davon aus, dass das ganze Lied aus Bonds Perspektive geschrieben ist.) Hier ist auch der Hinweis enthalten, dass es um Liebe geht und textlich wie gesanglich gibt sich Sam Smith hier am verletzlichsten. Ohne dich kann ich nicht leben, so lassen sich die ersten drei Zeilen zusammenfassen. Bereits in „Casino Royale“ war James Bond „richtig“ verliebt und seine Gefühle für Vesper Lynd waren seine große Schwäche. Wird er in „Spectre“ in eine ähnliche Situation geraten? Aber was muss er für die Liebe aufgeben? Und vor allem: was genau bedeutet der Hinweis „the writing’s on the wall“? Zeichnen sich damit Entwicklungen ab, die sich nicht unter Bonds Kontrolle befinden? Oder will er sich damit nur einreden, keine andere Wahl zu haben?
A million shards of glass
That haunt me from my past
As the stars begin to gather
And the lights begin to fade
When all hope begins to shatter
Know that I won’t be afraid
Die erste Zeile ist wohl nicht wörtlich gemeint, sondern bezieht sich (zusammen mit der zweiten) auf Ereignisse in Bonds Vergangenheit, die ihn in diesem Film heimsuchen werden (darauf weist bereits die offizielle Inhaltsangabe hin). Noch mehr als in „Skyfall“ scheint also in „Spectre“ Bonds persönliche Vergangenheit eine Rolle zu spielen, höchstwahrscheinlich in Form einer Person, die plötzlich wieder auftaucht. Ob die dritte und vierte Zeile mehr als nur einen metaphorischen Bezug zur Filmhandlung haben, wird sich zeigen. Zusammen mit dem Rest der Strophe verstärken sie den Eindruck, den der Text insgesamt macht: Hier ist jemand entschlossen, sich trotz all seiner Verzweiflung nicht unterkriegen zu lassen. Dieser jemand – also nach meiner Annahme Bond – weiß, dass er sich einer Sache stellen muss, die wohl durch eine mit seiner eigenene Vergangenheit in Verbindung stehenden Person ausgelöst worden ist. Immer wieder folgt im Lied die Bestärkung, nicht zurückzuweichen („I won’t be afraid“, „there’s no more use in running“, „I have to risk it all“).
Nach meiner Interpretation sind hier also drei Personen wichtig: James Bond, aus dessen Sicht das Lied geschrieben ist. Eine Frau (entweder Madeleine Swann oder Lucia Sciarra), an die vor allem der Refrain gerichtet ist, der bis auf seine letzte Zeile wie ein klassisches Liebeslied klingt. Und dann ist da noch eine dritte Person, die als Auslöser der schrecklichen Ereignisse dient, welche Bond und sein Liebesglück bedrohen. Allerdings muss es sich dabei nicht zwangsweise um Franz Oberhauser handeln, denn soweit ich weiß handelt es sich bei der von Léa Seydoux gespielten Madeleine Swann auch um eine Figur mit Verbindungen zu Bonds Vergangenheit.
Wie im Lied immer wieder die Worte „The writing’s on the wall“ wiederholt werden, klingt es fast, als wolle sich hier jemand selbst einreden, dass die Dinge nun unausweichlich ihren Lauf nehmen. Wird Bond also die richtige Entscheidung treffen? Wir werden es im November im Kino erfahren.
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