Der Nachtmahr

„Der Nachtmahr“ hatte bereits 2015 auf dem Filmfest München seine Premiere und kam dieses Jahr im Mai deutschlandweit in die Kinos. Pünktlich zum DVD- und Blu-ray-Start am 27.10. habe ich den Film von Akiz alias Achim Bornhak nun auch endlich gesehen.Der Nachtmahr - Blu-ray

Tina (Carolyn Genzkow) ist 17 Jahre alt und ein ganz normaler Teenager. Sie geht gerne auf Parties und steht kurz vor dem Abitur. Mit ihren Eltern, mit denen sie ab und zu Stress hat, lebt sie als Einzelkind in einem Haus irgendwo im Großraum Berlin. Eines Abends beginnt sie zuhause aus der Küche kommende Geräusche zu hören. Sie schleicht sich ins Erdgeschoss und entdeckt ein kleines, hässliches Wesen, das gerade dabei ist, den Kühlschrank zu plündern. Aber als Tina ihre Eltern herbeiruft, ist das Wesen fort. Ihr Vater und ihre Mutter glauben ihr nicht und schicken sie lieber zu einem befreundeten Neurologen. Der soll die Tochter richten… Er verschreibt Tina Medikamente, empfiehlt ihr aber auch, das Wesen anzusprechen, es zu konfrontieren. Auf diese Weise soll sich herausstellen, ob es wirklich real ist…

Tina (Carolyn Genzkow)Der Film beginnt mit mehreren Texteinblendungen, von denen die ersten beiden vor den blitzenden Lichtern und lauten Geräuschen warnen, bevor die dritte Einblendung schließlich hinterher schiebt: „Wie auch immer, dieser Film sollte laut abgespielt werden.“ Wer sich daran hält, wird gleich in den ersten Minuten von wummernden Bässen durchgerüttelt, als Tina mit ein paar Freunden eine Party besucht. Der Film ist vollkommen auf die Hauptfigur konzentriert, Tina taucht in so gut wie jeder Szene auf. Obwohl „Der Nachtmahr“ Horror-Elemente enthält, ist der Film viel mehr die Geschichte eines pubertierenden, von Unsicherheiten geplagten und sich von ihren Eltern unverstanden fühlenden Mädchens. Akiz kommt es weniger darauf an, Schreckmomente zu schaffen, als den Zuschauer ins Gesicht und damit die Seele von Tina blicken zu lassen.

Leider vernachlässigt der Film alle anderen seiner Figuren. Über Tinas Freunde erfährt man so gut wie nichts, sie bleiben allesamt Stichwortgeber. Die Beziehung zwischen Tina und ihren Eltern wird zwar recht gut herausgearbeitet, doch auch hier hätte ich mir gewünscht, das Ganze gelegentlich aus der Sicht der Eltern zu sehen. Aber Akiz kam es wohl darauf an, die Welt ganz aus der Sicht seiner Protagonistin zu zeigen. Mit Carolyn Genzkow hat er dabei zum Glück eine Hauptdarstellerin gefunden, die der Aufgabe gewachsen ist, einen vollkommen auf sie zugeschnittenen Film zu schultern. Leider sind die Leistungen aber nicht in allen Bereichen so großartig. Schauspielerisch ist der Film insgesamt durchwachsen; ganz besonders Arnd Klawitter fiel mir in seiner Rolle als Tinas Vater aufgrund seines unnatürlichen Schauspiels fast durchweg negativ auf (oder sollte das die Unbeholfenheit seiner ratlosen Figur sein?). Formal ist „Der Nachtmahr“ auf den ersten Blick beeindruckend, mit zunehmender Länge fragt man sich jedoch, was der fortwährende Einsatz laut wummernder Musik zu dunkel gehaltenen Partyszenen bezwecken soll.

Arnd Klawitter, Carolyn Genzkow, Julika JenkinsInhaltlich ist der Film aber auf jeden Fall interessant und lädt zu zahlreichen Interpretationen ein. Zu Beginn des Films dachte ich mir, der Nachtmahr sei vielleicht eine Metapher für Vergewaltigung (weil Tina im Gebüsch am Rand einer Party von dem Wesen erschreckt wird). Wahrscheinlich steht er aber ganz einfach für all das, was Teenager erleben und fühlen, aber Erwachsene nicht so recht verstehen. Tinas Eltern sind überzeugt davon, ihre Tochter durch Arztbesuche, Klinikaufenthalte und Medikamente wieder „normal“ machen zu können. Dabei wären vielleicht erst einmal ein paar lange und tiefgehende Gespräche mit ihrem Kind nötig.

Noch allgemeiner könnte man den Film als eine Geschichte deuten, die dazu ermutigen soll, zum eigenen (Anders-)Sein zu stehen. Denn seien wir einmal ehrlich: jeder von uns schleppt seinen eigenen Nachtmahr – ein Bündel an einengenden und erdrückenden Erlebnissen, Erinnerungen, Vorstellungen und Erwartungen – mit sich herum. Obwohl „Der Nachtmahr“ also insgesamt kein ganz rundes Bild ergeben will und viele der stilistischen Spielereien ins Leere führen, ist der Film also dennoch sehr interessant. Dafür sorgen vor allem die überzeugende Leistung der Hauptdarstellerin und der nicht auf billige Schockeffekte angelegte, ruhige Erzählstil.

Party!Inhaltlich weist „Der Nachtmahr“ übrigens zahlreiche Parallelen zu Spielbergs „E.T.“ auf. In beiden Filmen entdeckt die Hauptfigur ein seltsames, hässliches, aber auch irgendwie freundlich erscheinendes Wesen, das sie zunächst vor anderen geheim zu halten versucht (und mit fortschreitender Handlung zeigen sich in „Der Nachtmahr“ noch weitere Ähnlichkeiten zu „E.T.“). Letztendlich stehen die fremden Wesen wohl für die Einsamkeit und Isolation, die sowohl Kindheit als auch Jugend mit sich bringen können. Das Ende der Geschichte aber ist in „Der Nachtmahr“ ein anderes und man könnte es zwar wie erwähnt als Anerkennung des eigenen (Anders-)Seins deuten, aber auch als vollkommenes Abdriften der Hauptfigur in die Geisteskrankheit. Wie auch immer, ich muss jedenfalls zugeben, dass ich nach dem Filmende schnell hinter meiner Couch nachgeschaut habe, ob sich dort nicht irgendein seltsames Wesen verbirgt…

Bilder: Copyright Koch Films

„Terminator: The Sarah Connor Chronicles“ & „Scream“

Nachdem ich vor kurzem Staffel 5 von „Buffy“ und Staffel 2 von „Angel“ fertig angeschaut hatte (ein Blogpost dazu folgt), brauchte ich neuen Serienstoff. Nach etwas Wühlen in den noch nicht angeschauten DVDs und Blu-rays, die sich im Schrank unter meinem Fernseher stapelten, fand ich die erste Staffel von „Terminator: The Sarah Connor Chronicles“ wieder, die ich vor ein paar Monaten gekauft hatte. Damals hatte ich mehrere „Terminator“-Filme angeschaut und Lust auf die Serie bekommen – die hatte ich inzwischen zwar nicht mehr wirklich, aber nachdem die Blu-rays schon mal da waren, fing ich an, die Staffel anzuschauen.

Terminator: The Sarah Connor Chronicles – Season 1

Die „Terminator“-Serie spielt nach den Ereignissen von „Terminator 2“ und ignoriert die Handlung aller nachfolgenden Filme vollständig. Sie beginnt im Jahr 1999, als John Connor (Thomas Dekker) 15 Jahre alt ist. Die höchste Priorität seiner Mutter Sarah (Lena Headey, bekannt als Cersei Lannister aus „Game of Thrones“) ist es immer noch, das Leben ihres Sohnes zu schützen, der in der Zukunft zum Anführer des menschlichen Widerstands gegen die Herrschaft der Maschinen werden wird. Unterstützung erhält sie dabei von einem umprogrammierten Terminator (Summer Clau), der das Aussehen eines weiblichen Teenagers hat und sich so als Johns Schwester Cameron ausgeben kann. Am Ende der Pilotfolge reisen die drei ins Jahr 2007, also in das Jahr, in dem die Serie produziert wurde. Damit muss schon mal kein Geld mehr dafür ausgegeben werden, die Serie nach 1999 aussehen zu lassen.

Die Serie hat es nur auf zwei Staffeln gebracht und die erste davon hat auch nur neun Folgen. Trotzdem habe ich nach sechs Episoden aufgehört, weil ich so gelangweilt war. Im Grunde ist die „Terminator“-Serie eine Sparversion der Filme. Auch hier versucht man sich immer wieder an der Brachial-Action, die man aus den Filmen kennt, doch aufgrund des TV-Budgets sieht das nie besonders beeindruckend aus. Dieses Manko hättem man wettmachen können, wenn man bei den Drehbüchern etwas kreativer gewesen wäre. Aber leider scheinen die „Sarah Connor Chronicles“ immer nur das aus den Filmen bekannte Handlungsmuster nachzuahmen (mit dem ja auch die neueren Filmen nicht mehr überzeugen konnten): Immer wieder müssen sich Sarah, John und Cameron gegen einen neuen, aus der Zukunft geschickten Terminator zur Wehr setzen – und immer wieder besiegen sie den jeweiligen Terminator irgendwie. Da fragt man sich irgendwann schon, wie die Maschinen eigentlich die Herrschaft über die Menschheit aufrechterhalten können, wenn die Terminator-Modelle alle so ineffektiv sind.

Mit diesem sich wiederholenden Muster führt einem die Serie auf primitive Weise die Grundstruktur einer jeden TV-Serie vor Augen: Es muss immer weiter gehen, also müssen die Figuren auf immer neue Probleme treffen. Aber doch nicht immer auf die gleichen! Sarah fasst das Prinzip der Serie jedenfalls schon in der ersten Folge treffend mit „No one is ever safe“ zusammen. Auch die Tatsache, dass nach den Ereignissen der beiden Filme der Judgement Day und die Herrschaft der Maschinen doch hätte verhindert sein müssen, wird angesprochen. „You changed the future, you just didn’t change it enough“, belehrt John nämlich seine Mutter. Da kommt man sich als Zuschauer schon etwas für dumm verkauft vor. Gleichzeitig ist das „Terminator“-Universum damit ein äußerst pessimistisches; denn wenn der Judgement Day auf jeden Fall früher oder später eintritt, ganz egal was Sarah und John unternehmen, lohnt es sich dann überhaupt noch, gegen die Maschinen zu kämpfen? Oder dürfen John und Sarah gerade deswegen nicht aufgeben?

Wie auch immer, „Terminator: The Sarah Connor Chronicles“ macht nicht nur nichts anders oder gar besser als die letzten „Terminator“-Filme, sondern auch noch den Fehler, die sich längst totgelaufene immer gleiche Grundhandlung der Filme auch hier immer wieder gleich zu erzählen. Der größte Lichtblick der Serie ist dabei noch Lena Headey, die eine wesentlich überzeugendere Sarah Connor abgibt als ihre „Game of Thrones“-Kollegin Emilia Clarke in „Terminator: Genisys“. Mag sein, dass die Serie in der zweiten Staffel besser wird, mich hatte sie nach sechs Episoden allerdings immer noch nicht richtig gepackt. Erneut auf der Suche nach gutem Serienstoff, habe ich mich auf Netflix nach einer nicht allzu anspruchsvollen Serie für zwischendurch umgeschaut und bin mit „Scream“ fündig geworden.

Scream – Season 1

„Scream“ ist eine MTV-Produktion, die man in Deutschland bei Netflix gucken kann. Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Film-Franchise von Regisseur Wes Craven und Autor Kevin Williamson, das vier Filme (1996-2011) hervorgebracht hat. (Craven und Willamson sind an der Serie nicht beteiligt und Wes Craven ist leider 2015 verstorben.) Genau wie „The Sarah Connor Chronicles“ erzählt die „Scream“-Serie im Großen und Ganzen dasselbe wie die als Vorbild dienenden Filme. In Fall von „Scream“ ist das allerdings weniger schlimm und auch deutlich unterhaltsamer.

Ich spare mir mal eine genaue Zusammenfassung der Handlung. Natürlich spielt „Scream“ in einer amerikanischen Kleinstadt, natürlich steht im Mittelpunkt der Handlung eine Gruppe von Teenagern und natürlich wird die Stadt von einem Serienmörder heimgesucht. Dessen Morde stehen in Verbindung zu einer weiteren, bereits über 20 Jahre alten Mordserie. Leider sind damit aber nicht die Morde aus den ersten „Scream“-Filmen gemeint, denn die Serie baut nicht auf ihnen auf und führt völlig neue Figuren ein. Vor allem zu Beginn der zehn Folgen umfassenden Staffel erinnert die Serie immer wieder an aktuelle Teenie-Schocker wie „Unknown User“, die moderne Kommunikationsmedien und Mordserien verbinden. YouTube, Smartphones und Social Networks spielen dementsprechend eine große Rolle und statt einer Fernsehreporterin – wie in den Filmen – ist eine der Figuren nun eine Crime-Podcasterin. (Ganz ähnlich hat man in „Hannibal“ ja aus dem Zeitungsreporter des Romans für die Serie eine Bloggerin gemacht.)

Einige der Figuren mochte ich, andere wiederum waren mir unsympathisch und die eine oder andere weibliche Figure mochte ich nur deswegen, weil sie – wie fast alle Charaktere – wahnsinnig jung und gutaussehend ist. Letzteres ist bei einer Serie, die mit den Regeln des Slasher-Films spielen will, ja erlaubt. Eine moderne, feministische Serie ist „Scream“ allerdings noch lange nicht; auch wenn sei genau wie die Filme versucht, mit den Regeln des Genres zu spielen und immer wieder ganz schön meta sein will, ist „Scream“ im Grunde doch nur ein auf etwa 420 Minuten ausgedehnter Slasher-Film, bei dem sich hübsche, junge Menschen manchmal wahnsinnig dumm verhalten und so dem Mörder in die Falle gehen – allerdings nicht nur die weiblichen Figuren.

Das mit der Meta-Ebene, durch die sich die Filme auszeichneten, klappt in der Serie also nicht immer. In der ersten Folge unterhalten sich die Teenager mit ihrem Lehrer zwar noch darüber, ob ein Slasher-Film überhaupt als Serie funktionieren kann. Die späteren Episoden verlieren derartige Fragen jedoch etwas aus dem Blick, auch wenn immer noch eine Menge popkultureller Anspielungen vorkommen. Kann also ein Film wie „Scream“ auch als Serie funktionieren? Die Antwort lautet: ja, aber die Serie bleibt dabei doch eher in den Regeln des Genres gefangen. Es gelingt ihr kaum, sie zu unterlaufen wie das noch vor allem die ersten beiden Filme mehrmals taten.

Weil hier wie gesagt die Hauptfiguren im Teenager-Alter sind und Twitter, WhatsApp und dergleichen für sie so selbstverständlich ist wie Atmen, kam ich mir beim Anschauen der Serie schnell ganz schön alt vor. Dass selbst der Lehrer gerade mal fünf Minuten älter aussieht als seine Schüler, machte es nicht besser. Die einzige Möglichlichkeit, um sich wieder jung, relevant und auf der Höhe der Zeit zu fühlen, scheint der Serie zufolge im Konsum zu liegen. Denn dazu habe ich mich beim Anschauen immer wieder aufgefordert gefühlt, wenn die Figuren Bemerkungen darüber fallen lassen, dass iPods doch schon längst überholt sind und Facebook nur noch etwas für Leute von gestern ist. Wie hat es Alan Grant in „Jurassic Park“ – einem uralten Film von 1993 – doch formuliert: „Die Welt ändert sich so schnell, dass wir laufen müssen, um nicht zurück zu bleiben.“ „Scream“ hat mir die Wahrheit, die in diesem Satz steckt, wieder einmal vor Augen geführt.

Für Schauspieler stelle ich mir die Arbeit an einer solchen Serie als nicht besonders herausfordernd dar. Weil die Handlung nach jedem neuen Schrecken und jedem neuen Mord stets schnell weitergehen muss, dürfen die Figuren gar nicht realistisch trauern. Da erfährt zum Beispiel eine Person vom Tod eines Familienmitglieds, hält daraufhin aber nur kurz inne, um dann ganz normal weiterzumachen. Die Handlung muss schließlich weitergehen und schielt immer schon auf den nächsten Mord, statt sich ernsthaft mit den Konsequenzen der vergangenen Morde für die Überlebenden zu beschäftigen. Aber das habe ich natürlich von einer Teenie-Slasher-Serie auch nicht wirklich erwartet.

Die Geschichte verläuft also in etwa so, wie man das erwartet. Ich hatte zwar bis zum Schluss keine Ahnung, welche der Figuren der Mörder ist (das Rätselraten darum gehörte ja schon immer zur „Scream“-Reihe), aber ich bin bei solchen Vorhersagen generell wahnsinnig schlecht. Die letzten Folgen haben mich erfolgreich auf mehrere falsche Fährten geführt, wodurch es auch zum Schluss noch spannend blieb. Bahnbrechende Unterhaltung ist „Scream“ also sicher nicht, aber doch gut gemacht und mit kaum Längen. In die zweite Staffel werde ich sicher auch mal reinschauen.

Hannibal – Die dritte Staffel

Achtung! Dieser Text enthält Spoiler zur dritten Staffel von „Hannibal“!

„Hannibal“ ist eine Serie voller Gegensätze. Jede Episode ist voller grausamer Bilder, die aber doch so kunstvoll und ästhetisch in Szene gesetzt sind, dass man nicht wegschauen kann. Die Serie hat zahlreiche Fans auf der ganzen Welt („Fannibals“), wurde aber nach der dritten Staffel wegen schlechter Quoten abgesetzt. In den Haupt- und Nebenrollen sind namhafte Stars aus Film und Fernsehen zu sehen, deren Schauspiel hier aber oft so entrückt und fremdartig wirkt, dass es mit ihren anderen Arbeiten kaum zu vergleichen ist.

Hannibal - Blu-raySchon von den ersten Episoden an war ich ein Fan von „Hannibal“. (Die erste Staffel habe ich im Blog besprochen, bei der zweiten habe ich es leider versäumt.) Ich habe die Romane von Thomas Harris gelesen und alle früheren Verfilmungen des Stoffes gesehen. Ridley Scotts „Hannibal“ hatte es mir für eine Weile besonders angetan. Als ich von Bryan Fullers Plan erfuhr, in der Serie nacheinander die drei Romane „Roter Drache“, „Das Schweigen der Lämmer“ und „Hannibal“ fürs Fernsehen zu adaptieren, war ich begeistert. Und wer hätte sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass Mads Mikkelsen sich die Rolle des Hannibal Lecter so sehr zu eigen machen würde – eine Rolle, die zuvor untrennbar mit der Darstellung durch Sir Anthony Hopkins verbunden schien.

Dr Hannibal LecterBasierend auf Figuren aus „Roter Drache“ – allen voran Will Graham (Hugh Dancy), Dr. Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) und Jack Crawford (Laurence Fishburne) – erzählten die ersten beiden Staffeln der Serie weitgehend neue Geschichten. Erst in der dritten Staffel beginnen Fuller und die anderen Drehbuchautoren nun konkret damit, Handlungsstränge aus den Romanen zu adaptieren. In der ersten Hälfte der Staffel hält man sich dabei an den Roman „Hannibal“, während die zweite Hälfte sich an „Roter Drache“ orientiert. Dass die beiden Bücher eigentlich in umgekehrter Reihenfolge spielen (und mit einem Abstand von mehreren Jahrzehnten) spielt dabei keine Rolle. Denn die Serie war von Beginn an keine strenge Adaption der Romane – was sowieso langweilig gewesen wäre – sondern eher so eine Art Remix der aus den Büchern und bisherigen Verfilmungen bekannten Figuren und Handlungselemente. (Übrigens haben die Serienmacher sich zwar die Rechte an den Romanen „Roter Drache“, „Hannibal“ und der Lecter-Vorgeschichte „Hannibal Rising“ sichern können, jedoch noch nicht an „Das Schweigen der Lämmer“. Dies ist der Grund dafür, warum in der Serie bisher keine Figuren und Elemente aus diesem Buch aufgetaucht sind, u.a. natürlich auch nicht Clarice Starling.)

Jack CrawfordFans des Hannibal Lecter-Universums bekommen mit „Hannibal“ sowohl viele altbekannte Elemente vorgesetzt, die man bei einer Adaption des Stoffes erwartet, als auch Neues und Überraschendes. Ein Beispiel ist die Balkon-Szene in Florenz, die man aus dem Roman „Hannibal“ und dessen Verfilmung kennt und die eine meiner Lieblingsszenen des Films ist. Sie läuft in der Serie zunächst genau so ab, wie man es voller Spannung und Vorfreude erwartet: Hannibal Lector karrt den gefesselten Inspektor Pazzi (Fortunato Cerlino) auf einen Balkon des Palazzo Vecchio, um ihm dort den Bauch aufzuschlitzen. Genau wie im Roman erhält Pazzi einen Anruf und genau wie man es erwartet, geht Lecter ans Telefon. Hier ist es aber (aus den erwähnten Gründen) nicht Clarice Starling, die anruft um Pazzi vor Lecter zu warnen, sondern die FBI-Psychologin und ehemalige Lecter-Geliebte Alana Bloom (Caroline Dhavernas). Und als Lecter Pazzi schließlich vom Balkon stürzt und dort baumeln lässt, wird die Szene durch die Ankunft von Jack Crawford erweitert, der Lecter sodann in einem Kampf auf Leben und Tod verwundet. Aber Lecter entkommt.

Als Lecter in der nächsten Folge Will Graham und Crawford in seine Gewalt bringen kann, bringt uns das zu einer Abwandlung der berühmten „Gehirnszene“ aus „Hannibal“. Hier ist es nun Will, dessen Schädel Lecter aufschneiden will. Leider kommt es nicht dazu – dafür habe ich mich hier aber bei meinem eigenen Voyeurismus ertappt, weil ich richtig enttäuscht war, dass nun doch kein Schädel aufgeschnitten und kein Gehirn verfüttert wurde. Immerhin waren die Blutspritzer, als Lecter seine Säge an Wills Kopf ansetzte, sehr schön – selten zuvor sahen Gewalt und Tod so kunstvoll und ästhetisch aus wie in „Hannibal“.

Hannibal Lecter & Bedelia Du MaurierLeichte Unterhaltung ist „Hannibal“ sicher nicht, und das nicht nur wegen des hohen Gewaltanteils. Die Serie macht es ihren Zuschauern auch nicht leicht. Die Handlung wird zu einem großen Teil über Bilder vermittelt und nicht immer chronologisch erzählt. Zeitsprünge sind ebenso an der Tagesordnung wie minutenlange Szenen gänzlich ohne Dialoge, untermalt nur von der eigenwilligen, aber äußerst passenden und effektiven Musik von Brian Reitzell. Es ist schon eine Weile her, dass ich die zweite Staffel angeschaut habe, aber ich hatte nun bei der dritten Staffel den Eindruck, als sei die Serie noch einmal ein ganzes Stück sonderbarer geworden. Die teils surrealen Bilder und die nicht traditionelle Erzählweise gehörten ja schon immer zum Stil der Serie, aber in der dritten Staffel wird die Schraube diesbezüglich noch einmal ein ganzes Stück angezogen. Wer schon die ersten beiden Staffeln geliebt hat, wird das mögen. Aber neue Zuschauer kann man so sicher keine gewinnen und auch diejenigen, die „Hannibal“ bisher als crime drama zu schätzen wussten, werden zumindest in der ersten Hälfte der Staffel enttäuscht. Das aus den ersten zwei Staffeln bekannte Schema, wo Will und Hannibal stets mit vereinten Kräften einem Mörder auf die Spur kommen mussten, wird hier fallen gelassen. Einfach mal eben eine Folge anschauen und sich davon gut unterhalten lassen, ist sowieso nicht möglich. Man muss schon ganz genau bescheid wissen und kann nicht einfach mittendrin einsteigen. Dafür wird hier viel zu episodenübergreifend erzählt; die Handlung bricht meist am Episodenenede einfach ab und wird in der nächsten Folge wieder aufgenommen. Zudem geht die Handlung manchmal ziemlich langsam voran. Oder wirkt das nur aufgrund des Stils und des Schauspiels so? Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass die von den Regisseuren am meisten gegebene Regieanweisung „Noch langsamer!“ gewesen sein muss. Das soll kein Kritikpunkt sein, das Langsame, Traumartige ist ganz einfach Teil des „Hannibal“-Stils. Es schlägt sich auch im Schauspiel nieder. Ganz besonders Gillian Anderson spricht ihre Dialoge so, als sei sie die ganze Zeit auf Drogen (zugegeben: das ist ihre Figur vielleicht wirklich). Noch besser fand ich in dieser Staffel nur Richard „Thorin“ Armitage als von Zweifeln und Selbsthass geplagten Serienmörder Francis Dolarhyde. In seiner ersten Folge hatte er glaube ich keine einzige Dialogzeile! Teilweise wirkt das, als würde man ihm bei einer Schauspielübung zusehen, weil man derartige Darstellungen aus Film und Fernsehen einfach kaum gewohnt ist. In welcher anderen Serie bekommen Schauspieler schon die Gelegenheit, so körperbetont und fast wie in einem Stummfilm zu spielen?

Will GrahamDas Ergebnis dieser eigenwilligen Mixtur hat leider wohl viele Zuschauer befremdet. Die zweite Hälfte der Staffel ist zwar weniger experimentell als die erste, doch zu diesem Zeitpunkt dürfte schon ein Teil des Publikums verloren gewesen sein, was ich sehr, sehr schade finde. Ich hätte so gerne noch gesehen, wie Bryan Fuller „Das Schweigen der Lämmer“ (sofern er die Rechte bekommen hätte) und weitere Elemente der anderen Romane adaptiert. Das Ende der Staffel fand ich jedenfalls sehr gekonnt geschrieben und inszeniert. Ich hatte mich schon gefragt, ob Hannibal Lecter für den Rest der Serie in Gefangenschaft bleiben soll. Doch seine Flucht, bei der Dolarhyde nachgeholfen hat, war tatsächlich glaubwürdig, der anschließende Kampf Wills und Hannibals gegen Dolarhye nerven- und das Ende herzzerreißend. Hannibal Lecter stürzt sich mit Will Graham von der Klippe – Dr Lecter liebt eben nicht nur Menschenleber und guten Wein, sondern auch das große Drama.

Falls das also wirklich das Ende sein sollte und „Hannibal“ keine Fortsetzung bei einem Streamingdienst oder in Form eines Kinofilms vergönnt ist, dann bleibt neben einer großartig inszenierten Serie mit grandiosen Schauspielleistungen auf jeden Fall eines der tragischsten Liebespaare der Fernsehgeschichte: Will Graham und Dr Hannibal Lecter. Zur Verdeutlichung hier ein paar Zitate: „I’ve never known myself as well as I know myself when I’m with him“, sagt Will über Hannibal. Und als sie sich ein paar Folgen später gegenüber stehen: „You and I have begun to blur. (…) We’re conjoined. I’m curious whether either of us can survive separation.“ Die vorletzte Episode enthält dann schließlich die Abwandlung eines meiner Lieblingszitate aus „Hannibal“ (dem Buch und Film). Will fragt Bedelia Du Maurier (Gillian Anderson): „Is Hannibal in love with me?“, und sie antwortet: „Could he daily feel a stab of hunger for you and find nourishment at the very sight of you? Yes. But do you ache for him?“

Mit „Hannibal“ ist es den Autoren und Schauspielern gelungen, dem Mythos um Hannibal Lecter eine weitere Facette hinzu zu fügen. Fanden wir den intelektuellen Kannibalen auch bisher aufgrund seiner Widersprüche schon faszinierend, so haben wir hier auch seine menschliche, weiche und emotionale Seite kennen gelernt. Noch mehr als früher wünschen wir Hannibal, dass er ungeschoren davon kommt, nicht geschnappt wird und in Freiheit leben und speisen darf bis an sein Lebensende – nur eben nun zusammen mit seiner großen Liebe Will Graham.

Die dritte Staffel von „Hannibal“ ist auf DVD und Blu-ray erhältilch. Als Bonusmaterial sind nicht nur zahlreiche interessante Audiokommentare enhalten, sondern auch eine zweistündige und damit sehr umfangreiche Making of-Dokumentation.

Copyright Bilder: Studiocanal

„The Visit“ von M. Night Shyamalan

M. Night ShyamalanDer Name M. Night Shyamalan auf einem Filmplakat löst bei Filmfans unterschiedliche Reaktionen aus. Diese reichen von freudiger Erwartung bis hin zu empörter Abwendung. Zugegeben, mehr und mehr frühere Fans neigen in den letzten Jahren eher zu letzterer Reaktion, hat der nach „The Sixth Sense“ (1999) als neues Regie-Wunder gefeierte Shyamalan doch spätestens mit „Die Legende von Aang“ („The Last Airbender“, 2010) und „After Earth“ (2013) zwei Filme abgeliefert, die sich selbst eingefleischte Fans nicht mehr schönreden konnten. Ich persönlich habe den Regisseur zumindest bis „The Happening“ (2008) immer gegen die meiner Meinung nach zu scharfe Kritik an seinen Filmen verteidigt. „Unbreakable“ (2000) halte ich für ein kleines Meisterwerk und zähle „The Village“ (2004) zu meinen Lieblingsfilmen. Dass ich „Lady in the Water“ („Das Mädchen aus dem Wasser“, 2006) und „The Happening“ aber jeweils nur einmal gesehen habe und seitdem nicht mehr zu ihnen zurückgekehrt bin, zeigt vielleicht schon, dass auch ich Angst habe, diese Filme könnten bei einer zweiten Sichtung in einem ganz anderen Licht erscheinen und viel von der Faszination verlieren, die sie auf mich ausgeübt haben. „After Earth“ war schließlich einer der schlechtesten Filme, die ich je gesehen habe – das muss ich einfach so sagen und diesen Film will ich auch ganz bestimmt kein zweites Mal sehen.
Trotzdem bin ich auf jeden neuen Film von Shyamalan gespannt. Der Mann hat schließlich schon mal bewiesen, was er draufhat und es könnte ja sein, dass ihm eines Tages wieder ein so meisterhaft inszenierter, atmosphärisch dichter und hervorragend gespielter Film gelingt, wie es in der Schaffensphase von „The Sixth Sense“ bis „The Village“ der Fall war. Nun, sein neuester Film „The Visit“, der am 4. Februar auf DVD und Blu-ray erscheint, ist kein solcher Film – und ist dennoch keine Enttäuschung.
The Visit - Blu-rayNachdem anscheinend niemand mehr in Hollywood bereit ist, Shyamlan größere Geldsummen für einen Film zur Verfügung zu stellen, hat dieser aus der Not eine Tugend gemacht und „The Visit“ als Found Footage-Film gedreht, was bedeutet: Es darf hier nicht nur billig und amateurhaft aussehen, sondern das ist sogar gewollt. Der Film erzählt die Geschichte der 15-jährigen Rebecca (Olivia DeJonge) und ihres 13-jährigen Bruders Tyler (Ed Oxenbould). Die beiden besuchen für eine Woche ihre Großeltern, die sie nie zuvor getroffen haben, da Rebeccas und Tylers Mutter (Kathryn Hahn) als 19-Jährige den Kontakt zu ihnen abgebrochen hat. Den genauen Grund dafür verschweigt sie ihren Kindern, will ihnen aber den Wunsch nicht verwehren, die Großeltern endlich kennen zu lernen. Da sie und ihr Lebensgefährte eine Kreuzfahrt machen, kommt es ihr sowieso gerade recht, dass sie die Kinder für eine Woche dort unterbringen kann. Sie setzt Rebecca und Tyler also in den Zug und die beiden machen sich auf zu Oma und Opa (Peter McRobbie und Deanna Dunagan). Die Hobbyfilmerin Rebecca will die Chance nutzen und eine Dokumentation über das Zusammentreffen mit ihren Großeltern drehen. Insgeheim hofft sie dabei, den Grund für das plötzliche Ausreißen ihrer Mutter aus dem Elternhaus und den folgenden Kontaktabbruch herauszufinden.
Doch erst einmal machen sie und ihr Bruder ganz andere Entdeckungen. Die zunächst so sympathisch wirkenden Großeltern lassen nach und nach immer mehr seltsame, erschreckende und verstörende Seiten erkennen. Die Oma kotzt nachts in den Hausflur, rennt wie wahnsinnig durchs Haus und kratzt nackt an der Tür; der Opa wiederum werkelt tagsüber in einem Schuppen, zu dem er niemand anderem Zutritt gewährt und hat gelegentliche Anfälle von Verwolgungswahn. Rebecca und Tyler bekommen es allmählich mit der Angst zu tun und fragen sich, was mit ihren Großeltern los ist.

The Visit 2Bei „The Visit“ hat Shyamalan nicht nur kein zweistelliges Millionenbudget mehr zur Verfügung, auch sonst ist der Film in vielfacher Hinsicht sehr reduziert gehalten. Es gibt nur wenige Darsteller und der Großteil der Handlung spielt sich im bzw. um das Farmhaus der Großeltern ab. Gefilmt ist das alles wie gesagt im Found Footage-Stil, da der Film die Illusion vermitteln will, gänzlich aus dem von Rebecca gefilmten Material zusammen geschnitten worden zu sein. (Ob es sich tatsächlich um Found Footage handelt, sprich: ob jemand anderes das Material gefunden und geschnitten hat oder aber ob Rebecca die Arbeit an ihrem Film selbst beendet hat, kann man natürlich nicht verraten, ohne zu spoilern.) Diese Illusion wird auch recht überzeugend aufrecht erhalten und so fängt die Kamera hier das Geschehen schon mal auf einem Geländer oder auf der Arbeitsplatte in der Küche liegend ein. Viel unglaubwürdiger als das Found Footage-Konzept ist an dem Film sowieso die Tatsache, dass zwei Teenager sich voller Vorfreude auf die Fahrt zu ihren Großeltern machen, die sich noch nie gesehen haben und bei denen sie eine ganze Woche bleiben sollen…
Doch abgesehen von dieser Ausgangssituation sind die Charaktere glaubwürdig und der Film ziemlich unterhaltsam. Wie Tyler seiner Oma spontan seine Rap-Künste demonstriert und sich die Kinder darüber aufregen, dass es kein WiFi im Haus gibt, das wirkt lebensnah. Die Beiden scheinen anfangs gut mit ihren Großeltern auszukommen. Auch die ersten Anzeichen seltsamen Verhaltens bei den Großeltern werden auf Nachfragen der beiden Kinder von den Großeltern plausibel mit körperlichen und psychischen Krankheiten begründet. Die Großmutter habe einfach einen kurzen, aber schweren Magen-Darm-Infekt gehabt, erklärt der Opa zum Beispiel nach der ersten Nacht im Haus.

The Visit 4Horrorfilme thematisieren häufig auf die eine oder andere Weise das Verhältnis des Menschen zu seinem eigenen Körper. Zombies, Werwölfe oder die allmähliche Verwandlung eines Menschen in ein Insekt stehen als Metaphern für die Angst vor dem Verfall des Körpers und das Unbehagen, das oft mit körperlichen Veränderungen einhergeht – ganz besonders mit solchen, die den Körper schwach und gebrechlich machen. Bei „The Visit“ braucht man nicht viel herum deuten, um auf eine solche Lesart zu kommen, denn sie ist in den Film bereits eingebaut. Tyler und Rebecca versuchen sich nach ihrer ersten Panik zu beruhigen, indem sie das Verhalten der Großeltern schlicht als normales Verhalten alter Menschen (also: von Menschen mit alten Körpern) interpretieren. Im Alter leiden Menschen nun einmal häufiger unter Schlafstörungen, Inkontinenz oder Gedächtnislücken und sie entwickeln Verhaltensweisen und Vorstellungen, die anderen, jüngeren Menschen seltsam vorkommen können. All dies kommt auch in „The Visit“ vor, nur scheinen die Alten hier tatsächlich einfach nur alt zu sein und das Grauen nicht von der Verwandlung des Körpers in einen Werwolf zu kommen, sondern einfach von den natürlichen Begleiterscheinungen des Alterns. Auch in dieser Hinsicht ist „The Visit“ ein aufs Wesentliche reduzierter Horrorfilm: Wer braucht schon Zombies, wenn die realen Begleiterscheinungen des Alters genauso grauenvoll sein können?
(Und was mir außerdem aufgefallen ist: Jedesmal, wenn die Oma den Kindern eine plausible Erklärung für das seltsame Verhalten des Opas liefert, lenkt sie danach vom Thema ab, indem sie vom Essen spricht – was ja wieder in direktem Bezug zum Körper steht.)

Ihr merkt schon, der Film hat mich zum Nachdenken gebracht, was schon mal ein gutes Zeichen ist. Aber ich hatte auch Spaß. „The Visit“ ist definitiv kein Film, der sich selbst zu ernst nimmt, sondern sich der Tatsache bewusst ist, dass er Themen und Motive aufgreift, die im Horrorgenre ein alter Hut sind. Zwar bin ich mir nicht sicher, ob die Komik des Films nicht manchmal eine unfreiwillige ist, insgesamt ist es aber ein gutes Zeichen, dass Shyamalan inzwischen fähig zu sein scheint, so etwas wie Selbstironie in seine Filme einzubauen und nicht mehr alles so bierernst zu nehmen. Nur so ist es auch möglich, tatsächlich eine Szene im Film zu haben, in der die Großmutter ihre Enkelin bittet, in den Ofen zu kriechen, um ihn zu putzen. Das ist gruselig, gerade weil man weiß worauf hier Bezug genommen wird und genau deswegen darf man auch lachen (und kann sich trotzdem gleichzeitig noch gruseln).
The Visit 3Man darf also aufatmen: Shyamalans neuester Film ist kein erneuter Griff ins Klo. „The Visit“ hält durchgehend eine bedrohliche Atmosphäre aufrecht, hat einige kreative Einfälle zu bieten und punktet mit überzeugenden Schauspielleistungen (ganz besonders Deanna Dunagan merkt man an, wie viel Spaß es ihr macht, hier eine verrückte, alte Großmutter zu spielen und dabei einige Klischees des Horrorfilms durchzuexerzieren). Das Ende mag zwar nicht jeden Zuschauer befriedigen und ist ganz bestimmt nicht so verblüffend wie einst bei „The Sixth Sense“ oder „Unbreakable“,
muss es aber auch gar nicht sein. Eine künstlerische Weiterentwicklung stellt der Film für Shyamalan zwar nicht dar, aber nach den schrecklichen letzten Filmen ist sein back to basics-Ansatz – ob nun gewollt oder aus Sparzwang resultierend – trotzdem eine gute Entscheidung gewesen. Mit „The Visit“ erfindet er das Rad nicht neu, aber Shyamalan erinnert uns endlich wieder an seine Stärken als Filmemacher. Zugegeben, ich finde den Film vielleicht zum Teil deswegen gut, weil er eben auf (mindestens) zwei wirklich schlechte Filme folgt; aber trotzdem: wenn Shyamalan sich bei seinem nächsten Film auf dieselben Stärken besinnt, erneut die Fähigkeit zur Selbstironie zeigt und ein paar mehr kreative Risiken eingeht, dann könnte das Ergebnis ein noch besseres sein. Und irgendwann könnte es dann so weit sein, dass man sich auf einen neuen Shyamalan-Film wieder uneingeschränkt freuen kann. Das ist momentan noch schwer vorstellbar, doch mit „The Visit“ ist der Regisseur schon mal auf dem richtigen Weg.

Bilder: Copyright Universal Pictures

Poltergeist (1982) – von desperate housewives und Geistergemeindeversammlungen

Vor ein paar Wochen bin ich auf Facebook auf ein Video-Review zur neuen 3D-Fassung von „Jurassic Park“, die in den USA bereits angelaufen ist (Deutschlandstart ist im September), aufmerksam geworden. Da Steven Spielbergs Dinosaurier-Klassiker einer meiner Lieblingsfilme ist, musste ich das Video natürlich sofort in voller Länge ansehen. Als ich dann feststellte, dass der Autor des Videos, Donald W. Pfeffer, auf seinem YouTube-Kanal derzeit dabei ist, sich in einem „Spielberg-A-Thon“ an sämtlichen Werken des Regisseurs abzuarbeiten, verbrachte ich schließlich zwei ganze Abende damit, mir seine Besprechungen aller Filme von Steven Spielberg anzuschauen, inklusive einiger früher Fernseharbeiten und des einen oder anderen Films, bei dem Spielberg gar nicht selbst Regie geführt hat. Pfeffer bespricht die Spielberg-Filme überwiegend in chronologischer Reihenfolge („Jurassic Park“ wurde aufgrund der aktuellen 3D-Wiederveröffentlichung vorgezogen) und ist momentan bei der „Jurassic Park“-Fortsetzung „The Lost World“ angekommen. Es werden in den nächsten Wochen und Monaten also noch mindestens zwölf weitere Videos folgen, die die Filme thematisieren werden, die Spielberg seitdem noch gemacht hat. (Übrigens finden sich auf Pfeffers YouTube-Seite und auf seinem Blog „Blessed Are The Geeks“ auch noch Video-Reviews zu allen „Planet der Affen“-Filmen sowie ein ganzer „Bond-A-Thon“, in dem alle – aber wirklich alle! – Filme besprochen werden, in denen die Figur des James Bond aufgetreten ist. Das trug ebenfalls dazu bei, dass ich zwei volle Abende vor meinem Laptop saß und mich von einem Video zum nächsten klickte.) Pfeffers Videos sind meistens sehr unterhaltsam, man erfährt immer wieder interessante Hintergrundfakten zu den besprochenen Filmen und natürlich ist es auch jedes Mal wieder einfach schön, ein wenig in Erinnerung an Filme zu schwelgen, die man schon lange nicht mehr gesehen hat (das einzige wirklich schlechte und langeweilige unter den Video-Reviews ist das zu Spielbergs „Hook“ – wenn Ihr es anschaut, werdet Ihr merken, warum).

Die allermeisten Werke von Steven Spielberg habe ich mindestens einmal gesehen. „Poltergeist“, einen Film, an dem Spielberg 1982 offiziell „nur“ als Produzent beteiligt war, kannte ich allerdings noch nicht. In Pfeffers Besprechung zum Film wird ausführlich der Frage nachgegangen, inwiefern man diesen Film trotzdem als Spielberg-Film bezeichnen kann. Offiziell ist Tobe Hooper der Regisseur des Films (nicht zu verwechseln mit Tom Hooper, der „The King’s Speech“ und „Les Misérables“ gedreht hat), Spielberg scheint aber zumindest phasenweise die Regie selbst übernommen zu haben. Vor kurzem habe ich mir „Poltergeist“ ausgeliehen und spät abends angeschaut; es handelt sich definitiv nicht um einen Film, den man unbedingt gesehen haben muss, aber wenn man wie ich ein großer Fan von Steven Spielberg ist, dem 80er-Jahre-Look des Films etwas abgewinnen kann (wir hatten früher zuhause die gleichen Stühle!) und vielleicht auch noch ein Fan des Übernatürlichen und von Geistergeschichten ist, dann kann man mit diesem Film bestimmt nichts falsch machen.

„Poltergeist“ handelt schlicht und einfach davon, dass eine fünfköpfige Familie in ihrem selbst gebauten Vorstadthaus von Geistern heimgesucht wird. Zunächst macht sich das nur durch sich wie von selbst verrückende Stühle und ein paar fliegende Gegenstände bemerkbar, kurz darauf verschwindet dann aber die fünfjährige Tochter Carol Anne (Heather O’Rourke) und muss mit Hilfe einer Gruppe von Parapsychologen wieder befreit werden – und zwar aus dem Fernseher, in dem sie anscheinend gefangen war. Verstehen muss man das alles nicht, aber schließlich geht es ja auch um Vorgänge und Erscheinungen, die jenseits unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen. Die Drehbuchautoren – unter ihnen Spielberg – haben hier wohl all das in den Film geschrieben, was sie selbst gerne sehen wollten und mussten sich aufgrund der bequemen Ausgangslage der Geschichte gar keine Gedanken darum machen, wie viel oder wenig Sinn es ergibt. Und das ist auch okay so, wenn man von „Poltergeist“ nicht mehr erwartet, als eine knapp zweistündige Fahrt durch die Geisterachterbahn. Als solche funktioniert der Film tadellos, die Special Effects können zum Teil auch heute noch beeindrucken und vor allem die Darsteller überzeugen. Jobeth Williams und Craig T. Nelson spielen das in den Wahnsinn getriebene und immer mehr verzweifelnde Ehepaar; während Nelson im Verlauf des Films immer hilfloser wirkt, weil er allein nichts gegen die Geister ausrichten und seine Familie nicht wirkunsvoll beschützen kann, beeindruckt Williams als verzweifelte, zu allem bereite Mutter, die ihre Tochter um jeden Preis zurück in die Welt der Lebenden holen will. Unter den Nebendarstellern ist zum einen Beatrice Straight hervorzuheben, die die Parapsychologin Dr. Lesh spielt. Ihre Rolle besteht nach einer ersten Untersuchung des verfluchten Hauses zwar hauptsächlich darin, mit aufgerissenen Augen und zitternden Händen herumzustehen, sie legt aber eine solches Maß an Ernsthaftigkeit in ihre Darstellung, dass dies den ganzen Film aufwertet. Wenn Dr. Lesh den anderen Figuren und uns Zuschauern den Unterschied zwischen Poltergeistern und anderen Gespenstern erklärt, dann zieht einen das so in die Handlung hinein, dass man zumindest vorübergehend gar nicht mehr darauf kommt, diesen ganzen Spuk lächerlich zu finden.

Eine weitere interessante Nebenfigur ist das von Zelda Rubinstein gespielte „Medium“ Tangina – schon allein wegen der vielen kultigen Zeilen, die die Autoren der Schauspielerin in den Mund gelegt haben („Y’all mind hanging back? You’re jamming my frequency“). Der wirkliche Star des Films ist aber die kleine Heather O’Rourke, die die fünfjährige Tochter Carol Anne spielt (und deren unheimliches „They’re here!“ wahrscheinlich das bekannteste Zitat aus dem Film ist). Von Steven Spielberg zufällig entdeckt, wurde sie durch ihre Rolle in „Poltergeist“ zum Kinderstar, spielte auch in den beiden Fortsetzungen mit und starb leider 1988 im Alter von nur zwölf Jahren.

Im Film wird von Dr. Lesh und Tangina ausführlich erklärt, was ein Poltergeist ist, was er will und warum nun einer die kleine Carol Anne entführt hat. Ich habe jedoch schon zu Beginn des Films begonnen, meine eigene Theorie zu den geschilderten Ereignissen zu entwickeln: Ziemlich früh im Film sieht man die Mutter, Diane, neben ihrem Mann auf dem Bett sitzen und einen Joint rauchen (ich behaupte jetzt einfach mal, dass das keine normale Zigarette war). Später im Film versichert ihr die Parapsychologin Dr. Lesh, dass sie sie nicht allein lassen und sich um sie kümmern wird; denn Diane fühlt sich hilflos, einsam, verzweifelt. Das ist angesichts der traumatisierenden Ereignisse und des Verschwindens ihrer Tochter verständlich, aber steckt nicht vielleicht noch mehr dahinter? Geht es hier vielleicht nur vordergründig um „echte“ Geister, tatsächlich aber um die inneren Dämonen einer zutiefst verzweifelten Mutter und Hausfrau? Sie und ihr Mann scheinen alles zu haben, was sie sich nur wünschen könnten – ein neues Haus, finanzielle Absicherung, drei wunderbare Kinder. Doch ist das wirklich das Leben, das sich Diane erträumt hat? Mutter und Hausfrau, also kochen, putzen, bei den Hausaufgaben helfen und abends dem Mann zuhören, wenn er vom Stress in der Arbeit erzählt? Vielleicht ist es ja kein Wunder, dass Diane allmählich vollkommen ausgelaugt ist, sich leer und verzweifelt fühlt – die klassischen Symptome einer desperate housewife, die vom immer gleichen Vorstadtalltag irgendwann einfach die Nase voll hat. Was macht sie also? Sie sucht Ablenkung, versucht sich zu beruhigen. Vielleicht mal hier und da ein Gläschen Wein, eine schnelle Zigarette, nachdem die Kinder morgens aus dem Haus sind. Und vielleicht auch mal einen Joint. Die Kombination leichter bis mittelschwerer Drogen mit der sich über Jahre hinweg angestauten inneren Unruhe kann durchaus dazu führen, dass man die Geister, von denen man sich heimgesucht fühlt, tatsächlich vor sich sieht. Existieren all die Geschehnisse des Films also nur in Dianes Kopf? Ist die Parapsychologon Dr. Lesh nur eine Manifestation von Dianes unterbewusstem Wunsch nach einer Flucht aus diesem Leben? Diese Theorie ist nicht ganz ernst gemeint – und ich selbst habe während des Films nicht geraucht und nur Tee getrunken!

Und noch einen lustigen Gedanken hatte ich nach dem Film. An dieser Stelle muss ich allerdings eine Spoilerwarnung aussprechen, denn nun werde ich den kleinen Twist am Ende des Films verraten: „Poltergeist“ endet mit einem Schuss Kapitalismuskritik, denn wieder einmal war es die Gier des Menschen, die Schuld daran ist, dass es überhaupt zu all den schrecklichen Ereignissen kommen konnte. Es stellt sich nämlich heraus, dass die Neubausiedlung, in der das von den Geistern heimgesuchte Haus steht, auf dem Gelände eines früheren Friedhofs erbaut wurde. Der Friedhof wurde zwar vor dem Bau der Häuser an eine andere Stelle versetzt, aber um Geld zu sparen wurden vor dem Bau lediglich die Grabsteine versetzt. Die Leichen blieben im Boden! (Wieso das niemandem aufgefallen ist, ist mir ein Rätsel. Beim Graben müssen die Bauarbeiter doch auf die Särge gestoßen sein. Oder haben die Häuser in Amerika tatsächlich alle keine Keller?) Grund für den ganzen Spuk scheint also das Unbehagen der Leichen/Geister darüber gewesen zu sein, plötzlich eine Neubausiedlung quasi auf dem Dach zu haben. Was mich allerdings stutzig gemacht hat, war die Tatsache, dass lediglich ein einziges Haus zum Opfer ihres Spuks (und am Ende schließlich vollkommen zerstört) wurde. Wenn die Geister die lebenden Menschen loswerden wollten, warum haben sie dann nicht in allen Häusern ihr Unwesen getrieben?

Über die Gründe für diese Entscheidung sollte man einen weiteren Film drehen. Und zwar kein Sequel oder Prequel, sondern sozusagen ein „Sidequel“ (okay, es wäre auch zum Teil ein Prequel) – eine Geschichte, die jedenfalls teilweise parallel zu den in „Poltergeist“ gezeigten Ereignissen abläuft und darstellt, wie die verärgeten Geister zu der Entscheidung gekommen sind, sich auf dieses eine Haus zu konzentrieren. Ganz genau, dieser Film erzählt die Ereignisse überwiegend aus der Sicht der Geister! Meine Theorie dazu sieht so aus: Auf einer großen Geistergemeindeversammlung bilden sich zu dem Thema, wie mit der Neubausiedlung umgegangen werden soll, (mindestens) zwei Fraktionen. Die einen sind dafür, einfach der gesamten Siedlung und allen sie bewohnenden Menschen quasi den Krieg zu erklären. Also alle Häuser bespuken, die Menschen entführen oder töten und schließlich alles zerstören, damit das Friedhofsgeläne am Schluss wieder den Geistern gehört. Eine kleine Minderheit, die sich schließlich durchsetzt, hat aber eine viel bessere Idee (diese Minderheit könnte aus nur einem einzigen Geist bestehen, den man zur Hauptfigur des Films machen könnte) und kann sich schließlich durchsetzen: Sie setzen auf einen gezielten Angriff auf nur ein einziges Haus. Auf diese Weise muss man nur ein Haus zerstören, alle übrigen bleiben intakt. Da aber natürlich kein vernünfiger Mensch mehr in einer Siedlung wohnen will, in der eine Familie von Geistern terrorisiert worden und schließlich ihr ganzes Haus zerstört worden ist, kann man davon ausgehen, dass die übrigen Familien nach und nach alle wegziehen werden. Die Siedlung wird zur Geisterstadt – im wahrsten Sinne des Wortes, wenn es sich schließlich nach dem Weggang aller Lebenden die Untoten dort bequem machen. Neubauhäuser sind doch so viel schöner als Grabsteine! Zudem kann man zu diesem Film auch noch Sequels drehen, da sich ja bestimmt immer wieder Menschen in diese Geisterstadt verirren (das wäre dann wohl so eine Art „Silent Hill“). Hmm, vielleicht sollte ich diese Idee mal bei MGM pitchen, dort wird nämlich angeblich an einem „Poltergeist“-Remake gearbeitet. Aber ein reines Remake ist doch langweilig, meine Story-Idee hat dagegen den Vorteil, dass das Ganze mal von der anderen Seite aus betrachtet wird….. „It’s Poltergeist – with a twist!“