Vor ein paar Wochen bin ich auf Facebook auf ein Video-Review zur neuen 3D-Fassung von „Jurassic Park“, die in den USA bereits angelaufen ist (Deutschlandstart ist im September), aufmerksam geworden. Da Steven Spielbergs Dinosaurier-Klassiker einer meiner Lieblingsfilme ist, musste ich das Video natürlich sofort in voller Länge ansehen. Als ich dann feststellte, dass der Autor des Videos, Donald W. Pfeffer, auf seinem YouTube-Kanal derzeit dabei ist, sich in einem „Spielberg-A-Thon“ an sämtlichen Werken des Regisseurs abzuarbeiten, verbrachte ich schließlich zwei ganze Abende damit, mir seine Besprechungen aller Filme von Steven Spielberg anzuschauen, inklusive einiger früher Fernseharbeiten und des einen oder anderen Films, bei dem Spielberg gar nicht selbst Regie geführt hat. Pfeffer bespricht die Spielberg-Filme überwiegend in chronologischer Reihenfolge („Jurassic Park“ wurde aufgrund der aktuellen 3D-Wiederveröffentlichung vorgezogen) und ist momentan bei der „Jurassic Park“-Fortsetzung „The Lost World“ angekommen. Es werden in den nächsten Wochen und Monaten also noch mindestens zwölf weitere Videos folgen, die die Filme thematisieren werden, die Spielberg seitdem noch gemacht hat. (Übrigens finden sich auf Pfeffers YouTube-Seite und auf seinem Blog „Blessed Are The Geeks“ auch noch Video-Reviews zu allen „Planet der Affen“-Filmen sowie ein ganzer „Bond-A-Thon“, in dem alle – aber wirklich alle! – Filme besprochen werden, in denen die Figur des James Bond aufgetreten ist. Das trug ebenfalls dazu bei, dass ich zwei volle Abende vor meinem Laptop saß und mich von einem Video zum nächsten klickte.) Pfeffers Videos sind meistens sehr unterhaltsam, man erfährt immer wieder interessante Hintergrundfakten zu den besprochenen Filmen und natürlich ist es auch jedes Mal wieder einfach schön, ein wenig in Erinnerung an Filme zu schwelgen, die man schon lange nicht mehr gesehen hat (das einzige wirklich schlechte und langeweilige unter den Video-Reviews ist das zu Spielbergs „Hook“ – wenn Ihr es anschaut, werdet Ihr merken, warum).
Die allermeisten Werke von Steven Spielberg habe ich mindestens einmal gesehen. „Poltergeist“, einen Film, an dem Spielberg 1982 offiziell „nur“ als Produzent beteiligt war, kannte ich allerdings noch nicht. In Pfeffers Besprechung zum Film wird ausführlich der Frage nachgegangen, inwiefern man diesen Film trotzdem als Spielberg-Film bezeichnen kann. Offiziell ist Tobe Hooper der Regisseur des Films (nicht zu verwechseln mit Tom Hooper, der „The King’s Speech“ und „Les Misérables“ gedreht hat), Spielberg scheint aber zumindest phasenweise die Regie selbst übernommen zu haben. Vor kurzem habe ich mir „Poltergeist“ ausgeliehen und spät abends angeschaut; es handelt sich definitiv nicht um einen Film, den man unbedingt gesehen haben muss, aber wenn man wie ich ein großer Fan von Steven Spielberg ist, dem 80er-Jahre-Look des Films etwas abgewinnen kann (wir hatten früher zuhause die gleichen Stühle!) und vielleicht auch noch ein Fan des Übernatürlichen und von Geistergeschichten ist, dann kann man mit diesem Film bestimmt nichts falsch machen.
„Poltergeist“ handelt schlicht und einfach davon, dass eine fünfköpfige Familie in ihrem selbst gebauten Vorstadthaus von Geistern heimgesucht wird. Zunächst macht sich das nur durch sich wie von selbst verrückende Stühle und ein paar fliegende Gegenstände bemerkbar, kurz darauf verschwindet dann aber die fünfjährige Tochter Carol Anne (Heather O’Rourke) und muss mit Hilfe einer Gruppe von Parapsychologen wieder befreit werden – und zwar aus dem Fernseher, in dem sie anscheinend gefangen war. Verstehen muss man das alles nicht, aber schließlich geht es ja auch um Vorgänge und Erscheinungen, die jenseits unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen. Die Drehbuchautoren – unter ihnen Spielberg – haben hier wohl all das in den Film geschrieben, was sie selbst gerne sehen wollten und mussten sich aufgrund der bequemen Ausgangslage der Geschichte gar keine Gedanken darum machen, wie viel oder wenig Sinn es ergibt. Und das ist auch okay so, wenn man von „Poltergeist“ nicht mehr erwartet, als eine knapp zweistündige Fahrt durch die Geisterachterbahn. Als solche funktioniert der Film tadellos, die Special Effects können zum Teil auch heute noch beeindrucken und vor allem die Darsteller überzeugen. Jobeth Williams und Craig T. Nelson spielen das in den Wahnsinn getriebene und immer mehr verzweifelnde Ehepaar; während Nelson im Verlauf des Films immer hilfloser wirkt, weil er allein nichts gegen die Geister ausrichten und seine Familie nicht wirkunsvoll beschützen kann, beeindruckt Williams als verzweifelte, zu allem bereite Mutter, die ihre Tochter um jeden Preis zurück in die Welt der Lebenden holen will. Unter den Nebendarstellern ist zum einen Beatrice Straight hervorzuheben, die die Parapsychologin Dr. Lesh spielt. Ihre Rolle besteht nach einer ersten Untersuchung des verfluchten Hauses zwar hauptsächlich darin, mit aufgerissenen Augen und zitternden Händen herumzustehen, sie legt aber eine solches Maß an Ernsthaftigkeit in ihre Darstellung, dass dies den ganzen Film aufwertet. Wenn Dr. Lesh den anderen Figuren und uns Zuschauern den Unterschied zwischen Poltergeistern und anderen Gespenstern erklärt, dann zieht einen das so in die Handlung hinein, dass man zumindest vorübergehend gar nicht mehr darauf kommt, diesen ganzen Spuk lächerlich zu finden.
Eine weitere interessante Nebenfigur ist das von Zelda Rubinstein gespielte „Medium“ Tangina – schon allein wegen der vielen kultigen Zeilen, die die Autoren der Schauspielerin in den Mund gelegt haben („Y’all mind hanging back? You’re jamming my frequency“). Der wirkliche Star des Films ist aber die kleine Heather O’Rourke, die die fünfjährige Tochter Carol Anne spielt (und deren unheimliches „They’re here!“ wahrscheinlich das bekannteste Zitat aus dem Film ist). Von Steven Spielberg zufällig entdeckt, wurde sie durch ihre Rolle in „Poltergeist“ zum Kinderstar, spielte auch in den beiden Fortsetzungen mit und starb leider 1988 im Alter von nur zwölf Jahren.
Im Film wird von Dr. Lesh und Tangina ausführlich erklärt, was ein Poltergeist ist, was er will und warum nun einer die kleine Carol Anne entführt hat. Ich habe jedoch schon zu Beginn des Films begonnen, meine eigene Theorie zu den geschilderten Ereignissen zu entwickeln: Ziemlich früh im Film sieht man die Mutter, Diane, neben ihrem Mann auf dem Bett sitzen und einen Joint rauchen (ich behaupte jetzt einfach mal, dass das keine normale Zigarette war). Später im Film versichert ihr die Parapsychologin Dr. Lesh, dass sie sie nicht allein lassen und sich um sie kümmern wird; denn Diane fühlt sich hilflos, einsam, verzweifelt. Das ist angesichts der traumatisierenden Ereignisse und des Verschwindens ihrer Tochter verständlich, aber steckt nicht vielleicht noch mehr dahinter? Geht es hier vielleicht nur vordergründig um „echte“ Geister, tatsächlich aber um die inneren Dämonen einer zutiefst verzweifelten Mutter und Hausfrau? Sie und ihr Mann scheinen alles zu haben, was sie sich nur wünschen könnten – ein neues Haus, finanzielle Absicherung, drei wunderbare Kinder. Doch ist das wirklich das Leben, das sich Diane erträumt hat? Mutter und Hausfrau, also kochen, putzen, bei den Hausaufgaben helfen und abends dem Mann zuhören, wenn er vom Stress in der Arbeit erzählt? Vielleicht ist es ja kein Wunder, dass Diane allmählich vollkommen ausgelaugt ist, sich leer und verzweifelt fühlt – die klassischen Symptome einer desperate housewife, die vom immer gleichen Vorstadtalltag irgendwann einfach die Nase voll hat. Was macht sie also? Sie sucht Ablenkung, versucht sich zu beruhigen. Vielleicht mal hier und da ein Gläschen Wein, eine schnelle Zigarette, nachdem die Kinder morgens aus dem Haus sind. Und vielleicht auch mal einen Joint. Die Kombination leichter bis mittelschwerer Drogen mit der sich über Jahre hinweg angestauten inneren Unruhe kann durchaus dazu führen, dass man die Geister, von denen man sich heimgesucht fühlt, tatsächlich vor sich sieht. Existieren all die Geschehnisse des Films also nur in Dianes Kopf? Ist die Parapsychologon Dr. Lesh nur eine Manifestation von Dianes unterbewusstem Wunsch nach einer Flucht aus diesem Leben? Diese Theorie ist nicht ganz ernst gemeint – und ich selbst habe während des Films nicht geraucht und nur Tee getrunken!
Und noch einen lustigen Gedanken hatte ich nach dem Film. An dieser Stelle muss ich allerdings eine Spoilerwarnung aussprechen, denn nun werde ich den kleinen Twist am Ende des Films verraten: „Poltergeist“ endet mit einem Schuss Kapitalismuskritik, denn wieder einmal war es die Gier des Menschen, die Schuld daran ist, dass es überhaupt zu all den schrecklichen Ereignissen kommen konnte. Es stellt sich nämlich heraus, dass die Neubausiedlung, in der das von den Geistern heimgesuchte Haus steht, auf dem Gelände eines früheren Friedhofs erbaut wurde. Der Friedhof wurde zwar vor dem Bau der Häuser an eine andere Stelle versetzt, aber um Geld zu sparen wurden vor dem Bau lediglich die Grabsteine versetzt. Die Leichen blieben im Boden! (Wieso das niemandem aufgefallen ist, ist mir ein Rätsel. Beim Graben müssen die Bauarbeiter doch auf die Särge gestoßen sein. Oder haben die Häuser in Amerika tatsächlich alle keine Keller?) Grund für den ganzen Spuk scheint also das Unbehagen der Leichen/Geister darüber gewesen zu sein, plötzlich eine Neubausiedlung quasi auf dem Dach zu haben. Was mich allerdings stutzig gemacht hat, war die Tatsache, dass lediglich ein einziges Haus zum Opfer ihres Spuks (und am Ende schließlich vollkommen zerstört) wurde. Wenn die Geister die lebenden Menschen loswerden wollten, warum haben sie dann nicht in allen Häusern ihr Unwesen getrieben?
Über die Gründe für diese Entscheidung sollte man einen weiteren Film drehen. Und zwar kein Sequel oder Prequel, sondern sozusagen ein „Sidequel“ (okay, es wäre auch zum Teil ein Prequel) – eine Geschichte, die jedenfalls teilweise parallel zu den in „Poltergeist“ gezeigten Ereignissen abläuft und darstellt, wie die verärgeten Geister zu der Entscheidung gekommen sind, sich auf dieses eine Haus zu konzentrieren. Ganz genau, dieser Film erzählt die Ereignisse überwiegend aus der Sicht der Geister! Meine Theorie dazu sieht so aus: Auf einer großen Geistergemeindeversammlung bilden sich zu dem Thema, wie mit der Neubausiedlung umgegangen werden soll, (mindestens) zwei Fraktionen. Die einen sind dafür, einfach der gesamten Siedlung und allen sie bewohnenden Menschen quasi den Krieg zu erklären. Also alle Häuser bespuken, die Menschen entführen oder töten und schließlich alles zerstören, damit das Friedhofsgeläne am Schluss wieder den Geistern gehört. Eine kleine Minderheit, die sich schließlich durchsetzt, hat aber eine viel bessere Idee (diese Minderheit könnte aus nur einem einzigen Geist bestehen, den man zur Hauptfigur des Films machen könnte) und kann sich schließlich durchsetzen: Sie setzen auf einen gezielten Angriff auf nur ein einziges Haus. Auf diese Weise muss man nur ein Haus zerstören, alle übrigen bleiben intakt. Da aber natürlich kein vernünfiger Mensch mehr in einer Siedlung wohnen will, in der eine Familie von Geistern terrorisiert worden und schließlich ihr ganzes Haus zerstört worden ist, kann man davon ausgehen, dass die übrigen Familien nach und nach alle wegziehen werden. Die Siedlung wird zur Geisterstadt – im wahrsten Sinne des Wortes, wenn es sich schließlich nach dem Weggang aller Lebenden die Untoten dort bequem machen. Neubauhäuser sind doch so viel schöner als Grabsteine! Zudem kann man zu diesem Film auch noch Sequels drehen, da sich ja bestimmt immer wieder Menschen in diese Geisterstadt verirren (das wäre dann wohl so eine Art „Silent Hill“). Hmm, vielleicht sollte ich diese Idee mal bei MGM pitchen, dort wird nämlich angeblich an einem „Poltergeist“-Remake gearbeitet. Aber ein reines Remake ist doch langweilig, meine Story-Idee hat dagegen den Vorteil, dass das Ganze mal von der anderen Seite aus betrachtet wird….. „It’s Poltergeist – with a twist!“
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