In der Nacht von Samsag auf Sonntag ist es wieder so weit: Die Academy Awards, besser bekannt als Oscars, werden in Los Angeles verliehen. Wie in den letzten Jahren gebe ich also auch dieses Mal wieder meine Tipps ab. (Anmerkung: An diesem Blogpost habe ich inzwischen tagelang herum gebastelt und mich in mehreren Kategorien immer wieder anders entschieden. Damit ich damit nicht noch mehr Zeit vergeude, zwinge ich mich jetzt zur Veröffentlichung und lege mich dafür ein für alle Mal fest.) Dieses Mal bin ich in vielen Kategorien ziemlich ratlos. Beim besten Film und beim besten Hauptdarsteller gibt es jeweils keinen eindeutigen Favoriten und auch der überraschende Kassenerfolg von „American Sniper“ macht die Sache nicht leichter (ich habe mich mal dazu verführen lassen, in einigen Kategorien auf den Film zu setzen, obwohl ich es ursprünglich nicht vor hatte). Es wird also einerseits eine spannende Preisverleihung, andererseits sind bei den Nominierungen leider eine ganze Reihe von Filmen nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt worden. Warum hat „Gone Girl“ keine Nominierung für das Drehbuch, Regisseur David Fincher oder als bester Film erhalten? Wieso ist Interstellar zwar fünf Mal in technischen Kategorien nominiert, aber die Leistung von Christopher Nolan erneut ignoriert worden? Warum ist „Selma“ nur als bester Film und für das beste Lied nominiert, aber Hauptdarsteller David Oyelowo ging leer aus? Und was ist eigentlich mit „Under The Skin“? Die Oscars sind nun einmal nicht gerecht und meckern kann man jedes Jahr. Nun aber zu meinen Sieger-Tipps (Hier gibt es die Nominierungen zum Nachlesen).
Bester Film
So spannend wie in diesem Jahr war es schon lange nicht mehr. „The Grand Budapest Hotel“ schwimmt seit seiner Premiere auf der Berlinale vor einem Jahr auf einer Erfolgswelle und wurde mit dem Golden Globe als beste Komödie ausgezeichnet. „Birdman“ steht ebenfalls hoch im Kurs und wurde den Hauptpreisen der US-Produzenten-, Regisseurs- und Schauspielgilden bedacht, was durchaus für eine Oscarauszeichnung spricht. Und „Boyhood“ – der auch bereits vor einem Jahr seine Uraufführung erlebte – hat den BAFTA und den Drama-Golden Globe gewonnen. Dann ist da allerdings noch „American Sniper“, der in den letzten Wochen zum Überraschungserfolg in den USA geworden ist und sich dort inzwischen u.a. mit dem Titel „erfolgreichster Kriegsfilm“ schmücken darf. Vom Einspielergebnis her liegt er jedenfalls weit vor all den anderen Kandidaten. Das muss zwar an sich nichts heißen, zeigt aber die enorme Popularität des Films, der noch dazu das Glück hat, dass sein US-Kinostart erst Ende Dezember erfolgte, so dass der Höhepunkt seines Erfolges genau in die Zeit fiel, in der die Academy nun über die Vergabe der Oscars abgestimmt hat (wobei der Höhepunkt auch erst noch kommen könnte, falls der Film wirklich diesen oder zumindest ein paar andere Oscars gewinnt). Ich gehe aber mal auf Nummer sicher und tippe auf „Boyhood“ (produziert von Richard Linklater & Cathleen Sutherland). Da die Abstimmung nach einem Rangfolgesystem erfolgt, dürfte der Film selbst auf den Stimmzetteln, die „American Sniper“ oder „Birdman“ auf Platz eins setzen, auf einem der anderen vorderen Plätze vertreten sein und so wahrscheinlich insgesamt die meisten Punkte für sich verbuchen. (Fast hätte ich mich im letzten Moment hier doch noch für Birdman entschieden. Letztlich kann ich das aber einfach nicht tun, weil ich will, dass Boyhood gewinnt.)
Bester Hauptdarsteller
Hier handelt es sich wie erwähnt um eine der spannendsten Kategorien in diesem Jahr. Eddie Redmaynes Leistung in „The Theory of Everything“ ist hoch gelobt und bereits mehrfach ausgezeichnet worden (BAFTA, Screen Actors Guild Award, Golden Globe). Leider habe ich den Film noch nicht gesehen. Auch Michael Keaton fand in „Birdman“ viel Beachtung und wurde ebenfalls mit einem Golden Globe (wo die Schauspielpreise ja auf verschiedene Filmgenres aufgeteilt sind) und einem Critics Choice Award belohnt. Beide Preise werden allerdings von Kritikern und Pressevertretern vergeben, sagen also nicht unbedingt etwas darüber aus, wie die Academy abstimmen wird. Auch Bendedict Cumberatch ist natürlich nicht zu unterschätzen, schon allein deshalb, weil sein Name in letzter Zeit in aller Munde ist und er dank seiner Rollen in „Sherlock“, „Star Trek Into Darkness“ und „The Hobbit“ zu einem der angesagtesten Filmstars der letzten Zeit geworden ist. Seine Leistung in „The Imitation Game“ fand ich persönlich allerdings nicht besonders beeindruckend, weil seine Rolle dort ganz einfach zu dicht an den aus „Sherlock“ und „Star Trek“ bekannten Charakteren lag. Die Nominierung von Bradley Cooper für „American Sniper“ kam ziemlich überraschend, doch der enorme Erfolg des Films in den USA könnte auch ihm zahlreiche Stimmen verschaffen. Kaum Chance ausrechnen darf sich wohl lediglich Steve Carell für „Foxcatcher“.
Ich tippe darauf, dass Eddie Redmayne das Rennen macht, schließe aber eine Auszeichnung Keatons nicht aus und könnte mir auch einen überraschenden Sieg von Cooper (der ja immerhin zum dritten Mal in Folge nominiert ist) zumindest vorstellen.
Beste Hauptdarstellerin
Hier sieht die Sache wesentlich einfacher aus – alle Anzeichen deuten auf eine Auszeichnung von Julianne Moore hin. Sie hat für ihre Rolle in „Still Alice“ bereits den Golden Globe, BAFTA, Screen Actors Guild Awards und Critic’s Choice Award gewonnen. Zudem ist sie zum fünften Mal nominiert und eine Auszeichnung längst fällig. Die überraschend nominierte Marion Cotillard sowie Felicity Jones, Rosamund Pike und Reese Witherspoon werden wohl das Nachsehen haben. Ich tippe also auf Julianne Moore.
Bester Nebendarsteller
Auch hier scheint die Sache klar zu sein: J.K. Simmons hat für seine Rolle in „Whiplash“ ebenfalls alle wichtigen Preise der Saison abgeräumt – also tippe ich darauf, dass er auch bei den Oscars gewinnen wird. Pech für Robert Duvall, Ethan Hawke, Edward Norton und Mark Ruffalo.
Beste Nebendarstellerin
Noch ein leichter Tipp: Hier wird wohl Patricia Arquette für ihre Leistung in „Boyhood“ ausgezeichnet. Auch sie hat – wie Julianne Moore und J.K Simmons – die vier anderen wichtigen Preise des Jahres gewonnen. Laura Dern, Keira Knightley und Emma Stone werden ebenso leer ausgehen wie Mery Streep, deren Nominierung ich in diesem Jahr übrigens höchst sonderbar finde. Sie ist in „Into The Woods“ zwar toll, wie in all ihren Rollen. Doch als Oscar-verdächtig würde ich ihre Leistung nicht bezeichnen und es hätte sich doch bestimmt noch eine andere Schauspielerin finden lassen, die nicht bereits 18 Mal nominiert war.
Beste Regie
Hier wird es schon schwieriger. Die beiden Favoriten lauten Richard Linklater und Alejandro González Iñárritu. Linklater wurde mit dem Critic’s Choice Award, dem BAFTA und dem Golden Globe ausgezeichnet, Iñárritu mit dem Preis der US-Regisseursgilde (DGA-Award). Für Linklater spricht zudem, dass er mit seiner über 12-jährigen Arbeit etwas noch nie zuvor Vollbrachtes geleistet hat. Ich tippe mal darauf, dass Richard Linklater („Before Midnight“) das Rennen macht. Eine Auszeichnung Linklaters, der zu meinen Lieblingsregisseuren gehört, würde mich wahnsinnig freuen.
Bester Animationsfilm: „The Lego Movie“ war wohl nichts für die überwiegend aus älteren Herrschaften bestehende Academy. Hey, sogar ich selbst fand den Film wahnsinnig bunt, laut und schnell. Dass er trotzdem nicht einmal nominiert wurde, war eine Überraschung. Also wird es wohl „How To Train Your Dragon 2“ (Drachenzähmen leicht gemacht 2″, von Dean Deblois & Bonnie Arnold)
Meine Tipps in den übrigen Kategorien:
Bester fremdsprachiger Film: „Ida“ von Pawel Pawlikowski (Polen)
Bestes adaptiertes Drehbuch: Hmm, schwierig. Auch hier habe ich mich mehrmals anders entschieden; so richtig ausschließen kann man in dieser Kategorie keinen Film. In meiner ersten Version dieses Blogpopsts hatte ich auf „Whiplash“ getippt, nun entscheide ich mich für „The Imitation Game“ (geschrieben von Graham Moore). „American Sniper“ könnte aber auch hier von seiner Popularität profiftieren; auch Paul Thomas Anderson hätte endlich mal einen Oscar verdient (kaum zu glauben dass der Regisseur von „Magnolia“ und „There Will Be Blood“ noch nie ausgezeichnet wurde).
Bestes Originaldrehbuch: „The Grand Budapest Hotel“ (Wes Anderson & Hugo Guinness) – Es könnte aber auch „Birdman“ werden. „Boyhood“ ist natürlich auch nicht chancenlos und „Nightcrawler“ hätte die Auszeichnung schon allein deshalb verdient, weil der Film in allen anderen Kategorien ignoriert worden ist.
Beste Ausstattung (Production Design): „The Grand Budapest Hotel“ (Adam Stockhausen & Anna Pinnock)
Beste Kamera (Cinematography): „Birdman“ – Für Emmanuel Lubezki wäre es nach dem letztjährigen Oscargewinn für „Gravity“ die zweite Auszeichnung in Folge.
Bester Ton (Sound Mixing): „American Sniper“ (John Reitz, Gregg Rudloff & Walt Martin)
Bester Tonschnitt (Sound Editing): „American Sniper“ (Alan Robert Murray & Bub Asman) – Ich tippe in den beiden Tonkategorien mal auf den wie gesagt in den USA sehr populären „American Sniper“, obwohl ich ursprünglich anders tippen wollte. Hoffentlich bereue ich es nicht.
Beste Musik: „The Grand Budapest Hotel“ (Alexandre Desplat)
Bestes Lied: „Glory“ aus „Selma“ (geschrieben von John Stephens & Lonnie Lynn)
Beste Kostüme: „The Grand Budapest Hotel“ (Milena Canonero)
Beste Dokumentation: Ich würde mir zwar sehr wünschen, dass Wim Wenders, der nach „Buena Vista Social Club“ und „Pina“ nun mit „The Salt of the Earth“ zum dritten Mal in dieser Kategorie nominiert ist, ausgezeichnet wird. Doch ich denke, dass „Citizenfour“ von Laura Poitras, Mathilde Bonnefoy und Dirk Wilutzky das Rennen machen wird.
Beste Kurzdokumentation: „Crisis Hotline: Veterans Press 1“ (Ellen Goosenberg Kent & Dana Perry)
Bester Schnitt: Ich tippe mal auf „American Sniper“ (Joel Cox & Gary D. Roach), auch wenn „Whiplash“ den BAFTA gewonnen hat. Natürlich bin ich mir überhaupt nicht sicher, aber „American Sniper“ steht nun einmal gerade sehr hoch im Kurs.
Beste Maske (Makeup & Hairstyling): „The Grand Budapest Hotel“ (Frances Hannon & Mark Coulier)
Bester animierter Kurzfilm: „Feast“ (Patrick Osborne & Kristina Reed) – Der Film dürfte einem großen Publikum bekannt sein, weil er als Vorfilm von „Big Hero 6“ („Baymax“) im Kino lief. Allerdings könnte es auch der vielfach ausgezeichnete „The Bigger Picture“ werden.
Bester Kurzfilm: „Boogaloo and Graham“ (Michael Lennox & Ronan Blaney)
Beste visuelle Effekte: An dieser Kategorie könnte ich mir in diesem Jahr die Zähne ausbeißen. Vielleicht sollte ich würfeln? Ach was, nachdem ich in den letzten Tagen zuerst auf „Interstellar“ und dann auf „Guardians of the Galaxy“ setzen wollte, kehre ich nun zu meinem ursprünglichen Tipp zurück: „Dawn of the Planet of the Apes“ (Joe Letteri, Dan Lemmon, Daniel Barrett & Erik Winquist).
Update am 24.02.2015:
Das war vielleicht eine langweilige und öde Oscarverleihung! Das jedenfalls war der vorherrschende Eindruck, den ich am Montagmorgen hatte. Für so etwas hätte man sich echt nicht die Nacht um die Ohren schlagen müssen, da hätte es auch gereicht, sich die (wenigen) Höhepunkte im Lauf des Tages auf YouTube anzusehen. Dass Neil Patrick Harris ein begabter und professioneller Host ist, hat er ja eigentlich bei seinen Moderationen der Emmys und Tonys bewiesen. Bei den Oscars dagegen wirkte er stocksteif, im Lauf der Veranstaltung immer nervöser und unsicherer und hatte zudem kaum zündende Gags auf Lager. Das ist sicherlich nicht allein seine Schuld und man sollte ihm durchaus eine zweite Chance geben, allerdings nicht ohne an der über dreistündigen Zeremonie ein paar Änderungen vorzunehmen.
Seine Gesangs- und Tanzeinlage zu Beginn war zwar nett gemacht, hatte aber zu wenig Bezug zum aktuellen Jahrgang der nominierten Filme und fuhr stattdessen auf der sicheren „Wir feiern das Kino“-Schiene. Da hätte ich mir deutlich mehr Seitenhiebe auf die Nominierten und parodierende Elemente gewünscht. Dass man die weiteren Musikeinlagen gänzlich streichen sollte, finde ich nicht und ganz besonders die Idee, jedes Jahr (oder zumindest immer dann, wenn es sich anbietet), das Jubiläum eines Film-Klassikers mit einer besonderen Darbietung zu feiern, finde ich sehr gut. Dafür kamen mir andere Teile der diesjährigen Show ziemlich lieblos vor, vor allem die Einspieler zu den nominierten Filmen wirkten oft, als sollten hier nur die Namen möglichst schnell herunter geleiert werden, ohne viel Zeit zu verlieren. Warum werden bei der Aufzählung der als „best picture“ nominierten Filme nicht einmal mehr die Namen der nominierten Produzenten verlesen? Warum sind im „In Memoriam“-Segment keine Filmausschnitte mehr zu sehen? Warum gibt es bei der Vorstellung der für ihr Drehbuch nominierten Filme keine Dialogausschnitte mehr zu hören? Schneller und kürzer wurde die Show durch diese Änderungen jedenfalls nicht. Statt auf solche letztlich sowieso nicht wirksamen Kürzungen zu setzen, hätte man die Show lieber abwechslungsreicher gestalten sollen, z.B. durch eine weitere, kurze Gesangseinlage von Harris.
Mit den Entscheidungen der Academy bin ich auch nur teilweise zufrieden. Wie ich schon geschrieben habe, hätte ich mir einen Sieg von „Boyhood“ – zumindest in der Regie-Kategorie – sehr gewünscht. Ich werde nie wieder gegen einen Film wetten, in dem es um das Schauspielgeschäft geht; Hollywood schaut sich einfach zu gerne selber zu. Wobei man natürlich zugestehen muss, dass „Birdman“ ein in Idee, Ausführung und Schauspiel brillanter Film ist, den ich ja selbst auch fantastisch fand. All das trifft aber auch auf „Boyhood“ zu, den ich für den wichtigeren Film halte. Aber Richard Linklater wird wohl doch noch einige Zeit auf seinen ersten Oscar warten müssen. Über die Auszeichnung von „Big Hero 6“ („Baymax“) als besten Animationsfilm freue ich mich dagegen sehr, da er einfach um Längen besser ist als „How To Train Your Dragon 2“
Mit meinen Tipps war ich zwar insgesamt nicht schlecht, aber da ich mich dazu habe verleiten lassen, in einigen Kategorien auf „American Sniper“ zu setzen, hat mich das ein paar Punkte gekostet, da der Film nur den Oscar für den besten Tonschnitt bekommen hat. Auch bei meinen Tipps für den besten Film, die Regie und den Animationsfilm lag ich falsch, habe aber insgesamt immer noch in 16 von 24 Kategorien richtig getippt und damit das gleiche Ergebnis wie vor zwei Jahren (die 21 Richtigen vom letzten Jahr waren wohl ein glücklicher Zufall).
Alles in allem bot die diesjährige Oscarverleihung also eine langweilige Show und Ergebnisse mit denen ich nicht ganz zufrieden bin. Trotzdem freue ich mich aufs nächste Mal, weil mir ganz einfach das Recherchieren im Vorfeld viel Spaß macht und nicht zuletzt auch deswegen, weil sich dann vielleicht „Star Wars: The Force Awakens“ Hoffnungen auf den einen oder anderen Oscar machen kann.