Filmfest München: „Les Fauves“, „Leid und Herrlichkeit“, „Memory – The Origins of Alien“

Nach meinen ersten beiden Filmen ging es am Freitag und Samstag für mich mit drei Filmen weiter, die rücklickend eines gemeinsam haben: Es geht in ihnen ums Erzählen von Geschichten, um Mythologie.

Depp & LafitteDer erste davon heißt „Les Fauves“, kommt aus Frankreich und lässt sich – wie uns vor Beginn der Vorstellung mitgeteilt wurde – nur äußerst schwer einem Genre zuordnen. Horror, Erotik, Thriller, Teenie-Film – von allem ist ein bisschen was dabei und gleichzeitg geht der Film über all das hinaus. Auch dabei ist Lily-Rose Depp, die Tochter von Johnny Depp. In einem anderen Film sei sie ihm aufgefallen, erzählt der Regisseur Vincent Mariette nach Filmende dem Publikum und ihm sofort als richtige Besetzung der Hauptrolle erschienen. Auch wenn er diese wohl am liebsten mit der jungen Christina Ricci besetzt hätte, in die er als 17-Jähriger verliebt gewesen war. Aber Lily-Rose Depp, die dank ihrer Mutter Vanessa Paradis fließend französisch spricht, ist eine ähnlich gute Besetzung für die junge Laura, die auf einem Campingplatz in Südfrankreich nicht nur sexuelle Erfahrungen macht, sondern auch scheinbar übernatürliche. Immer wieder werden zerfetzte Tierkadaver im Wald gefunden, was die Leute als Beweis dafür sehen, dass irgendetwas in der Gegend sein Unwesen treibt.
Für eine ganze Weile habe ich den Film richtig geliebt. Nicht nur erzeugt er eine beklemmende Atmosphäre und baut sein Mysterium geschickt auf, sondern er wird ab einem gewissen Punkt der Handlung zudem ein Film über das Geschichtenerzählen selbst. Die Bedeutung von Geschichten und Mythen und deren Notwendigkeit für die Gesellschaft wird thematisiert, gleichzeitg auch die Frage, wie weit man gehen darf, um den Menschen solche Geschichten zu liefern. Noch mehr begeistert als Depp hat mich dabei Laurent Lafitte, der den mysteriösen, bedrohlichen und auf Laura anziehend wirkenden Paul spielt. Leider zerfastert der Film für meinen Geschmack zum Ende hin jedoch ein wenig, wird etwas zu konkret und verliert die wunderbare Metaebene der Geschichte aus dem Blick. Aber das ist Ansichtssache, denn er bietet durchaus noch genügend Interpretationsspielraum, um sich zu fragen, was hier real war und was nicht. Die ersten drei Viertel von „Les Fauves“ (englischer Titel: „Savage“) habe ich jedenfalls geliebt und hatte dann das Gefühl, dass mir der Schluss zu viel Denkarbeit abgenommen hat, so dass ich mich nicht weiter damit beschäftigen wollte. Schade.

BanderasWo ich gerade schon von Geschichten schreibe, die vom selbst vom Geschichtenerzählen handeln, muss ich natürlich auch auf Pedro Almodóvars neuen Film „Leid und Herrlichkeit“ eingehen. Darin spielt Antonio Banderas eine Version von Almodóvar selbst, könnte man sagen. Einen alternden – okay: alten – Filmregisseur, der von körperlichen Leiden und Gebrechen geplagt wird, schon länger keinen Film mehr gedreht hat und sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss. Vieles, aber nicht alles, was im Film vorkommt, stammt tatsächlich aus der Biographie Almodóvars, wie Banderas nach der Vorführung des Films erzählt. Vieles ist aber auch „Autofiktion“, also eine fiktive Version der eigenen Lebensgeschichte des Regisseurs. Banderas spielt seine Rolle jedenfalls großartig, weil er vor allem körperlich ganz darin aufgeht. Allein wie er mit steifem Rücken und schmerzenden Gliedmaßen langsam in ein Auto steigt ist sehenswert!
In Rückblenden gibt es die Kinheit Almodóvars, Entschuldigung die Kindheit von Salvador Mallo (so der Name von Banderas‘ Rolle) zu sehen, wodurch das Bild dieser Persönlichkeit komplettiert wird und man zudem in den Genuss weiterer großartiger Schauspielleistungen kommt (Asier Flores als junger Salvador und Penélope Cruz als seine Mutter). „Leid und Herrlichkeit“ hat mir mit seiner Mischung aus komödiantischen und tragischen Elementen in typischer Almodóvar-Manier sehr gut gefallen.

Auch beim dritten Film in diesem Blogpost bleibe ich bei Thema „Geschichten über Geschichten erzählen“. Alexandre O. Philippe hat bereits die Dokumentation „The People vs. George Lucas“ sowie einen ganzen Film über die Duschszene in Hitchcocks „Psycho“ gedreht. Für seine neueste Doku „Memory – The Origins of Alien“ hat er sich wieder eine der ganz großen in Filmform erzählten Geschichten zum Thema genommen: „Alien“ von Ridley Scott. Ich war skeptisch, bevor der Film losging. Denn mal ehrlich, was soll man über einen vierzig Jahre alten Klassiker noch Neues sagen, über den es umfangreiche Bücher und sehr gute Making-of-Dokumentationen gibt? Als „Alien“-Fan kenne ich die Entstehungsgeschichte dieses Films bereits sehr gut und habe einige der damit verbundenen Anekdoten schon mehrmals gehört. Gleichzeitig konnte ich als „Alien“-Fan trotz meiner Skepsis aber natürlich doch nicht anders, als mir eine Karte für „Memory“ zu holen. Und tatsächlich, meine Zweifel gegenüber der Daseinsberechtigung von Philippes Film wurden größtenteils zerstreut.
O'BannonDer Film schafft es nämlich, eine Geschichte über „Alien“ zu erzählen, die über das hinausgeht, was man eben von den DVD bzw. Blu-rays oder etwa aus Dokumentationen über H.R. Giger schon kennt. Dabei besinnt er sich tatsächlich auf die „Origins“, also Ursprünge der Geschichte und beginnt ganz am Anfang bei Dan O. Bannon, in dessen Ideen und Konzepten das Drehbuch zu „Alien“ seinen Anfang hatte. Neu war mir zum Beispiel, dass O’Bannon an Morbus Crohn litt, also einer chronischen Darmerkrankung und dass es durchaus möglich ist, dass dies als Teil seiner Inspiration für das im Körper eines Menschen schlummernde und plötzlich herausbrechende Alien war. Auch auf H.R. Giger und (in geringerem Umfang) auf Ridley Scott wird im Film eingegangen, schließlich haben der Künstler und der Regisseur beide maßgeblich zum Film beigetragen.
Auch mythologische und kunstgeschichtliche Ursprünge des Films werden beleuchtet, wobei insbesondere die Namen Francis Bacon und H.P. Lovecraft von Bedeutung sind. Zum Glück verlässt sich Philippe weitestgehend nicht auf alte, bereits bekannte Interviews mit den Beteiligten, sondern hat – soweit dies möglich war – neue Interviews beispielsweise mit den Darstellern Veronica Cartwright und Tom Skerrit geführt. O’Bannon und Giger sind leider bereits verstorben und von Sigourney Weaver oder Ridley Scott findet man im Film leider keine neuen Aussagen. Sigourney Weaver ist natürlich ein paar Mal in Filmszenen zu sehen, wird ansonsten aber gar nicht erwähnt, womit zumindest ein wichtiger Einfluss auf den Film vollkommen außen vor bleibt. Auf die 1979 überraschende Tatsache, dass die Hauptfigur weiblich ist, wird hier jedenfalls nicht eingegangen. Trotzdem bietet „Memory“ auch hartgesottenen Fans noch den einen oder anderen Informations- bzw. Interpretationshappen, den sie noch nicht gehört haben dürften.

„Les Fauves“ wird noch einmal am 6. Juli auf dem Filmfest gezeigt. „Leid und Herrlichkeit“ läuft noch einmal am 4. Juli (hierfür gibt es aber wenn überhaupt nur noch Restkarten). Die beiden Vorstellungen von „Memory“ sind leider bereits vorüber.

Copyright Bilder: Filmfest München