Filmfest München: „Le Convoi“, „The Shell Collector“ & „Closet Monster“

CONVOI_BOB4_360604_700Nachdem ich vorgestern zunächst „Die Habenichtse“ angeschaut und mich dann zu Filmtonart begeben habe, um mir erklären zu lassen, wie der Krieg der Sterne klingt, ging es anschließend wieder ins Kino. „Le Convoi“ stand auf dem Programm, ein französischer Actionthriller von Frédéric Schoendoerffer. Der Film folgt einer Gruppe von Kriminellen, deren Aufgabe es ist, 1400 Kilogramm Cannabis von Spanien nach Paris zu transportieren. Die meisten Szenen finden dementsprechend auf der Autobahn statt, was den Film zu einem „Road Movie“ im wörtlichen Sinne werden lässt. Ständig ist hier etwas in Bewegung und die Protagonisten stehen pausenlos unter großer Anspannung. „Le Convoi“ ist äußerst spannend, schnell, gekonnt in Szene gesetzt (Schoendoerffer hat u.a. bei Luc Besson gelernt), gut gespielt und vor allem zum Ende hin richtig actionreich. Trotzdem war das ganz einfach nicht so meine Art Film. Wer aber auf rasende Autos und all die anderen genannten Merkmale steht, dem ist der Film uneingeschränkt zu empfehlen. Er wird noch zweimal auf dem Filmfest gezeigt: Am 28.6. um 15 Uhr und am 2.7. um 22:30 (jeweils im City 1).

Das Kontrastprogramm zu diesem ungewöhnlich adrenalinreichen und rasanten Festivalbeitrag bildete dann mein nächster Film: „The Shell Collector“ von Yoshifumi Tsubota. Ein blinder, alter Mann lebt einsam in einer Hütte direkt am Strand und verbringt seine Zeit vor allem mit dem Sammeln von Muscheln. Eines Tages entdeckt er eine Frau, die vom Meer angeschwemmt worden zu sein scheint. Als sie wenig später von einer seltenen, fleischfressenen Muschel gestochen und dadurch von ihren Lähmungserscheinungen geheilt wird, wird das Leben des Mannes noch weiter auf den Kopf gestellt. „The Shell Collector“ hat mich äußerst zwiespältig zurückgelassen. Einerseits mag ich es sehr, wenn Filme nicht alles erklären und die Details und Hintergründe der Welt, in der sie spielen, der Vorstellungskraft des Zuschauers überlassen. TheShellCollector_1DX_2892_700Das tut der Film sehr erfolgreich. Andererseits hat er mich sonst in keiner Weise überzeugt. Die anscheinend für viele andere Zuschauer betörend schönen Bilder haben mich nicht überwältigt und weil ich mich zu keinem Zeitpunkt so richtig in die Geschichte hineingezogen gefühlt habe, war mir der Film gelegentlich zu langatmig. Dabei sind die Hintergründe, die hier wie gesagt nur angedeutet werden, äußerst interessant: Basierend auf einer Kurzgeschichte des US-Autors Anthony Doerr erzählt der Film nämlich eine Science-Fiction-Geschichte, in der die Welt anscheinend von einer Seuche heimgesucht worden ist, die Lähmungen verursacht. Weil die Handlung aber zu keinem Zeitpunkt den Strand verlässt, muss man sich diese Details aus den wenigen Informationen erschließen, die einem der Film gibt. Die Umweltzerstörung wird als eine mögliche Ursache der Krankheit angesprochen und der Regisseur erzählt nach der Vorstellung, dass das Unglück von Fukushima ihn zum Film inspiriert habe. In Ansätzen ist „The Shell Collector“ also wirklich interessant, in der Umsetzung fand ich ihn jedoch weniger gelungen (die Traumsequenzen haben bei mir jedes Mal Kopfschmerzen ausgelöst). Der Film wird noch einmal gezeigt: am 2.7. um 9:30 Uhr (City2).

Wirklich richtig gut, um nicht zu sagen geradezu fantastisch wurde es dafür zum ersten Mal am Abend dieses ersten Tages. Der junge kanadische Regisseur Stephen Dunn, der vor einigen Jahren mit einem seiner Kurzfilme auf dem Münchner Film School Fest zu Gast war, ist nun mit seinem ersten langen Spielfilm wieder in München. „Closet Monster“ ist ein Film, den ich nur ungerne einer Kategorie bzw. einem Genre zuordne. Also zähle ich einfach mal alle Labels auf, die mir dazu einfallen: Der Film ist eine Coming of Age-Story, es geht um Sexualität, genauer gesagt um Homosexualität. Der Film ist ein Drama, aber mit sehr viel Humor und einigen surrealen Elementen. Ach ja, Horror-Elemente kommen auch vor, aber ein Horrorfilm ist „Closet Monster“ nun wirklich nicht! Eine der großen Stärken dieses Films liegt darin, dass sich Stephen Dunn wirklich gar nicht um Genregrenzen schert, sondern die zahlreichen verschiedenen Stilelemente nutzt, um das Innenleben seiner Hauptfigur sicht- und fühlbar zu machen. Bei dieser handelt es sich um Oscar (Connor Jessup), der als Teenager bei seinem Vater lebt, nachdem sich die Eltern schon vor Jahren haben scheiden lassen. Er jobbt in einem Baumarkt, wo er den etwa gleichaltrigen Wilder kennen lernt. Dies stürzt ihn in ein emotionales Chaos, denn die Gefühle, die er für Wilder entwickelt, sind weit mehr als nur freundschaftlicher Natur. Und so beginnt für Oscar eine äußerst turbulente und verwirrende Zeit, in der ihm unter anderem die imaginären Gespräche mit seinem Hamster (Stimme: Isabella Rossellini!) Halt geben.
closet_monster_3_700Das klingt in dieser Zusammenfassung jetzt vielleicht ein wenig sonderbar, aber was Stephen Dunn und seine Darsteller aus dieser Geschichte gemacht haben ist schlicht phänomenal. Das liegt sicher nicht zuletzt daran, dass die Geschichte für Dunn eine äußerst persönliche ist und zahlreiche Elemente aufweist, die auf eigenen Erlebnissen und Erinnerungen beruhen. Der Film strotzt nur so vor kreativen Einfällen und Storyideen und läuft erfrischenderweise mehrmals den Erwartungen der abgebrühten Festivalbesucher zuwider, sodass er immer wieder überraschen kann und sich erfolgreich zahlreichen Klischees widersetzt. An „Closet Monster“ stimmt einfach alles, angefangen beim grandiosen Schauspiel vor allem des Hauptdarstellers bis hin zum wirklich außergewöhnlichen Sounddesign des Films. Gäbe es ein Soundtrackalbum zum Film, ich hätte es nach dem Kinobesuch sofort gekauft; der Film verwendet eine Kombination aus bestehenden Songs mit einem effektiven Elektrosoundtrack, in den immer wieder metallische Klänge eingewoben sind (was einen ganz besonderen Bezug zur Handlung und zur wichtigsten Szene des Films hat). „Closet Monster“ ist ein zutiefst persönlicher und berührender Film über die Auseinandersetzung und
das Klarkommenmit mit der eigenen Sexualität. Stephen Dunn hat auf dem Filmfest bereits ein wenig von seinem nächsten Film erzählt und nach diesem beeindruckenden Debüt werde ich seine Karriere auf jeden Fall weiter verfolgen. Vielleicht läuft sein nächster Film in ein paar Jahren ja auch beim Filmfest München. Die beiden Vorstellungen von „Closet Monster“ sind leider schon vorbei, doch der Film wird voraussichtlich im Herbst deutschlandweit ins Kino kommen.

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