Ruby Sparks

Spoilerwarnung: In diesem Text gehe ich auf die gesamte Handlung des Films, einschließlich seines Endes ein!

Vor etwa zwei Wochen habe ich endlich einen Film des Kinojahres 2012 nachgeholt, den ich schon lange sehen wollte: „Ruby Sparks“, vom Regieduo Jonathan Dayton und Valerie Faris, die uns auch schon den herrlichen „Little Miss Sunshine“ geschenkt haben. Das Drehbuch zu „Ruby Sparks“ hat die Schauspielerin Zoe Kazan geschrieben, die sich wohl aus Frust, einfach keine guten Rollenangebote zu bekommen, einfach eine Traumrolle auf den Leib geschrieben hat. Sie spielt nämlich hier nämlich jene Ruby, die dem Film seinen Namen gibt.

„Ruby Sparks“ ist einer jener Filme, die man schon allein deswegen sehen muss, weil sich ihre zentrale Storyidee so genial anhört – zumindest ging es mir so. „Ein junger Autor schreibt über seine Traumfrau, bis diese erfundene Figur eines Tages Wirklichkeit wird“, so etwa könnte man „Ruby Sparks“ in einem Satz zusammenfassen. Paul Dano spielt diesen Autor, der auf den Namen Calvin Weir-Fields hört. Calvin ist Ende zwanzig, vielleicht gerade dreißig und hat vor zehn Jahren einen Roman geschrieben, der zum Bestseller geworden ist. Der Film beginnt damit, dass ein befreundeter Autor, Langdon Tharp (Steve Coogan), vor einer Lesung Calvins eine kurze Rede hält und allein in dieser Rede erfahren wir schon eine ganze Menge über den Autoren Calvin Weir-Fields. So erwähnt Tharp beispielsweise, dass gerade eine „10th anniversary edition“ von Calvins gefeiertem Romandebüt erschienen ist. Oder dass er wie alle anderen auch die Kurzgeschichten, die Calvin in den letzten Jahren veröffentlicht hat, sehr genossen hat. Oberflächlich betrachtet lobt er Calvin und sein Buch mit seinen Worten, doch durch die Blume sagt er damit nichts anderes als „Wir warten immer noch auf deinen zweiten Roman!!!“.

Calvin wohnt alleine in einem Haus, von dem andere in seinem Alter nur träumen können. Sein Buch scheint ihm also immer noch genügend Geld einzubringen. Den Leuten vom Verlag und allen anderen Menschen, die ihm mit den Fragen nach einem zweiten Roman in den Ohren liegen, versichert er immer wieder, fleißig an einem weiteren Buch zu schreiben. Tatsächlich steckt er aber in einer Schreibblockade. Auch mit dem anderen Geschlecht läuft es nicht so, wie Calvin es sich vorstellt. Seine einzige Beziehung ist schon ein paar Jahre her und er selbst stört sich daran, dass er meist nur von Mädchen angehimmelt wird, die sein Buch in der Highschool gelesen haben und nicht wirklich an ihm selbst interessiert sind.

All diese Probleme redet er sich regelmäßig bei seinem Therapeuten Dr. Rosenthal (Elliott Gould) von der Seele. Dieser stellt ihm am Ende einer Sitzung die Aufgabe, eine Seite über eine junge Frau zu schreiben, die Calvins Hund Scotty mag (was ein wichtiges Kriterium für Calvin zu sein scheint). Es bleibt jedoch nicht bei einer Seite. Ruby Sparks, wie er jenes fiktive Mädchen nennt, verhilft ihm endlich zu jener Inspiration, an der es ihm so lange gemangelt hat. Und so beginnt sich aus der einen Seite bald ein Manuskript zu einem neuen Roman zu entwickeln. So weit, so gut. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Ruby leibhaftig in Calvins Haus auftaucht.

Noch bevor das geschieht, gibt Calvin seinem Bruder Harry (Chris Messina) die ersten Seiten seines Manuskripts zu lesen. Dieser kann Calvins Beschreibung von Ruby jedoch wenig Gutes abgewinnen und behauptet, Calvin würde sich nicht mit Frauen auskennen. „Women are different up close“, lautet einer seiner gut gemeinten Ratschläge. Doch das Entscheidende an Calvins Text ist ja gerade, dass er sich darin um die Realität überhaupt nicht kümmert. Seine Ruby entspringt einem Traumbild und als solches formuliert er sie auch weiter aus. Sie behauptet, gar nicht auf Typen wie ihn zu stehen, ist aber natürlich trotzdem vollkommen in ihn verliebt. Sie ist fröhlich, wagemutig, ein wenig verrückt und bringt damit in ihm genau die Seiten seiner Persönlichkeit hervor, die er bislang kaum ausgelebt hat.

Paul Dano spielt Calvins Verwirrung und Verstörung unmittelbar nach dem Auftauchen Rubys wirklich wunderbar. Nachdem er den ersten Schock überwunden hat, testet er schließlich noch aus, ob auch andere Menschen Ruby sehen können und als sich dies bestätigt, hat er immerhin die Gewissheit, dass er nicht verrückt geworden ist. Etwa nach 30 Minuten des Films kam mir der Gedanke, dass Ruby vielleicht gar nicht plötzlich aufgetaucht ist, sondern schon immer da war. Was also, wenn nicht das plötzliche Erscheinen Rubys „irreal“ wäre, sondern im Gegenteil die Zeit davor, als sie nicht da war? Dann würde der Film davon erzählen, wie sich Calvin aus einer schweren psychischen Krise heraus geschrieben hat und endlich wieder die Realität sehen konnte. Die Tatsache, dass Harry von Rubys Erscheinen genauso überrascht ist wie Calvin, hat diese Theorie aber schnell wieder zunichte gemacht. Ruby ist also tatsächlich Calvins Vorstellung ent-sprungen, im wahrsten Sinne des Wortes. „She’s out of his mind“, wie es in der englischen Tagline des Films heißt.

Nachdem auch Calvins Bruder Ruby kennen gelernt hat und von der unglaublichen Tatsache überzeugt worden ist, dass alles, was Calvin über sie schreibt, sofort Realität wird, erscheint ihm diese Vorstellung geradezu paradiesisch. Lange Beine und große Brüste sind die ersten Stichworte, die ihm dazu einfallen – Calvin könne seine neue Freundin nun genau so schreiben, wie sie ihm gefällt! Der nachdenklichere Calvin teilt den Enthusiasmus seines Bruders jedoch nicht vollkommen und scheint zu ahnen, dass die Möglichkeit, Ruby nach Belieben umzuschreiben auch Gefahren birgt. Er beschließt, keine einzige Zeile mehr über Ruby zu schreiben.

Nachdem Calvin und Ruby ein Wochenende bei Calvins Mutter (phantastisch: Annette Bening) und deren Lebensgefährten (dito: Antonio Banderas) verbracht haben, zeigt die bis dahin so harmonische Beziehung zwischen den beiden jedoch erste Risse. Ruby möchte plötzlich mehr Freiraum haben und nicht mehr ständig mit Calvin zusammen wohnen. Auf einmal ist sie nicht mehr die von Calvin erdachte Traumfrau und die Beziehung der beiden wirkt wie eine ganz normale Beziehung mit ihren Höhen und Tiefen. Calvin, der all das nicht akzeptieren will, holt schließlich doch das Manuskript wieder aus der Schublade und beginnt, wieder über Ruby zu schreiben.

Er schreibt also erst einmal, dass es Ruby schlecht geht, sobald sie nicht in seiner Nähe ist. Danach möchte sie zwar keinen Abstand mehr von ihm gewinnen, dafür ist aber das Gegenteil der Fall: Sie klebt förmlich an ihm und beginnt schon zu weinen, wenn er nur mal schnell aufs Klo geht. Calvin setzt sich also erneut an seine Schreibmaschine und schreibt, dass Ruby fröhlich ist. Das führt dann dazu, dass sie mit einem Dauergrinsen durch die Welt läuft und einfach alles und jeden wahnsinnig toll findet, ganz egal was man zu ihr sagt. Egal also was Calvin über Ruby schreibt, sie fühlt und tut und sagt ganz genau das, was er schreibt. Wie also kann Calvin überhaupt wissen, ob Rubys Gefühle für ihn tatsächlich von Herzen kommen, wie man so schön sagt? An dieser Stelle macht der Film ein Problem jeder romantischen Paarliebe deutlich: Die Notwendigkeit, dem Partner die Aufrichtigkeit der eigenen Liebe, der eigenen Gefühle zu vermitteln. Wenn romantische Liebe, wie es der Soziologe Niklas Luhmann beschreibt, eine „Passion“ ist, also ein Seelenzustand, der von einem Besitz ergreift und unter dessen Einfluss man eben nicht anders kann, als sich nach einer anderen Person schrecklich zu sehnen, sie zu lieben, dann muss diese Passion glaubwürdig und aufrichtig zum Ausdruck gebracht werden. Denn der Partner kennt dieses Bild von der „Liebe als Passion“ ebenfall und erwartet dementsprechend, dass man die eigene Liebe in Übereinstimmung mit diesem Bild zum Ausdruck bringt – ganz genauso, wie man das wiederum selbst tun muss, um den Partner zu überzeugen. Liebe muss also aus einem selbst kommen, darf keinen anderen Grund haben als sich selbst, sonst wirkt sie nicht glaubwürdig.

Genau da liegt in „Ruby Sparks“ das Problem: Rubys Liebe zu Calvin entspringt eben nicht Rubys Herzen, sondern Calvins Schreibmaschine! „How do I know it’s real?“, fragt Calvin seinen Bruder, nachdem er Ruby mehrmals „umgeschrieben“ hat. Er hat inzwischen selbst gemerkt, dass er sich überhaupt nicht sicher sein kann, ob Rubys Gefühle für ihn – sei es Zuneigung oder Abscheu – „real“ sind. Für Calvins Bruder ist die Sache klar: „It’s not.“, beantwortet er die Frage, doch Calvin entgegnet, dass das nicht stimmt. Denn für ihn ist Ruby ja real. Er kann mit ihr reden, er kann sie berühren, er lebt seinen Alltag mit ihr zusammen. Doch nun, als sie ständig fröhlich ist, wird ihm klar, dass sie zugleich eben nicht real ist, weil sie zwar aus Fleisch und Blut vor ihm steht, ihr inneres Wesen und ihre Gefühle jedoch von ihm diktiert werden können. Ihre Liebe zu ihm kommt nicht aus ihr selbst, beruht auf keiner Passion. Ganz egal was Ruby sagt oder tut, die Aufrichtigkeit ihrer Liebe kann sie Calvin nicht vermitteln.

Calvin versucht also, sich wieder aus diesem Schlamassel heraus zu schreiben und schreibt, dass Ruby sich eben so fühlt, wie sie sich gerade fühlt. Also weder durchgehend fröhlich, noch in ständiger Sehnsucht nach ihm. Das Ergebnis sind extreme Stimmungsschwankungen Rubys, die ihm natürlich auch nicht passen. Kurz darauf trifft Calvin auf einer Party auf seine Ex-Freundin Lila (gespielt von Deborah Ann Woll, bekannt als Jessica aus „True Blood“), die zu ihm den schönen Satz sagt „The only person you wanted to be in a relationship with was you“. Genau das hat er ja mit Ruby nun erreicht, denn wie schon erwähnt: „She’s out of his mind.“

Nach der Party kommt es zu einem heftigen Streit zwischen Calvin und Ruby. „You don’t get to decide what I do!“, schreit Ruby Calvin an. „Wanna bet?“, entgegnet Calvin kühl und ich habe mir an dieser Stelle gedacht: Was für ein Arschloch! Denn was nun folgt, kann man sich denken… Ein anderer Gedanke kam mir übrigens auch noch: Wie unheimlich wäre diese Geschichte gewesen, wenn man sie nicht aus Calvins Perspektive erlebt hätte, sondern aus Rubys? Wenn der Film also von einer Person erzählt hätte, die allmählich dahinter kommt, dass mit ihrem Leben etwas nicht stimmt und schließlich heraus findet, dass sie die Realität gewordene Kreation eines Schriftstellers ist? Auf jeden Fall wäre es eine ganz andere Art von Film geworden.

Erneute Spoilerwarnung: Nun gehe ich auf das Ende des Films ein!!

„Ruby Sparks“ hat mir sehr gut gefallen. Großartige Schauspieler in allen Rollen und ein hervorragendes Drehbuch mit wunderbaren Dialogen – was will man mehr? Man kann den Film interpretieren als die Geschichte eines jungen Mannes, der eine psychische Krankheit überwindet. Das einzige, was mich ein wenig gestört hat, war die letzte Szene, in der Calvin – nachdem Ruby wieder verschwunden ist – ein reales Mädchen trifft, das haargenau wie Ruby aussieht. Das war mir ein bisschen zu märchenhaft. Es kann allerdings auch bedeuten, dass er immer noch verrückt ist und seine Krankheit noch nicht überwunden hat. Ich hätte den Film jedenfalls zwar ebenfalls mit dieser Szene enden lassen, das Mädchen aber von einer anderen Schauspielerin spielen lassen. Denn dass er wirklich seine Traumfrau trifft, das ist mir wie gesagt zu märchenhaft. Immerhin beschert uns der Film in dieser letzten Szene eine weitere wunderschöne Dialogzeile:

„Maybe we knew each other from another life. Or maybe we just go to the same coffee shop.“

Oscar-Tipps

Heute Nacht ist es wieder so weit – die Oscarverleihung geht in Los Angeles über die Bühne. Wie fast immer in den vergangenen Jahren werde ich wach bleiben und mitfiebern. Dieses Jahr wird es ganz besonders spannend, denn schon lange nicht mehr waren die Gewinner in vielen Kategorien so schwer vorher zu sagen. Als echter Filmfan kommt man aber natürlich nicht darum herum, trotzdem ein paar Prognosen abzugeben und so habe ich mir ein paar Gedanken gemacht und die Ergebnisse der anderen großen Filmpreisverleihungen studiert. Hier gibt es die Nominierungen im Detail und hier nun meine Oscar-Tipps:

Bester Film
Hmmm, können wir diese Kategorie noch mal zurückstellen…? 😉  Hier eine Wahl zu treffen, ist verdammt schwer!
Vor zehn Jahren hätte ich wohl auf „Les Misérables“ getippt, weil ein Musical mit viel Tragik und Elend und großen Namen klassischer Oscar-Stoff ist. Nachdem mich der Film aber nicht ganz überzeugen konnte und er ja auch nicht als Favorit gehandelt wird, wird es wohl für die Auszeichnung als bester  Film nicht reichen. Bleiben also noch acht andere Filme. „Beasts of the Southern Wild“ ist mit der Nominierung schon genug geehrt, „Django Unchained“ hat auch keine realistische Chance. „Zero Dark Thirty“ wird hier auf jeden Fall übergangen werden, die Diskussion um die Darstellung der (Rolle der) Folter dürfte die Chancen des Films ziemlich geschmälert haben. Leider habe ich „Silver Linings Playbook“ immer noch nicht gesehen, Chancen auf eine Auszeichnung hat er aber jedenfalls wohl nur in anderen Kategorien.
Bleiben also noch „Life of Pi“, „Amour“, „Argo“ und „Lincoln“. „Life of Pi“ ist elf Mal nominiert und hat in den Technik-Kategorien sehr gute Chancen, aber letztendlich wird das Rennen um den besten Film ja sowieso zwischen „Argo“ und „Lincoln“ entschieden. Mit zwölf Nominierungen wäre „Lincoln“ eigentlich der Top-Favorit, zumal die Academy Historiendramen ja liebt (wohl ganz besonders, wenn es um die US-Geschichte geht). Allerdings hat „Argo“ alle anderen wichtigen Preise abgeräumt; weiterhin für den Film spricht die Tatsache, dass es darin nicht nur ebenfalls um ein Stück amerikansiche (Helden-)Geschichte geht, sondern zumindest am Rande auch um das Filmbusiness. Hollywood feiert sich ja immer wieder gerne selbst.
Obwohl ich großer Spielberg-Fan bin, tippe ich also auf „Argo“. Noch lieber als „Lincoln“ würde ich allerdings „Amour“ hier ausgezeichnet sehen, aber auch das bleibt wohl Wunschdenken.

Bester Hauptdarsteller
Hier gibt es nicht viel zu sagen außer: Daniel Day-Lewis. Da er schon zwei Oscars hat, würde ich die Statue zwar lieber Joaquin Phoenix für seine beeindruckende Leistung in „The Master“ überreichen, aber da dieser Film nicht nur wohlwollend aufgenommen worden ist und Day-Lewis alle anderen großen Preise gewonnen hat, wird wohl in diesem Jahr zum ersten Mal ein Schauspieler einen Oscar für eine Rolle in einem Spielberg-Film bekommen. Seine Auszeichnunge wäre auch wirklich hochverdient, denn seine Darstellung von Abraham Lincoln ist in jeder Hinsicht spektakulär.

Beste Hauptdarstellerin
Als Favoritinnen werden hier Jennifer Lawrence und Jessica Chastain gehandelt. Dummerweise handelt es ich bei „Silver Linings Playbook“ und „Zero Dark Thirty“ um die beiden Filme, die ich immer noch nicht gesehen habe (wie jedes Jahr habe ich es erneut nicht geschafft, alle wichtigen nominierten Filme vor der Verleihung zu sehen). Nicht ganz nachvollziehen kann ich übrigens die Nominierung der kleinen Quvenzhané Wallis aus „Beasts of the Southern Wild“. Ich habe hier wirklich keine Ahnung für wen ich mich entscheiden soll, denn aufgrund ihres Alters und der großen Beliebtheit von „Amour“ halte ich sogar eine Auszeichnung von Emmanuelle Riva nicht für ausgeschlossen, würde sie sogar sehr begrüßen. Aber ich tippe jetzt einfach mal auf Jessica Chastain.

Bester Nebendarsteller
Natürlich würde auch ich mich über eine erneute Auszeichnung von Christoph Waltz freuen, aber da er vor drei Jahren erst gewonnen hat, glaube ich nicht so recht daran, dass er erneut einen Oscar kriegt. Ich tippe eher auf Tommy Lee Jones, der in Lincoln das Paradabeispiel für eine perfekt gespielte Nebenrolle gegeben hat – die Geschichte und die anderen Charaktere unterstützend, ohne dabei übertrieben viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und dennoch mit einigen erinnerungswürdigen, emotionalen Momenten. Übrigens bin ich wie viele andere auch der Meinung, dass  Waltz‘ Rolle in „Django Unchained“ gar keine Nebenrolle ist; er wurde wohl tatsächlich in diese Kategorie gedrängt, um seine Chancen zu erhöhen.

Beste Nebendarstellerin
Neben dem besten Hauptdarsteller ist dies die einzige Kategorie, wo in diesem Jahr alles klar zu sein scheint: Hier gewinnt Anne Hathaway, genauso wie sie schon bei den Golden Globes, den Baftas und den Screen Actors Guild Awards gewonnen hat. Meiner Meinung nach waren die vier Minuten, in denen sie „I Dreamed a Dream“ singt, die mit großem Abstand beste Szene in „Les Misérables“. Ihre Rolle ist wirklich nicht sehr groß, aber erneut ein sehr gutes Beispiel für eine hervorragend genutzte Nebenrolle, die auch den Teil des Films überstrahlt, in dem Hathaways Figur nicht vorkommt.

Beste Regie
Meistens kann man sich bei den Oscars ja auf eines verlassen: Der „beste Film“ gewinnt auch gleichzeitig den Preis für die beste Regie. Nun ist aber „Argo“-Regisseur Ben Affleck nicht einmal nominiert. Wäre er im Rennen, müsste man auf jeden Fall auf ihn setzen, da er so ziemlich jeden anderen Preis der Saison gewonnen hat. Setzt man stattdessen auf Steven Spielberg, hieße das, „Lincoln“ auch im Rennen um den besten Film vorne zu sehen. Aber jede Regel wird ja hin und wieder gebrochen, warum sollen die Oscars für besten Film und für Regie also in diesem Jahr nicht an unterschiedliche Filme gehen?
Tja, besonders weit helfen einem diese Überlegungen leider nicht. Denn höchstens Newcomer Benh Zeitlin („Beasts of the Southern Wild“) kann man wohl getrost außen vor lassen. Die Chancen von „Silver Linings Playbook“- Regisseur David O. Russell kann ich nur sehr schlecht einschätzen, da ich wie gesagt seinen Film nicht gesehen habe und auch sonst mit seinem Werk kaum vertraut bin. Deshalb war ich überrascht, in einigen Berichten zu lesen, er habe endlich einmal einen Oscar verdient (seine Filme werde ich also demnächst nachholen müssen). Um es leichter zu machen, schließe ich ihn nun trotzdem aus. Bleiben noch drei: Spielberg und Ang Lee haben schon Oscars, werden aber als Favoriten gehandelt. Ich würde Haneke den Oscar geben, für seine lange und an intensiven Meisterwerken reiche Filmographie hat er einen verdient (und für „Amour“ alleine auch!). Allerdings kann ich mir leider nicht vorstellen, dass sich die Mehrheit der Academy für Haneke entscheiden wird. Also Spielberg oder Lee…Einer unbestimmten Eingebung folgend tippe ich mal auf Ang Lee, sicher bin ich mir aber überhaupt nicht. Wenn ich recht habe, wird der Abend für Steven Spielbergs „Lincoln“ trotz der Auszeichnung von Daniel Day-Lewis eine ziemliche Enttäuschung, ähnlich wie damals, als „Die Farbe Lila“ elf Nominierungen erhielt und in gar keiner Kategorie gewann. Vielleicht unterliegen Spielbergs Sklaverei-Dramen einem Oscar-Fluch, vielleicht kommt aber auch alles ganz anders.

Bester Animationsfilm
Zwar war „Brave“ meiner Meinung nach nicht so schlecht, wie viele geschrieben haben, aber dennoch ein ganzes Stück schlechter als die vorhergehenden Pixar-Meisterwerke („Wall-E“, „Up“, „Ratatouille“, „Toy Story 3“). Das finde ich nicht weiter schlimm, schließlich kann auch Pixar nicht nur Meisterwerke produzieren und der Film war immer noch sehr unterhaltsam, aber eben auch ziemlich konventionelle Familienunterhaltung. Auch „Wreck-it Ralph“ fand ich zwar gut, aber wirklich ausgereizt hat der Film sein kreatives Potential nicht. „Frankenweenie“ dagegen ist für mich einer der besten Filme des letzten Jahres und eines der ganz großen Tim Burton-Meisterwerke. Ich befürchte allerdings, dass die Academy sich nicht für Burtons schwarz weiße Gruselromantik wird erwärmen können und tippe deswegen mal ganz unkreativ und langweilig auf Pixar: „Brave / Merida“

Meine restlichen Tipps

Cinematography: „Life of Pi“ (Claudio Miranda)
Costume Design: „Anna Karenina“ (Jacqueline Durran)
Film Editing: „Argo“ (William Goldenberg)
Foreign Language Film: ganz klar „Amour / Liebe“ (Österreich!)
Makeup / Hairstyling: „Les Misérables“ (Lisa Westcott, Julie Dartnell)
Original Score: sehr gerne würde ich John Williams mal wieder gewinnen sehen, aber er hat ja glaube ich schon drei Oscars und hält den Rekord für die meisten Nominierungen überhaupt (ich glaube es sind inzwischen 48!) – Ich tippe aber auf „Life of Pi“ (Mychael Danna)
Original Song: „Skyfall“ aus „Skyfall“ 🙂  (Adele Adkins, Paul Epworth)
Production Design: „Les Misérables“ (Eve Stewart (Production Design); Anna Lynch-Robinson (Set Decoration))
Sound Editing: „Argo“ (Erik Aadahl, Ethan Van der Ryn)
Sound Mixing: „Les Misérables“ (Andy Nelson, Mark Paterson, Simon Hayes)
Visual Effects: „Life od Pi“ (Bill Westenhofer, Guillaume Rocheron, Erik-Jan De Boer, Donald R. Elliott) – verdient, weil hier zum Teil Effekte eingesetzt werden, die gar nicht als solche zu erkennen sind und dennoch Spektakuläres leisten. Trotzdem würde ich als Fan von Prometheus gerne die Effekte in Ridley Scotts Film ausgezeichnet sehen, schließlich wurde dort unter anderem die beste Sexszene des letzten Kinojahres animiert! 😉
Adapted Screenplay: „Silver Linings Playbook“ (David O. Russell) – sollte der Film keinen anderen Preis bekommen, dann kriegt er diesen hier ganz klassisch als Trostpreis. Über eine Auszeichnung von Tony Kushner für „Lincoln“ würde ich mich aber sehr freuen!
Original Screenplay: „Django Unchained“ (Quentin Tarantino)
Animated Short Film: „Adam and Dog“ (Minkyu Lee)
Live Action Short Film: „Death of a Shadow / Dood van een Schaduw“ (Tom Van Avermaet, Ellen De Waele)
Documentary Feature: „Searching for Suger Man“ (Malik Bendjelloul, Simon Chinn)
Documentary Short: „Open Heart“ (Kief Davidson, Cori Shepherd Stern)

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NACHTRAG (28.02.):

Wenn ich richtig gezählt habe, dann habe ich in diesem Jahr 16 von 24 Kategorien richtig getippt. Nicht schlecht, aber ich hatte schon wesentlich bessere Ergebnisse (vor ein paar Jahren hatte ich mal nur zwei Falsche). Aber natürlich ist immer auch einiges an Glück dabei, gerade in den Kurzfilm- und Doku-Kategorien, wo ich selten einen der Filme gesehen habe.