Heute Nacht ist es wieder so weit – die Oscarverleihung geht in Los Angeles über die Bühne. Wie fast immer in den vergangenen Jahren werde ich wach bleiben und mitfiebern. Dieses Jahr wird es ganz besonders spannend, denn schon lange nicht mehr waren die Gewinner in vielen Kategorien so schwer vorher zu sagen. Als echter Filmfan kommt man aber natürlich nicht darum herum, trotzdem ein paar Prognosen abzugeben und so habe ich mir ein paar Gedanken gemacht und die Ergebnisse der anderen großen Filmpreisverleihungen studiert. Hier gibt es die Nominierungen im Detail und hier nun meine Oscar-Tipps:
Bester Film
Hmmm, können wir diese Kategorie noch mal zurückstellen…? 😉 Hier eine Wahl zu treffen, ist verdammt schwer!
Vor zehn Jahren hätte ich wohl auf „Les Misérables“ getippt, weil ein Musical mit viel Tragik und Elend und großen Namen klassischer Oscar-Stoff ist. Nachdem mich der Film aber nicht ganz überzeugen konnte und er ja auch nicht als Favorit gehandelt wird, wird es wohl für die Auszeichnung als bester Film nicht reichen. Bleiben also noch acht andere Filme. „Beasts of the Southern Wild“ ist mit der Nominierung schon genug geehrt, „Django Unchained“ hat auch keine realistische Chance. „Zero Dark Thirty“ wird hier auf jeden Fall übergangen werden, die Diskussion um die Darstellung der (Rolle der) Folter dürfte die Chancen des Films ziemlich geschmälert haben. Leider habe ich „Silver Linings Playbook“ immer noch nicht gesehen, Chancen auf eine Auszeichnung hat er aber jedenfalls wohl nur in anderen Kategorien.
Bleiben also noch „Life of Pi“, „Amour“, „Argo“ und „Lincoln“. „Life of Pi“ ist elf Mal nominiert und hat in den Technik-Kategorien sehr gute Chancen, aber letztendlich wird das Rennen um den besten Film ja sowieso zwischen „Argo“ und „Lincoln“ entschieden. Mit zwölf Nominierungen wäre „Lincoln“ eigentlich der Top-Favorit, zumal die Academy Historiendramen ja liebt (wohl ganz besonders, wenn es um die US-Geschichte geht). Allerdings hat „Argo“ alle anderen wichtigen Preise abgeräumt; weiterhin für den Film spricht die Tatsache, dass es darin nicht nur ebenfalls um ein Stück amerikansiche (Helden-)Geschichte geht, sondern zumindest am Rande auch um das Filmbusiness. Hollywood feiert sich ja immer wieder gerne selbst.
Obwohl ich großer Spielberg-Fan bin, tippe ich also auf „Argo“. Noch lieber als „Lincoln“ würde ich allerdings „Amour“ hier ausgezeichnet sehen, aber auch das bleibt wohl Wunschdenken.
Bester Hauptdarsteller
Hier gibt es nicht viel zu sagen außer: Daniel Day-Lewis. Da er schon zwei Oscars hat, würde ich die Statue zwar lieber Joaquin Phoenix für seine beeindruckende Leistung in „The Master“ überreichen, aber da dieser Film nicht nur wohlwollend aufgenommen worden ist und Day-Lewis alle anderen großen Preise gewonnen hat, wird wohl in diesem Jahr zum ersten Mal ein Schauspieler einen Oscar für eine Rolle in einem Spielberg-Film bekommen. Seine Auszeichnunge wäre auch wirklich hochverdient, denn seine Darstellung von Abraham Lincoln ist in jeder Hinsicht spektakulär.
Beste Hauptdarstellerin
Als Favoritinnen werden hier Jennifer Lawrence und Jessica Chastain gehandelt. Dummerweise handelt es ich bei „Silver Linings Playbook“ und „Zero Dark Thirty“ um die beiden Filme, die ich immer noch nicht gesehen habe (wie jedes Jahr habe ich es erneut nicht geschafft, alle wichtigen nominierten Filme vor der Verleihung zu sehen). Nicht ganz nachvollziehen kann ich übrigens die Nominierung der kleinen Quvenzhané Wallis aus „Beasts of the Southern Wild“. Ich habe hier wirklich keine Ahnung für wen ich mich entscheiden soll, denn aufgrund ihres Alters und der großen Beliebtheit von „Amour“ halte ich sogar eine Auszeichnung von Emmanuelle Riva nicht für ausgeschlossen, würde sie sogar sehr begrüßen. Aber ich tippe jetzt einfach mal auf Jessica Chastain.
Bester Nebendarsteller
Natürlich würde auch ich mich über eine erneute Auszeichnung von Christoph Waltz freuen, aber da er vor drei Jahren erst gewonnen hat, glaube ich nicht so recht daran, dass er erneut einen Oscar kriegt. Ich tippe eher auf Tommy Lee Jones, der in Lincoln das Paradabeispiel für eine perfekt gespielte Nebenrolle gegeben hat – die Geschichte und die anderen Charaktere unterstützend, ohne dabei übertrieben viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und dennoch mit einigen erinnerungswürdigen, emotionalen Momenten. Übrigens bin ich wie viele andere auch der Meinung, dass Waltz‘ Rolle in „Django Unchained“ gar keine Nebenrolle ist; er wurde wohl tatsächlich in diese Kategorie gedrängt, um seine Chancen zu erhöhen.
Beste Nebendarstellerin
Neben dem besten Hauptdarsteller ist dies die einzige Kategorie, wo in diesem Jahr alles klar zu sein scheint: Hier gewinnt Anne Hathaway, genauso wie sie schon bei den Golden Globes, den Baftas und den Screen Actors Guild Awards gewonnen hat. Meiner Meinung nach waren die vier Minuten, in denen sie „I Dreamed a Dream“ singt, die mit großem Abstand beste Szene in „Les Misérables“. Ihre Rolle ist wirklich nicht sehr groß, aber erneut ein sehr gutes Beispiel für eine hervorragend genutzte Nebenrolle, die auch den Teil des Films überstrahlt, in dem Hathaways Figur nicht vorkommt.
Beste Regie
Meistens kann man sich bei den Oscars ja auf eines verlassen: Der „beste Film“ gewinnt auch gleichzeitig den Preis für die beste Regie. Nun ist aber „Argo“-Regisseur Ben Affleck nicht einmal nominiert. Wäre er im Rennen, müsste man auf jeden Fall auf ihn setzen, da er so ziemlich jeden anderen Preis der Saison gewonnen hat. Setzt man stattdessen auf Steven Spielberg, hieße das, „Lincoln“ auch im Rennen um den besten Film vorne zu sehen. Aber jede Regel wird ja hin und wieder gebrochen, warum sollen die Oscars für besten Film und für Regie also in diesem Jahr nicht an unterschiedliche Filme gehen?
Tja, besonders weit helfen einem diese Überlegungen leider nicht. Denn höchstens Newcomer Benh Zeitlin („Beasts of the Southern Wild“) kann man wohl getrost außen vor lassen. Die Chancen von „Silver Linings Playbook“- Regisseur David O. Russell kann ich nur sehr schlecht einschätzen, da ich wie gesagt seinen Film nicht gesehen habe und auch sonst mit seinem Werk kaum vertraut bin. Deshalb war ich überrascht, in einigen Berichten zu lesen, er habe endlich einmal einen Oscar verdient (seine Filme werde ich also demnächst nachholen müssen). Um es leichter zu machen, schließe ich ihn nun trotzdem aus. Bleiben noch drei: Spielberg und Ang Lee haben schon Oscars, werden aber als Favoriten gehandelt. Ich würde Haneke den Oscar geben, für seine lange und an intensiven Meisterwerken reiche Filmographie hat er einen verdient (und für „Amour“ alleine auch!). Allerdings kann ich mir leider nicht vorstellen, dass sich die Mehrheit der Academy für Haneke entscheiden wird. Also Spielberg oder Lee…Einer unbestimmten Eingebung folgend tippe ich mal auf Ang Lee, sicher bin ich mir aber überhaupt nicht. Wenn ich recht habe, wird der Abend für Steven Spielbergs „Lincoln“ trotz der Auszeichnung von Daniel Day-Lewis eine ziemliche Enttäuschung, ähnlich wie damals, als „Die Farbe Lila“ elf Nominierungen erhielt und in gar keiner Kategorie gewann. Vielleicht unterliegen Spielbergs Sklaverei-Dramen einem Oscar-Fluch, vielleicht kommt aber auch alles ganz anders.
Bester Animationsfilm
Zwar war „Brave“ meiner Meinung nach nicht so schlecht, wie viele geschrieben haben, aber dennoch ein ganzes Stück schlechter als die vorhergehenden Pixar-Meisterwerke („Wall-E“, „Up“, „Ratatouille“, „Toy Story 3“). Das finde ich nicht weiter schlimm, schließlich kann auch Pixar nicht nur Meisterwerke produzieren und der Film war immer noch sehr unterhaltsam, aber eben auch ziemlich konventionelle Familienunterhaltung. Auch „Wreck-it Ralph“ fand ich zwar gut, aber wirklich ausgereizt hat der Film sein kreatives Potential nicht. „Frankenweenie“ dagegen ist für mich einer der besten Filme des letzten Jahres und eines der ganz großen Tim Burton-Meisterwerke. Ich befürchte allerdings, dass die Academy sich nicht für Burtons schwarz weiße Gruselromantik wird erwärmen können und tippe deswegen mal ganz unkreativ und langweilig auf Pixar: „Brave / Merida“
Meine restlichen Tipps
Cinematography: „Life of Pi“ (Claudio Miranda)
Costume Design: „Anna Karenina“ (Jacqueline Durran)
Film Editing: „Argo“ (William Goldenberg)
Foreign Language Film: ganz klar „Amour / Liebe“ (Österreich!)
Makeup / Hairstyling: „Les Misérables“ (Lisa Westcott, Julie Dartnell)
Original Score: sehr gerne würde ich John Williams mal wieder gewinnen sehen, aber er hat ja glaube ich schon drei Oscars und hält den Rekord für die meisten Nominierungen überhaupt (ich glaube es sind inzwischen 48!) – Ich tippe aber auf „Life of Pi“ (Mychael Danna)
Original Song: „Skyfall“ aus „Skyfall“ 🙂 (Adele Adkins, Paul Epworth)
Production Design: „Les Misérables“ (Eve Stewart (Production Design); Anna Lynch-Robinson (Set Decoration))
Sound Editing: „Argo“ (Erik Aadahl, Ethan Van der Ryn)
Sound Mixing: „Les Misérables“ (Andy Nelson, Mark Paterson, Simon Hayes)
Visual Effects: „Life od Pi“ (Bill Westenhofer, Guillaume Rocheron, Erik-Jan De Boer, Donald R. Elliott) – verdient, weil hier zum Teil Effekte eingesetzt werden, die gar nicht als solche zu erkennen sind und dennoch Spektakuläres leisten. Trotzdem würde ich als Fan von Prometheus gerne die Effekte in Ridley Scotts Film ausgezeichnet sehen, schließlich wurde dort unter anderem die beste Sexszene des letzten Kinojahres animiert! 😉
Adapted Screenplay: „Silver Linings Playbook“ (David O. Russell) – sollte der Film keinen anderen Preis bekommen, dann kriegt er diesen hier ganz klassisch als Trostpreis. Über eine Auszeichnung von Tony Kushner für „Lincoln“ würde ich mich aber sehr freuen!
Original Screenplay: „Django Unchained“ (Quentin Tarantino)
Animated Short Film: „Adam and Dog“ (Minkyu Lee)
Live Action Short Film: „Death of a Shadow / Dood van een Schaduw“ (Tom Van Avermaet, Ellen De Waele)
Documentary Feature: „Searching for Suger Man“ (Malik Bendjelloul, Simon Chinn)
Documentary Short: „Open Heart“ (Kief Davidson, Cori Shepherd Stern)
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NACHTRAG (28.02.):
Wenn ich richtig gezählt habe, dann habe ich in diesem Jahr 16 von 24 Kategorien richtig getippt. Nicht schlecht, aber ich hatte schon wesentlich bessere Ergebnisse (vor ein paar Jahren hatte ich mal nur zwei Falsche). Aber natürlich ist immer auch einiges an Glück dabei, gerade in den Kurzfilm- und Doku-Kategorien, wo ich selten einen der Filme gesehen habe.