Dieser Text enthält kleinere Spoiler zur 1. Staffel von „Better Call Saul“ und verrät außerdem, welches Schicksal Saul Goodman am Ende von „Breaking Bad“ erwartet!
Wer hätte das gedacht? Dass „Breaking Bad“-Schöpfer Vince Gilligan und Peter Gould – einer der Drehbuchautoren von „Breaking Bad“, der die Figur des Saul Goodman erfunden hat – großartige Geschichten und Charaktere schreiben können, war nach fünf Staffeln „Breaking Bad“ zwar klar. Aber mal ehrlich, die Vorstellung einer Prequel-Serie um die „Breaking Bad“-Nebenfigur Saul Goodman hat nicht gerade Euphorie ausgelöst. Die ersten Beschreibungen der Serie und auch die ersten Ausschnitte, die man zu sehen bekamen, sorgten eher für Irritation. Was sollte das werden? Eine Anwaltssitcom?
Aber schon mit der Ausstrahlung der ersten Folge wurden die meisten Bedenken zerstreut. Inzwischen sind alle zehn Episoden der ersten Staffel in den USA gesendet worden und in Deutschland bei Netflix zu sehen. Und eines steht fest: „Better Call Saul“ ist Fernsehen, wie man es besser zurzeit kaum findet. Ob es sogar besser wird als „Breaking Bad“, wird die Zeit (und die Veröffentlichung zukünftiger Staffeln) zeigen, aber die Chancen dafür stehen bislang tatsächlich nicht schlecht.
„Better Call Saul“ beginnt mit zwei Szenen, die nach dem „Breaking Bad“-Finale spielen: Saul Goodman (Bob Odenkirk) hat eine neue Identität angenommen und arbeitet als Verkäufer in einer Cinnabon-Filiale. Mit Brille und Schnauzbart getarnt, lebt er dennoch in ständiger Angst davor, dass ihn die Vergangenheit einholt. Nach Dienstschluss sehen wir ihn in seiner Wohnung. Einsam schenkt er sich einen Drink ein und kramt eine alte VHS-Kassette hervor, die er in den Videorekorder schiebt. Die Bilder, die anschließend über seinen Fernseher flimmern, sind die alten Werbespots seiner Anwaltskanzlei, wie man sie ähnlich auch schon aus „Breaking Bad“ kennt und die alle mit dem Slogan „Better Call Saul“ werben.
Anschließend springt die Serie in die Vergangenheit, aber nicht in die Zeit von „Breaking Bad“, sondern noch einige Jahre weiter zurück. Saul Goodman hieß damals noch James „Jimmy“ McGill und die Geschichte, die die erste Staffel nun zu erzählen beginnt, handelt davon, wie er zu Saul Goodman und damit der Person wird, die wir aus „Breaking Bad“ kennen. Sie muss uns also erzählen, was schief gelaufen ist in Sauls bzw. Jimmys Leben. Insofern ist „Better Call Saul“ eine Tragödie. Allerdings ist die Serie immer wieder auch wahnsinnig komisch, es handelt sich also um eine Tragikomödie.
So ganz rund läuft es auch zu Beginn der Serie nicht für Jimmy, aber er hat zumindest den festen Willen, sich nach oben zu arbeiten. Ein eigenes Büro fehlt ihm bislang, weswegen er sich mit Klienten meistens im Café trifft. Das Hinterzimmer eines Schönheitssalons dient ihm als Schlafplatz („Wohnung“ wäre eine zu großzügige Bezeichnung); Telefonate führt er unterwegs oder abends aus dem Salon, wenn dieser geschlossen hat. Bei dem ersten Fall, den die Serie uns zeigt, verteidigt Jimmy drei 19-jährige Jungs, die Sex mit dem abgetrennten Kopf einer Leiche hatten. Jimmy hält sich gerade so über Wasser. Beim Verlassen des Parkplatzes vor dem Gerichtsgebäude versucht er jedes Mal mit dem Parkplatzwächter Mike (Jonathan Banks) zu feilschen. Doch der bleibt hart und öffnet die Schranke für Jimmy immer erst, sobald dieser ein gültiges Parkticket vorweisen kann.
In der ersten Folge lernen wir auch Jimmys älteren Bruder Chales (Michael McKean), genannt Chuck, kennen. Der ist eigentlich einer der Partner der erfolgreichen Anwaltskanzlei Hamlin Hamlin & McGill (HHM), hat inzwischen aber seit etwa einem Jahr sein eigenes Haus nicht mehr verlassen. Er ist überzeugt davon, an einer Überempfindlichkeit gegen elektromagnetische Strahlung zu leiden, weswegen er nicht nur sämtliche elektronischen Geräte aus dem Haus verbannt hat, sondern auch jeder Besucher sein Handy, seine Armbanduhr und ähnliches draußen lassen muss. Tag für Tag bekommt Chuck Besuch von Jimmy, der ihn mit Lebensmitteln und der Tageszeitung versorgt. Im Lauf der ersten Episoden wird klar, dass Chucks wahres Problem psychischer Natur ist. Tatsächlich ist er depressiv und bildet sich seine körperliche Erkrankung nur ein.
Die Beziehung zwischen Jimmy und Chuck ist einer der Haupthandlungsstränge der ersten Staffel. Wie alle anderen wird auch dieser äußerst behutsam und unüberstürzt erzählt. Nach und nach enthüllt sich so, dass Jimmy sein Leben lang versucht hat, sich den Respekt seines großen Bruders zu erwerben. Als er schließlich erfährt, dass der ihn nicht mal für einen richtigen Anwalt und auch sonst nicht besonders viel von ihm hält, ist dies einer der Gründe für die Entscheidung, die Jimmy am Ende der Staffel trifft – eine Entscheidung, mit der er seiner Saul-Werdung einen großen Schritt näher gekommen ist.
Prequels jeder Art haben meistens das Problem, dass der Zuschauer schon weiß, wohin sich die Geschichte und die Figuren entwickeln werden. „Better Call Saul“ schafft es – zumindest in dieser ersten Season – aber tatsächlich, so starke Charaktere aufzubauen und sich so weit von „Breaking Bad“ zu emanzipieren, dass dieses Problem fast nicht existent ist. Die Serie verlässt sich zum Glück nicht auf Verbindungen zu und Anspielungen auf „Breaking Bad“. Zwar ist Jimmys/Sauls aus „Breaking Bad“ bekannter Handlanger Mike die zweite Hauptfigur der Serie, doch auch seine Geschichte entfaltet sich mit einer bemerkenswerten Langsamkeit. In den ersten beiden Episoden beschränkt sich sein Auftauchen auf kurze Interaktionen zwischen ihm und Jimmy an der Parkplatzausfahrt; erst in Folge drei erfahren wir ein wenig mehr über ihn. Die sechste Folge widmet sich dann fast ganz seiner Figur und erzählt in Rückblenden, wie es dazu kam, dass er vom Cop in Philadelphia zum Parkplatzwächter in Albuquerque wurde. Wie es dazu kommt, dass er für Jimmy/Saul und für Gus Fring arbeitet, werden wir wahrscheinlich in den kommenden Staffeln sehen.
Auch einige (wenige) Nebenfiguren aus „Breaking Bad“ tauchen auf, doch auch ihr Erscheinen wirkt nicht forciert oder allein wegen der Anspielung auf die andere Serie hinein geschrieben. Überhaupt verlässt sich „Better Call Saul“ glücklicherweise so gut wie gar nicht darauf, dass der Zuschauer „Breaking Bad“ gesehen hat. Die Serie funktioniert also auch ohne Kenntnis des Vorgängers (bzw. Nachfolgers).
Zudem sind die Drehbücher und die Schauspielleistungen der Serie so stark, dass hier von der ersten Folge an eigene, komplexe Figuren entstehen, bei denen nur ganz selten die Frage im Raum steht, wie sie denn zu den Personen werden, die wir aus „Breaking Bad“ kennen. Viel zu interessant sind die Verwicklungen und Probleme, in denen sie sich jetzt gerade befinden. Das einzige Problem, dass in Bezug auf das bekannte Schicksal der Hauptfiguren in Zukunft auftauchen könnte, ist ein zu schnelles Schließen der erzählerischen Lücke zwischen den Serien. Einen Teil der Entwicklung hin zu ihren späteren Persönlichkeiten haben Jimmy/Saul und Mike in der ersten Staffel durchgemacht. Es gibt dem durchaus noch etwas hinzu zu fügen, doch es stellt sich die Frage, auf wie viele Staffeln sich diese Entwicklung noch strecken lässt. Mal sehen, wie es in der zweiten Staffel weiter geht. Vielleicht warten ja unerwartete Rückschläge und Umwege auf die Figuren.
Ich könnte noch weiter die Handlung der Staffel nach erzählen, doch das interessiert wahrscheinlich kaum jemanden (steht außerdem alles bei Wikipedia). Statt dessen möchte ich noch einmal hervorheben, wie herrlich komisch diese Serie in einigen Momenten ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal bei einer Fernsehserie so sehr lachen musste, wie hier bei der zweiten Folge. Wie Jimmy in der Wüste mit Tuco über das Schicksal zweier Jungs verhandelt, die es ihm zu verdanken haben, dass sie sich nun in Gewalt eines Gangsters befinden, der sie umnieten möchte – das ist in Schauspiel und Drehbuchkunst eine komödiantische Meisterleistung. („We could sprain their ankles.“ – „I’m cutting their legs off!“) Auch die völlig absurden Gespräche, die Jimmy nach seiner erfolgreichen Selbstvermarktung mit möglichen Klienten zu Beginn der fünften Folge führt, sind herrlich komisch – aber gleichzeitig erfüllen sie auch eine wichtige erzählerische Funktion und helfen dabei, Jimmy als tragische Figur zu zeichnen.
Meine Lieblingsszene der Staffel aber ist eine Szene mit Mike aus der vorletzten Episode, die fast wie aus einem Tarantino-Film wirkt (dann wäre sie aber wohl etwas dialoglastiger). Wie Mike hier gemeinsam mit zwei anderen Anwärtern auf den Auftraggeber eines Security-Jobs wartet, das ist genau wie viele andere Szenen eben nicht nur wahnsinnig unterhaltsam und fantastisch gespielt, sondern baut dabei auch noch Mikes Figur weiter aus.
Viele der komischen Szenen von „Better Call Saul“ sind vielleicht gerade deshalb so komisch, weil ihnen eine große Portion Tragik innewohnt. Man lacht, weil man ganz genau weiß, dass man nicht in Jimmys Schuhen stecken möchte. So auch in der letzten Folge, als Jimmy als Bingo-Conferencier im Altenheim einen Monolog hält (Stichwort „Chicago sunroof“), der inhaltlich wieder eine lachthaft absurde Situation schildert, mit dem Jimmy aber tatsächlich seine ganze Frustration über den Lauf seines Lebens in den letzten Jahren zum Ausdruck bringt.
Spätestens hier fragt man sich dann auch, warum Bob Odenkirk eigentlich nicht längst ein Star ist. Sein komödiantisches Timing ist hervorragend, aber auch alle anderen Facetten des Schauspiels sitzen bei ihm so perfekt, dass eine Emmy-Nominierung da nur noch Formsache sein sollte. Selten hat es so großen Spaß gemacht, einer Figur beim Scheitern zu zu sehen, wie bei „Better Call Saul.“
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