Michael Jackson, Paul McCartney, David Bowie – das sind im musikalischen Bereich meine drei Lieblingskünstler. Paul McCartney war letzte Woche an der Reihe und Michael Jackson folgt ganz sicher auch noch irgendwann. Diese Woche aber widme ich mich David Bowie, den ich als letzten der drei für mich entdeckt habe.
Im Herbst 1999 trat Bowie mit seinem neuen Song „Thursday’s Child“ bei „Wetten, dass…?“ auf (ich habe mir den Auftritt eben nocheinmal angesehen und erschreckt festgestellt, dass es sich um eine Playback-Version handelt). Meiner Mutter gefiel das Lied so gut, dass sie sich das neue Bowie-Album „Hours…“ zum Geburtstag wünschte und es auch geschenkt bekam. Allerdings war ich es dann, der sich immer wieder in das Album vertiefte. Und was für ein Album das war! In Fan-Abstiummungen über das beste Bowie-Album landet es immer wieder auf den hinteren Plätzen und kommerziell war es ebenfalls nicht besonders erfolgreich, aber mir hat es nicht nur die Tür in Bowies Welt geöffnet, sondern auch vor Augen geführt, wie komplex und tiefgründig Pop- und Rockmusik sein kann.
Alles an „Hours…“ hat mich damals fasziniert: Bowies hypnotische, mir zuvor fast unbekannte Stimme. Die Songtexte, die so viel komplexer waren als bei all der Musik, die im Radio lief. Das faszinierende Artwork des Albums. Immer wieder habe ich beim Anhören des Albums (aber nicht nur dann) das Booklet durchgeblättert, wo nicht nur die Texte in Handschrift-Optik abgedruckt waren, sondern auch viele Fotos von Bowie, dessen Look damals (mal wieder) einen radikalen Bruch mit den Outfits und Frisuren der Jahre davor darstellte. Die orangen Stachelhaare der „Earthling“-Zeit gehörten der Vergangenheit an, dafür trug Bowie seine Haare nun lang und ungefärbt. Von „Earthling“ oder selbst von „Ziggy Stardust“ hatte ich damals noch gar keine Ahnung, aber trotzdem fühlte ich mich auf fast hypnotische Weise zu Bowie und den Liedern auf „Hours…“ hingezogen. Ich war gerade 18 Jahre alt geworden und mir fehlte es an Orientierung, um es einmal harmlos auszudrücken. Schon immer hatte ich einen Hang zur Melancholie und zum Träumen. All dies können also Gründe sein, warum die größtenteils ruhigen und nachdenklichen Songs auf dem Album eine so anziehende Wirkung auf mich hatten. (Auch in dieser Hinsicht war das Album für Bowie eine Wende; es wurde oft als eine Rückkehr zu seinen musikalischen Anfängen beschrieben. Auf dem Albumcover blickt der „neue“ langhaarige Bowie auf sein jüngeres und scheinbar totes Alter Ego herab.)
„Hours…“ machte mir auch zum ersten Mal bewusst, wie komplex und bedeutungsvoll Songtexte sein können – und schließlich auch, dass man nicht unbedingt in der gleichen Situation wie der Autor sein muss, um sich von diesen Worten berührt zu fühlen und einen eigenen Bezug zu ihnen herstellen zu können. Ich erinnere mich, einmal gelesen zu haben, der damals 53-jährige Bowie habe sich auf „Hours…“ erstmals vermehrt mit dem eigenen Altern auseinandergesetzt. Das mag stimmen oder nicht, in mir hat er mit den Liedern aber auf jeden Fall einen Nerv getroffen, auch wenn ich mir übers Altern damals bestimmt noch keine Gedanken gemacht habe. In diesem Zusammenhang muss ich noch unbedingt das geniale Musikvideo zu „Thursday’s Child“ erwähnen, das allein daraus besteht, dass eben jener alternde Bowie im Spiegel sein jüngeres Ich studiert.
Warum schreibe ich hier also so viel über „Thursday’s Child“, obwohl es der Überschrift zufolge doch um einen anderen Song aus dem Album geht? Ganz einfach: Ich mag nun mal alle Songs auf dem Album sehr, sehr gerne (allerdings sind die ersten fünf Titel besser als die zweite Hälfte des Albums). „Thursdays’s Child“ ist neben „Life On Mars?“ mein Bowie-Lieblingssong. Und genau weil die Wahl dieses Songs also so nahe lag, habe ich mich für einen anderen entschieden. „If I’m Dreaming My Life“ ist mit einer Länge von sieben Minuten das längste Lied auf dem Album und sicherlich auch dasjenige, zu dessen Text ich den engsten Bezug habe. Schließlich habe ich mindestens seit der Zeit, in der ich David Bowie für mich entdeckt habe, regelmäßig das Gefühl, mein Leben lediglich zu träumen. „If I’m dreaming all my life away…“, heißt es im Song. Text, Melodie und stimmliche Darbietung passen hier perfekt zueinander. Das Lied hat einen rockigen, fast getrieben wirkenden Teil und könnte nach viereinhalb Minuten zu Ende sein, doch genau da beginnt der schönste Teil. Wie ein Mantra wiederholt Bowie (diese Stimme!) immer wieder die Worte „Dreaming My Life“ – ein Klagegesang, der verbunden mit den „ooohhs“ des Background-Gesangs eine meditative Wirkung erzeugt.
Tja, was soll ich noch schreiben? Das Album hat mich offenbar zur richtigen Zeit in meinem Leben erreicht und so entscheidend prägen können. Noch heute gehört es zu meinen absoluten Lieblingsalben, ich kann die Texte fast alle fehlerfrei mitsingen. Ein paar Monate nachdem ich Bowie für mich entdeckt hatte, beschloss ich übrigens, sein Werk weiter zu erforschen und kaufte sein 1995er Album „Outside“. Ich weiß noch, wie enttäuscht ich nach dem ersten Anhören damals war – nicht nur, weil sich einfach nicht das gleiche Gefühl wie bei „Hours…“ einstellen wollte, sondern sogar, weil ich die Musik einfach seltsam und befremdlich fand. Das sollte Bowie sein, der Bowie, den ich gerade erst für mich entdeckt hatte und der mich auf „Hours…“ so faszinierte? Ja und nein. Es war natürlich ebenfalls Bowie, aber eine der ersten Entdeckungen, die man macht, wenn beginnt sich durch seine Diskografie zu hören, ist die, dass Bowie immer anders ist. Erst wenn man sich dann länger mit ihm beschäftigt hat, merkt man irgendwann, dass all seine Alben trotz ihrer Unterschiedlichkeit dennoch den gewissen, unbeschreiblichen Bowie-Funken haben. Inzwischen mag ich fast alles von Bowie und kenne die meisten seiner Alben. Viele davon habe ich noch gar nicht ausführlich erforscht, da gibt es also noch viel für mich zu entdecken.
Hier gibt es die Album-Version von „If I’m Dreaming My Life“ zum Anhören und hier eine tolle Live-Version.