Filmfest München: „Home“, „Wakefield“, „The Death and Life of Otto Bloom“, „Prinzessinnen und Drachen“

Sieben von neun Festivaltagen liegen hinter mir. 25 Filme habe ich schon gesehen und heute und morgen werden es noch ein paar mehr werden. Über ein paar Filme habe ich schon gebloggt (hier, hier und hier), aber bevor ich nachher wieder ins Kino muss, sollen auch hier im Blog noch ein paar Filmbesprechungen dazu kommen.

Einen der besten – ja vielleicht sogar den besten – Film meines diesjährigen Festivalprogramms habe ich am Dienstag gesehen. „Home“ ist ein belgisches Drama der Regisseurin Fien Troch, die darin die Geschichte einiger Jugendlicher schildert. Einer von ihnen, Kevin, ist soeben aus dem Jugendgefängnis entlassen worden und kommt bei seiner Tante unter. Er freundet sich mit Sammy und John an, die beide ihre eigenen Probleme haben. Mehr will ich über die Handlung gar nicht verraten. Auch wenn es zunächst den Anschein hat, der Film habe gar keine richtige Geschichte, so spitzt diese sich mit zunehmendem Verlauf doch immer mehr zu. Viele Szenen dienen allerdings ganz einfach der Etablierung der Charaktere und ihrer Lebenswelt. Dadurch wirken die Figuren so nahbar und authentisch.

HomeEin weiterer Grund dafür ist, dass Troch überwiegend Laiendarsteller gecastet hat, die sich bei den Dreharbeiten nicht streng ans Drehbuch halten mussten. Zudem basiert vieles von dem, was im Film gezeigt wird, auf eigenen Jugenderinnerungen der Regisseurin. Das Ergebnis ist ein Film, der einen mit seiner Direktheit und Natürlichkeit sehr berührt und einem das eine oder andere Mal auch einen Schlag in die Magengrube versetzt. „Home“ ist spannend, aber zum Teil auch erschreckend. Denn hier wird nichts beschönigt oder verschwiegen und Themen wie Gewalt und sexueller Missbrauch werden offen thematisiert. Das ist ganz großes, aber sicherlich nicht leicht verdauliches Kino.
Lockerer geht es da schon in „Wakefield“ (Regie: Robin Swicord) zu – allerdings nur auf den ersten Blick. Der diesjährige CineMerit Award-Preisträger Bryan Cranston („Breaking Bad“) spielt darin den New Yorker Anwalt Howard Wakefield, der jeden Abend nach der Arbeit mit dem Zug nach Hause in den Vorort fährt, zurück zu seiner Frau (Jennifer Garner, „Alias“) und seinen beiden Töchtern. Eines Abends jedoch entdeckt er bei seiner Ankunft einen Waschbär vor der Garage gegenüber des Hauses. Als er das Tier verscheuchen will, flüchtet es in die Garage.Wakefield Howard folgt ihm und landet schließlich in der Abstellkammer über der Garage. Von dort hat er durch ein kleines Fenster einen guten Blick in die Küche und das Wohnzimmer seines Hauses. Weil er sich mit seiner Frau gestritten hat und einer weiteren Konfrontation aus dem Weg gehen will, macht er es sich in dem Schuppen bequem und beobachtet seine Familie aus der sicheren Distanz, bis ihn der Schlaf übermannt. Auch am nächsten Morgen traut er sich jedoch nicht, wieder ins Haus zu gehen und beginnt, sich in der Kammer über der Garage häuslich einzurichten…

So seltsam und unglaubwürdig die Situation klingen mag, so absurd und bisweilen komisch ist dann doch die sich daraus ergebende Geschichte. Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, einfach alles hinzuschmeißen und aus dem Alltag auszubrechen, fragt Howard Wakefield in einem seiner per Voice-Over vorgetragenen inneren Monologe das Publikum. Natürlich stehen hinter diesem Wunsch bei ihm tieferliegende Probleme in der Beziehung zu seiner Familie, die der Film zum Teil in Rückblenden erläutert. Auf diese Weise wird Howards Entscheidung, quasi als Obdachloser beim eigenen Haus zu leben, doch noch nachvollziehbar. Er lebt von den Essensresten, die seine Familie und die Nachbarn wegwerfen und je mehr Zeit vergeht, umso „professioneller“ wird er einerseits was diesen Lebensstil betrifft, umso weniger traut er sich allerdings auch, seiner Frau wieder gegenüber zu treten.

Der Geschichte wird ganz aus Howards Perspektive gezeigt, was u.a. bedeutet, dass man seine Familie meistens nur durch die Fenster des Hauses zu sehen bekommt, ihre Unterhaltungen aber nicht hört. Stattdessen hört man dagegen die Version dieser Unterhaltungen, die Howard sich im Kopf zurechtlegt – seine eigene Interpretation des Geschehens, die stets von seinem anfänglichen Hass auf seine Frau geprägt ist und mit der Zeit auch immer mehr davon, dass er sich in seinen Zustand mehr und mehr hineinsteigert, mit kaum jemandem mehr spricht und, nun ja, ein wenig verrückt dabei wird.

WakefieldIn gewisser Weise ist „Wakefield“ ein Gedankenexperiment, welches durchspielt, was passieren würde, wenn man sich seinen Problemen nicht stellen würde und stattdessen aus dem eigenen Leben heraustreten und zum bloßen Beobachter werden könnte. Der Film ist absurd und komisch, aber doch in sich schlüssig und Bryan Cranston überzeugt auch in der Rolle des Durchschnittstypen, die weniger Aufmerksamkeit erregend ist als seine Rollen in „Breaking Bad“ oder als Präsident Lyndon B. Johnson in „All The Way“, welcher auch auf dem Filmfest gezeigt wurde.

„Gedankenexperiment“ ist ein gutes Stichwort, das mich gleich zum nächsten Film führt. Oben habe ich „Home“ als den vielleicht besten Film meines diesjährigen Programms bezeichnet. Nun, dasselbe muss ich auch über „The Death and Life of Otto Bloom“ sagen. Dieser Film ist in der Ausführung zwar weniger spektakulär als „Home“, dafür aber voll von Kreativität und naiver Lebenslust. Es handelt sich hierbei um eine Mockumentary, also eine fiktive Dokumentation, mit der Regisseur Cris Jones seinen ersten Langfilm vorgelegt hat. Er erzählt darin die Geschichte von Otto Bloom (Xavier Samuel), der die Zeit rückwärts erlebt. Er hat also keinerlei Erinnerungen an alles Vergangene, kann sich aber an die Zukunft „erinnern“. Mit Hilfe von (gespielten) Interviewaufnahmen von Ottos Weggefährten, fiktiven dokumentarischen Aufnahmen aus dessen Leben und auch mit einigen Aufnahmen, die genau genommen mit der Form der Dokumentation brechen, erzählt Jones die Geschichte dieses Mannes.

Das Szenario wird dabei erstaunlich ernsthaft und gut durchdacht durchgespielt. Was wäre, wenn es einen solchen Menschen tatsächlich geben würde? Sein Leben wäre gewissermaßen eine Mischung aus „Benjamin Button“ und „Memento“, denn während sein Körper altert wie der aller anderen auch, bewegt sich sein Bewusstsein doch fortwährend in die andere Richtung. Die sich daraus ergebenden philosophischen uThe Death and Life of Otto Bloomnd sonstigen wissenschaftlichen Fragen sind natürlich endlos, und einige davon werden im Film auch angesprochen. Filmisch ist an „Otto Bloom“ wie bereits angedeutet nichts besonders aufregend; die Grundidee jedoch und die Konsequenz, mit der diese weiterverfolgt wird, machen den Film nicht nur zu einem wahren Vergnügen, sondern auch zu einer Geschichte, über die man noch lange nach dem Abspann nachdenkt. Der Film bringt nicht nur Vergangenheit und Zukunft zusammen, sondern betrachtet zahlreiche weitere Themen mal aus einem etwas anderen Blickwinkel: Wissenschaft, Religion, Liebe, Tod… Man entdeckt hier Zusammenhänge, die man nicht für möglich gehalten hätte und folgt gespannt der Lebensgeschichte des fiktiven Otto Bloom, als sei er tatsächlich eine reale, zeitgeschichtliche Person. „The Death and Life of Otto Bloom“ ist ein Film, über den ich noch lange nachdenken werde.

Um die ganz großen Themen des Lebens geht es auch im Festivalbeitrag „Prinzessinnen und Drachen“ („Ivan Tsarevitch et la Princesse Changeante“) von Michel Ocelot. Allerdings werden diese dort kindgerecht aufbereitet (und der Film läuft auch in der Reihe des Kinderfilmfestes). In wunderschöner Scherenschnitt-Optik erzählt der 57 Minuten lange Animationsfilm vier verschiedene Märchen aus aller Welt. Davon hat es mir vor allem die erste Geschichte angetan: Sie handelt von einer Gruppe von Menschen, die in einer Höhle leben und von Monstern bedroht werden. Nur wenn die Monster gnädig sind, lassen sie die Menschen an die Trinkwasserquelle oder zum Pilzesammeln. Ein kleines Mädchen, für das alle anderen nur Verachtung übrig haben, traut sich jedoch – unterstützt von einer Ratte – den Monstern gegenüber zu treten. Und siehe da: Tritt man ihnen entgegen und blickt ihnen in die Augen, dann werden die Monster immer kleiner und verschwinden schließlich ganz. Auf diese Weise kommt das Mädchen nicht nur an Wasser und Nahrung, sondern findet schließlich einen Weg aus der Höhle hinaus in eine Welt, die keiner der Höhlenbewohner je gesehen hat.

Die Moral dieser Geschichte ist natürlich, dass man sich seinenPrinzessinnen und Drachen Ängsten stellen muss, um sie zu überwinden. Dann sehen sie auf einmal gar nicht mehr so groß aus, wie man vorher dachte. Zugleich entdeckt man so ganz neue Welten, anstatt wie die Menschen in der Geschichte sein Leben lang in einer Höhle zu verbringen. Hätte ich Kinder, würde ich ihnen diesen Film auf jeden Fall zeigen, nicht nur wegen der wichtigen Botschaften in den Geschichten. Die Märchenerzählungen sind optisch wunderschön gestaltet und lassen sich (zumindest wenn man die Möglichkeit hat, sie zuhause anzuschauen) auch als einzelne, in sich geschlossene Kurzfilme betrachten. Wie gesagt war der erste davon meine Lieblingsepisode, und darin wiederum hatte ich eine Lieblinsszene: Die Ratte lotst das Mädchen aus der Höhle heraus, wobei jedoch eine Reihe von Monstern überwunden werden müssen. Wieder und wieder beteuert das Mädchen, dass es große Angst vor diesen habe. Und was erwidert die Ratte darauf jedes Mal? „Bien sur. Vas-y!“ („Natürlich. Geh weiter!“) Denn was bleibt einem schon anderes übrig, wenn man sich nicht von seiner Angst besiegen lassen will? Den Monstern in die Augen schauen und weitergehen! Ich wünsche mir, auch ich hätte eine kleine Ratte an meiner Seite, die mir dabei hilft…

Leider sind alle Vorführungen der vier hier besprochenen Filme auf dem Filmfest schon vorbei.

Copyright Bilder: Filmfest München

Breaking Bad – Episoden 5.09 & 5.10

Spoilerwarnung: Ich bespreche hier die Episoden 5.09 und 5.10. Weiter lesen sollte nur, wer diese Folgen schon gesehen hat!!

Seit „Lost“ vor über drei Jahren zu Ende ging, wurde wohl keine andere letzte Staffel einer Fernsehserie von der Fangemeinde so sehr erwartet, wie nun die letzten acht Folgen von „Breaking Bad“. Mir geht es jedenfalls so und auch die aktuelle Berichterstattung über die Serie im Internet erweckt diesen Eindruck. Auf Spiegel Online wird das Finale Folge für Folge in einem eigenen Blog kommentiert, genau wie damals bei Lost. Die Social Networks spielen nach der Ausstrahlung jeder Episode verrückt. Und beim „Betting Bad Game“ konnte jeder Fan der Serie vor der Ausstrahlung der ersten Folge dieses finalen acht-Folgen-Blocks auf den Ausgang der Serie wetten. Wer stirbt wann? Wer ermordet wen? Wer wird zum Verräter? Wer kommt ins Zeugenschutzprogramm? Auf diese und viele weitere Details konnte man im Vorfeld der Ausstrahlung dort Wetten abgeben und so Punkte gewinnen. (Ich bin momentan auf dem 3885. Platz, aber das kann sich ja noch ändern.)

Die erste Folge dieser letzten acht Folgen (5.09) endete mit der Konfrontation zwischen Walt und Hank in Hanks Garage. Schauspielerisch und dramaturgisch ist diese Szene eine Meisterleistung. Wer hätte vorher schon geglaubt, dass es bereits so früh zu dieser Konfrontation kommt? Als Walt den Peilsender aus der Tasche holte und Hank danach befragte und Hank ersteinmal wortlos das Garagentor herunter fahren ließ, wusste ich nicht, ob ich nun meine Hände vor Spannung in die Couch krallen oder jubeln und applaudieren sollte. Schließlich habe ich wie alle Zuschauer genau dieses Aufeinandertreffen fast von der ersten Folge an sowohl gefürchtet als auch herbei gesehnt. Walt tritt hier seinem Schwager erstmals nicht als Walter White gegenüber, sondern als Heisenberg. Zwar gibt er natürlich nichts zu und seine Drohung am Schluss ist subtil, aber doch deutlich. Nun wird es ernst, aber so richtig!

Diesen Eindruck unterstreicht der Beginn der nächsten Folge nach, der nahtlos an Walts Drohung anschließt und Walt und Hank in Western-Manier als zwei zum Duell gegenüberstehende Männer inszeniert. Zumindest das direkt darauf folgende Duell verliert Walt: Beide Männer greifen zum Telefon, um Skyler anzurufen, doch Hank kommt als erster durch und so kann Walt seine Frau nicht warnen.  Hank bietet Skyler Schutz an, um im Gegenzug eine umfangreiche Zeugenaussage von ihr zu bekommen. Er ahnt noch nicht, dass sie schon lange vom Doppelleben ihres Mannes weiß und inzwischen selbst in seine kriminellen Aktivitäten verstrickt ist. Hank sieht in Skyer zu diesem Zeitpunkt noch ein Opfer und glaubt, mit ihrer Hilfe die Puzzleteile zusammensetzen zu können. Auf solche Hilfe ist er nun angewiesen, denn es wird schnell klar, dass Hank noch keine Beweise für seine Anschuldigungen in der Hand hat. Er ist sich ziemlich sicher, dass Walt Heisenberg ist, aber was hat er tatsächlich gegen ihn in der Hand? Eine Heisenberg-Zeichnung, auf der er nun Walts Gesichtszüge zu erkennen glaubt. Ein Video von einer Überwachungskamera, auf dem schemenhafte Gestalten zu sehen sind, von denen eine Walt sein könnte. Handfeste Beweise fehlen ihm noch. „It’s in your best interest to get out there and show the world that you’ve got nothing to hide.“, sagt er zu Skyler, nichts ahnend, dass sie ihrem Mann erfolgreich bei der Geldwäsche hilft. Erst als sie darauf besteht, nur in Gegenwart eines Anwalts mit ihm zu sprechen und schließlich fluchtartig das Cafe verlässt, dämmert ihm, dass Skyler längst nicht nur Walts unschuldiges Opfer ist.

Also versucht er über seine Frau Marie, Skylers Schwester, an sie heran zu kommen. Die Szene, in der die beiden Frauen auf dem Bett sitzen ist einer der sehr vielen schauspielerischen Glanzleistungen dieser Serie. Während Marie (Betsy Brandt) auf ihre Schwester einredet, sagt Skyler (Anna Gunn) kein einziges Wort, dafür können wir ihre immer stärker werdende Verzweiflung an ihrem Gesicht und ihrer Körpersprache ablesen. Und während Skyler zwar nichts sagt und keinen Ausweg weiß, wird Marie aus Skylers wortlosen Reaktionen allmählich klar, dass ihre Schwester schon lange von Walts Aktivitäten wusste und selbst mit drinsteckt. „I’m sorry“, ist der einzige Satz, den Skyler schließlich herausbringt, aber Marie ist außer sich vor Wut, weil Skyler nicht aussagen will und offensichtlich hofft, dass Walt doch noch irgendwie davon kommt.

Humor und Tragik lagen in „Breaking Bad“ schon immer sehr nah beieinander. Als Walt seinem schmierigen Anwalt Saul Goodman (Bob Odenkirk) die Lage schildert fragt dieser: „Have you given it any thought of sending him [Hank] on a trip to Belize?“ Als Walt mit ungläubigem Gesichtsausdruck verneint und antwortet, er könne seinen Schwager nicht umbringen, erwidert Saul: „It’s an option that’s worked very well for you in the recent past.“ So formuliert ist das natürlich Comedy pur, erinnert den Zuschauer aber zugleich daran, zu welchen Mitteln Walt bisher gegriffen hat, um seine Heisenberg-Identität geheim zu halten und selbst am Leben zu bleiben. Das kaltblütige und geplante Ermorden konkurrierender Drogenbosse und anderer Mitwisser gehörte dazu, aber nun geht es um Hank, der nicht nur zur Familie gehört, sondern auch einmal sein bester Freund war.

Als Saul seine beiden Helfer Kuby und Huell damit beauftragt, Walts Geld aus dem Lagerhaus fort zu schaffen, gibt dies noch einmal die Gelegenheit für einen herrlich komischen Moment, als die beiden es einfach nicht lassen können, sich zuerst einmal in Dagobert Duck-Art genüsslich auf den riesigen Berg aus Dollarscheinen zu legen. Doch mit jeglicher Komik ist es schnell vorbei, als Walt das in Tonnen gefüllte Geld raus in die Wüste fährt, um es dort zu vergraben. Was man hier sieht, ist kein Heisenberg, kein erfolgreicher Meth-Koch und kein rücksichtsloser und zu allem bereiter Verbrecher. Hier sieht man lediglich einen 51-jährigen, vom Krebs und der Chemotherapoe gezeichneten Mann, der all seine körperliche Kraft aufbringen muss, um ein paar Fässer mit Geld zu vergraben. Unweigerlich fragt man sich in diesem Moment noch einmal, wie es nur soweit kommen konnte? Der Ausgangspunkt von Walts Entwicklung zu Heisenberg bis hin zu jener tragischen Szene in der Wüste war Walts Sorge um seine Familie, die er nach seinem Tod finanziell abgesichert sehen wollte. Doch nun scheint alles noch viel schlimmer zu sein, als zu Beginn der Serie. Nicht nur ist der Krebs zurück gekehrt, sondern Walts und Skylers kriminelle Aktivitäten sind aufgeflogen und all die Millionen, die Walt gemacht hat, können ihm nicht helfen.

Walt hält die Koordinaten für die Stelle, an der er das Geld vergraben hat, fest, indem er die Zahlen im Lotto tippt und den Schein an den Kühlschrank heftet. Ganz bestimmt wird dieser Lottoschein noch eine Rolle spielen. Ich bin gespannt, wem der Zettel schließlich in die Hände fällt und ob derjenige seine Bedeutung entschlüsseln wird. Als Walt vollkommen verdreckt und geschwächt nach Hause kommt und im Bad zusammenbricht, kümmert sich Skyler ihn. Hofft sie immer noch, er möge endlich sterben? Von der Rückkehr seiner Krebserkrankung weiß sie noch gar nicht, aber nachdem sie nun aufgeflogen sind, ist es verständlich, dass sie wieder die Nähe ihres Mannes sucht. Als Walt schließlich auf dem Badezimmerboden aufwacht, ist es fast schon rührend, wie er ihr anbietet, sich der Polizei zu stellen, wenn sie nur das Geld behält und an die Kinder weitergibt. Doch Skyler, die ja – anders als Walt wohl glaubt – gar keinen Deal mit Hank gemacht hat, widerspricht ihm entschieden. Da Hank nur wenige Fakten kennt und keine Beweise hat, hält sie es für das Beste, sich ruhig zu verhalten. Während sie ihm vor kurzem noch den Tod gewünscht hat, steht sie ihrem Mann nun wieder zur Seite.

Ein weiteres Mal zögern die Autoren damit die weitere Entwicklung der Handlung hinaus. Ich will damit keine Kritk an der Serie üben, denn „Breaking Bad“ hat schon von Anfang an vorgemacht, wie man langsam, aber dennoch schlüssig, spannend und glaubwürdig erzählt. Im Gegensatz zu vielen anderen Serien haben es Vince Gilligan und die anderen Drehbuchautoren nie für nötig befunden, die Handlung durch unglaubwürdige Elemente wie völlig aus dem Nichts zu kommen scheinende Hindernisse und Probleme oder das immer wieder erfolgende Rückgängigmachen von abgeschlossenen Plotentwicklungen voranzutreiben. Nein, „Breaking Bad“ erzählt statt dessen einen von der ersten bis zur letzten Episode konsequent durchgehaltenen Handlungsbogen und lässt sich dabei oft Zeit. Das macht die Serie aber keineswegs langweilig, sondern verleiht ihr eine Intensität und Spannung, wie sie nur wenige Serien auszeichnet.

Dann ist da noch Lydia (Laura Fraser), die in Episode 5.09 erfolglos versucht hat, Walt zur Rückkehr ins Meth-Geschäft zu bewegen, weil einfach niemand so reines Meth kocht, wie Heisenberg. In 5.10 sucht sie das Meth-Labor ihrer Operation auf, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Sie versucht Declan, den Meth-Dealer, von dem sie eine größere Menge Meth kaufen will, um es nach Tschechien weiter zu verkaufen, davon zu überzeugen, seinen anscheinend unfähigen Meth-Koch durch Todd zu ersetzen, der ja noch bei Heidenberg persönlich gelernt hat. Declan weigert sich und lässt sie ihn und seine ganze Bande nieder schießen. Als sie anschließend aus dem unteriridischen Meth-Labor zurück zum Auto muss, hält sie sich jedoch die Augen zu, um keinen Blick auf die Leichen werfen zu müssen. Auch hier hat man wieder einmal das Gefühl, dass da jemand etwas auf sich genommen hat, das eigentlich zu groß für ihn ist. Lydia mag im Moment noch das Gefühl haben, die Lage unter Kontrolle zu haben, doch wenn man aus „Breaking Bad“ eines gelernt hat, dann dass sich dieses Gefühl schnell als Illusion herausstellen kann.

Auch in dieser zweiten Episode des „Breaking Bad“-Endspurts verschweigt Hank seinen Verdacht noch vor seinen Kollegen von der DEA. Da seine Karriere sowieso zu Ende ist, sobald bekannt wird, dass der große Heisenberg, den Hank monatelang gejagt hat, in Wahrheit sein eigener Schwager ist, behält er diese Information weiter für sich und will Walt wenigstens persönlich verhaften können. Die Episode endet schließlich kurz vor einer weiteren Konfrontation, auf die wir lange gewartet haben. Hank trifft auf Jesse, aber leider setzt kurz vor dieser Konfrontation der Abspann ein. Ich kann die nächste Folge kaum erwarten.

Breaking Bad – Season 5 (Episode 1-8)

— Im folgenden Text sind zahlreiche Spoiler für die fünfte Staffel (Episode 1-8) zu finden. Weiterlesen sollten also nur diejenigen, die diese Episoden schon gesehen haben! —

An „Breaking Bad“ liebe ich eigentlich fast alles, aber besonders den immer wieder in der Serie angewandten Kniff, auf bereits vorweg genommene oder zumindest angedeutete Situationen hin zu erzählen. Zu Beginn der zweiten Staffel sahen wir einen pinkfarbenen Teddybear in Walter Whites Pool schwimmen, ohne zu wissen, was dieses Bild bedeutet. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde diese Szene im Verlauf der Staffel mehrmals aufgegriffen, bis man sie schließlich einfach zur Kenntnis nahm, ohne weiter groß darüber nachzudenken und schließlich schon fast wieder vergessen hatte, als dann ganz am Ende – zum Schluss der letzten Episode – die tragische Relevanz dieses rosa Teddybären mit einem Schlag klar wurde.

Nach dem gleichen Muster, zu Beginn eine für sich allein stehende und so gut wie nichts sagende, ja im Kontext der Serie zunächst fehl am Platz scheinende Szene zu platzieren, verfahren „Breaking Bad“-Schöpfer Vince Gilligan und die anderen Autoren immer wieder – sowohl staffelübergreifend, als auch innerhalb einzelner Episoden. „Dead Freight“, die fünfte Episode der fünften Staffel, beginnt damit, dass ein 14jähriger Junge, den wir zuvor noch nie gesehen haben, auf seinem Fahrrad in New Mexiko durch die Wüste fährt. Er entdeckt eine Tarantel, die er über seine Hände krabbeln lässt und schließlich in einem Glas gefangen nimmt, welches er in die Innentasche seiner Jacke steckt, bevor er weiter fährt. Nach dieser aufgrund der Spinne schon für sich allein auf viele Zuschauer verstörend wirkenden Eingangsszene geht die Episode zur bekannten Titelsequenz über und erzählt anschließend die Geschichte um ihre Hauptfiguren da weiter, wo sie in der vorhergehenden Folge endete. Den Jungen auf dem Fahrrad hat man schon wieder vergessen, als einem die letzte Szene der Episode, in der er wieder auftaucht, einen Schlag in die Magengrube versetzt.

Zahlreiche weitere Episoden nutzen dieses Schema ebenfalls, bei dem dem Zuschauer zu Beginn eine Figur oder eine Situation einfach ohne Erklärung hin geworfen wird und erst allmählich im Laufe der Episode die Bedeutung der Eingangszene deutlich wird, oftmals erst mit der entsprechenden Komplementärszene ganz am Ende. Auch die fünfte Staffel beginnt mit einem solchen Flashforward, der zwar genug Erklärung mitliefert, um das Gezeigte an sich zu verstehen und auf den im Lauf der ersten Hälfte der Staffel kurz Bezug genommen wird; wir können diese Szene aber noch nicht in den Gesamtkontext der Serie einordnen, da wir noch nicht wissen, wie es zu dieser Situation kommen wird: Walter White (Bryan Cranston) feiert seinen 52. Geburtstag alleine in einem Restaurant. Er hat offensichtlich eine falsche Identität angenommen, sich wieder Haare und einen Bart wachsen lassen und sich eine neue Brille zugelegt. Auf der Toilette bekommt er den Schlüssel für ein Auto ausgehändigt, in dessen Kofferraum sich Waffen und Munition befinden. Schnitt zur Titelsequenz.

Es folgt die reguläre Handlung der fünften Staffel, in deren Verlauf Walter seinen 51. Geburtstag feiert. Die fünfte Staffel ist mit insgesamt 16 Episoden länger als alle vorhergehenden Staffeln, wird aber in zwei Blöcken von jeweils acht Folgen gesendet, die man eigentlich als eigenständige Serienstaffeln betrachten kann (und so werden sie in Deutschland wohl auch vermarktet werden – die DVDs und Blurays mit den ersten acht Folgen tragen jedenfalls schlicht die Aufschrift „Die fünfte Season“, man kann also davon ausgehen, dass die letzten acht Episoden hierzulande als „sechste Season“ verkauft werden). Der Cliffhanger, mit dem diese erste Staffelhälfte endet, ist ein ziemlich gemeiner, den man schon fast die ganze Serie lang sowohl herbei gesehnt als auch gefürchtet hat: Walters Schwager Hank (Dean Norris), der inzwischen das örtliche Büro der Drogenbekämpfungsbehörde (DEA) leitet, scheint Walt endlich auf die Schliche zu kommen. Ein auf der Toilette liegen gelassenes Buch erweist sich als grober Leichsinnsfehler von Walt, doch genau in dem Moment, als sich auf Hanks Gesicht ein Ausdruck der plötzlichen Erkenntnis zeigt, setzt der Abspann ein.

Bis die letzten acht Folgen gezeigt werden, können wir also nur darüber spekulieren, was es mit der Szene zu Beginn der Staffel auf sich hatte. Befindet sich Walt auf der Flucht vor Hank und den Agenten der DEA? Will er Hank umbringen, um seine Heisenberg-Identität weiterhin geheim zu halten? Oder hat er sich wieder einmal noch weitere Feinde gemacht, gegen die er sich nun zur Wehr setzen muss? Und zu welchem Zeitpunkt in der Serie wird sich diese Szene überhaupt ereignen? Spätestens nach dem Erscheinen der allerletzten Folge werden wir bescheid wissen.

Die erste Hälfte dieser letzten Staffel habe ich jedenfalls genossen, auch wenn vieles von dem, was darin erzählt wurde, mir doch etwas redundant erschien. Walter White kämpft an verschiedenen Fronten die gleichen Kämpfe, wie auch schon in den ersten vier Staffeln. Die Einsätze sind zwar höher, die Risiken noch größer und Walts Skrupellosigkeit und Härte scheint nun fast gar keine Grenzen mehr zu kennen, doch erzählerisch haben wir das meiste schon einmal gesehen. Einige der Aktionen von Walt und Jesse nehmen inzwischen wirklich absurde Züge an und wirken trotz des realistischen Tons, dem sich die Serie nach wie vor verpflichtet fühlt, mindestens ein bisschen unglaubwürdig (Stichworte: Magnet, Zug!). Sehr unterhaltsam ist das alles nach wie vor und auch die Fähigkeit der Autoren und Darsteller, komische Momente und tiefste menschliche Abgründe einander gegenüber zu stellen, ist nach wie vor bemerkenswert.

Walts Entwicklung zum eiskalten Verbrecher schien ja bereits am Ende der vierten Staffel an ihrem Tiefpunkt angekommen zu sein und so überrascht es auch nicht mehr, dass ihm inzwischen wirklich jedes Mittel recht ist, um seine Karriere im Drogenmilieu geheim zu halten und weiter auszubauen. Seine Frau Skyler (Anna Gunn), die nach dem ersten Schock über Walts Verbrecherleben eigentlich recht rational reagiert hatte und danach für die Geldwäsche zuständig war, kommt mit ihrer Rolle nun immer weniger klar und möchte ihre Kinder vor Walts Einfluss beschützen. Walts Partner Jesse (Aaron Paul) lässt sich zwar zunächst dazu überreden, erneut mit ins Meth-Business einzusteigen. Nach dem Tod des oben erwähnten 14jährigen Jungen kann aber sogar Jesse nicht mehr fassen, wie emotions- und skrupellos Walt mit der Situation umgeht. Während Walt immer mehr den Realitätsbezug zu verlieren und nur noch den Profit des Drogengeschäfts im Kopf zu haben scheint, macht Jesse interessanterweise eine umgekehrte Entwicklung durch. War es zu Beginn der Serie er, der es kaum erwarten konnte, immer mehr Meth zu kochen, um Millionen zu verdienen, während Walt ihn zur Vorsicht mahnte, so ist es nun Walt, der größenwahnsinnige und gefährliche Pläne schmiedet. Nach dem Mord an Gus Fring stellt er sich nun auf eine Stufe mit diesem und hat sichtlich Spaß an der Macht, die er nun genießt („Say my name!!“).

Eigentlich kann die Serie nun, wo Walt zum einflussreichen Drogenkönig aufgestiegen ist, nur noch mit seinem Tod enden. Schließlich wird ihm früher oder später jemand diese Position streitig machen wollen und gegen ihn vorgehen, so wie er gegen Fring vorgegangen ist. Vielleicht wird auch schlicht und einfach seine Krebserkrankung zurückkehren, so wie es sich seine Frau inzwischen sogar erhofft. Walts Liste an Verbündeten wird jedenfalls immer kürzer, trotzdem glaubt er immer noch, alles unter Kontrolle zu haben. Doch wie sich am Ende zeigt, ist es ein dummer, kleiner Leichtsinnsfehler, der Hank auf seine Spur bringt. Genau wie in der siebten Staffel von „Dexter“ wird es hier für die Hauptfigur – in beiden Fällen ein scheinbar rechtschaffener Bürger, der aber ein Doppelleben als Schwerverbrecher führt – allmählich eng, weil ihm sein Umfeld auf die Schliche zu kommen droht. Doch während „Dexter“ zwar immer noch gut unterhält, seine Handlung aber über sieben Staffeln etwas zu sehr in die Länge gezogen hat, könnte „Breaking Bad“ durchaus noch die Kurve zu einem glaubwürdigen Ende kriegen. Aber wie könnte dieses aussehen? Sowohl bei „Dexter“ als auch bei „Breaking Bad“ identifiziert man sich mit der Hauptfigur und fühlt mit ihr mit. So gesehen möchte ich, dass Walter White ungeschoren davon kommt. Ich traue es Vince Gilligan aber zu, den harten, realistischeren Weg zu gehen und Walt schließlich durch seinen Schwager Hank zur Strecke bringen zu lassen. Das wäre ganz bestimmt kein Feelgood-Ende, aber um so etwas hat sich diese Serie sowieso noch nie geschert. Und das ist auch gut so.