Heute Nacht ist es wieder so weit: in Los Angeles werden die Preise der Academy of Motion Picture Arts and Sciences – besser bekannt als Oscars – verliehen. Wie bereits im letzten Jahr wage ich mich hier wieder an eine Vorhersage der Preisträger (hier kann man die Nominierungen nachlesen). Leider habe ich dieses Jahr relativ wenige der nominierten Filme gesehen, was mich aber natürlich nicht davon abgehalten hat, trotzdem fleißig zu recherchieren, wie sich die Nominierten denn in den vorausgegangenen Preisverleihungen, wie zum Beisiel den Golden Globes, so geschlagen haben. Auf der Grundlage dieser Fakten wage ich es also, folgende Prognosen zu treffen:
Bester Film
Neun Filme sind dieses Jahr für den „besten Film“ nominiert, doch das Feld lässt sich leicht auf drei Kandidaten einschränken, wenn man sich anschaut, welche Filme bei den anderen Preisverleihungen dieser Saison hier gewonnen haben. Bei den Golden Globes, wo jedes Jahr eine „beste Komödie“ und ein „bestes Drama“ ausgezeichnet werden, haben „American Hustle“ und „12 Years a Slave“ gewonnen. Bei den BAFTAs – den „britischen Oscars“ – wurde „12 Years a Slave“ ausgezeichnet (während „Gravity“ zum besten britischen Film gewählt wurde). Und bei den Preisen der amerikanischen Filmproduzentengilde kam es zu einem überraschenden Gleichstand zwischen „Gravity“ und „12 Years a Slave“. Hmmm…
Damit dürfte jedenfalls feststehen, dass die sechs weiteren Nominierten („Dallas Buyers Club“, „Her“, „Nebraska“, „Philomena“, „Captain Phillips“ und „The Wolf of Wall Street“) in der Königskategorie keine Chance haben. Aber welcher Film wird nun das Rennen machen? „American Hustle“ ist klassisches Schauspielerkino mit großartigen Leistungen aller Darsteller. „Gravity“ ist ein Film, der die Grenzen des im Kino Mach- und Zeigbaren ein Stück verschoben hat und allein deswegen preiswürdig wäre; allerdings könnte er der Academy auch zu nah am Mainstream liegen (er hat das höchste Einspielergebnis aller Nominierten). Und obwohl es sich bei „Gravity“ streng genommen nicht um einen Science-Fiction-Film handelt, könnte die Tatsache, dass es eben trotzdem ein Weltraumfilm mit Action-Elementen ist, einige Mitglieder der Academy vielleicht abschrecken. „12 Years a Slave“ wiederum ist ein sehr ernster Film über ein ernstes Thema (und zudem über einen Teil der amerikanischen Geschichte), brilliant gespielt, aber eben auch ziemlich schwere Kost.
Ich tippe mal darauf, dass „Gravity“ in den technischen Kategorien abräumen wird, aber nicht zum besten Film gekürt wird. Auch „American Hustle“ sehe ich nicht vorne, also lautet mein Tipp „12 Years a Slave“. Das wäre meiner Meinung nach auch vollkommen verdient, da es sich dabei um einen der besten Filme handelt, die ich in den letzten Jahren (!) gesehen habe. Und obwohl ich auch ein sehr großer Fan von „Gravity“ bin, bin ich zufrieden, wenn er für Kamera, Effekte usw. ausgezeichnet wird.
Bester Hauptdarsteller
Leonardo DiCaprio ist in diesem Jahr zum vierten Mal als Schauspieler nominiert, insofern wird es langsam mal Zeit für eine Auszeichnung, zumal inzwischen auch wirklich jeder kapiert haben dürfte, dass der frühere Teenie-Schwarm schon seit langem ein großer Schauspieler ist. Übrigens ist er dieses Jahr als einer der Produzenten von „The Wolf of Wall Street“ auch für den besten Film nominiert. Er wird aber wohl in beiden Kategorien leer ausgehen, denn mit Matthew McConaughey ist die Konkurrenz einfach zu stark. Nachdem McConaughey viele Jahre vor allem für Liebeskomödien bekannt war, hat er es in den letzten zwei Jahren geschafft, seiner Karriere eine völlig neue Richtung zu geben und eindrucksvolle Leistungen in tollen Filmen abgeliefert („Magic Mike“, „Killer Joe“, „Mud“). Für „Dallas Buyers Club“ hat er sich fast bis auf die Knochen herunter gehungert, was ihm bei den Oscars Bonuspunkte einbringen dürfte. Ich fand zwar die Leistung von Chiwetel Ejiofor in „12 Years a Slave“ viel beeindruckender (für die er auch einen BAFTA gewonnen hat), aber es wird wohl auf McConaughey hinaus laufen. Den Golden Globe und einen Screen Actors Guild Award hat er für seine Rolle schon bekommen, ab morgen wird er sich wahrscheinlich dann den Oscar auch noch in den Schrank stellen können.
Beste Hauptdarstellerin
Auch Amy Adams hat in diesem Jahr für „American Hustle“ bereits ihre fünfte Oscarnominierung erhalten und so gut, wie sie eigentlich fast immer ist, hätte sie einen Oscar für irgendetwas auf jeden Fall längst verdient. Aber auch hier scheint die Konkurrenz noch stärker zu sein: Cate Blanchett spielt in Woody Allens „Blue Jasmine“ einfach hervorragend und hat auch alle anderen wichtigen Preise bekommen. Ein zweiter Oscar für sie scheint die logische Folge zu sein. „Gravity“ wird sich wie gesagt wohl mit Auszeichnungen in technischen Kategorien begnügen müssen, weswegen Sandra Bullock leer ausgehen wird. Meryl Streep ist zum 18. Mal als Schauspielerin nominiert (Rekord!), hat aber bereits drei Oscars. Genau wie Streep ist auch Judi Dench in eigentlich allen Rollen phantastisch – gegen Cate Blanchett haben sie in diesem Jahr aber alle keine Chance.
Bester Nebendarsteller
Der 28jährige Barkhad Abdi ist als Pirat in „Captain Phillips“ in seiner allerersten Kinorolle zu sehen – und wurde dafür gleich für den Oscar nominiert. Obwohl er bereits einen BAFTA gewonnen hat, wird er heute Nacht wohl leer ausgehen, denn auch in dieser Kategorie gibt es einen ziemlich eindeutigen Favoriten: Jared Leto, 90er-Jahre-Teenieidol, Frontmann der Rockband Thirty Seconds to Mars und schon lange auch ernstzunehmender Schauspieler („Fight Club“, „Requiem For a Dream“). Für seine Darstellung der HIV-positiven transsexuellen Rayon in „Dallas Buyers Club“ wurde er bereits mit einem Golden Globe und einem Screen Actors Guild Award ausgezeichnet. Mit auch schon 42 Jahren ist Leto übrigens der älteste der fünf in dieser Kategorie Nominierten. Mein Favorit ist allerdings ein anderer: Ich würde gerne Michael Fassbender für seine Rolle als sadistischer Sklavenbesitzer in „12 Years a Slave“ geehrt sehen, zumal eine Auszeichnung für Fassbender für irgendetwas auch allmählich fällig ist.
Beste Nebendarstellerin
Hier ist das Rennen etwas offener. Die 84jährige June Squibb ist für ihre Rolle in Alexander Paynes „Nebraska“ nominiert, Sally Hawkins für ihre Rolle als Cate Blanchetts ungleiche Schwester in „Blue Jasmine“ und Julia Roberts hat sich mit „August Osage County“ nach einiger Zeit Leinwandabstinezn eindrucksvoll zurück gemeldet und wurde ebenfalls mit einer Nominierung bedacht. Die beiden Favoriten aber sind „Jennifer Lawrence“ („The Hunger Games“) für ihre Rolle in „American Hustle“ und Lupita Nyong’o für ihre erste Spielfilmrolle in „12 Years a Slave“. Lawrence hat den Golden Globe und den BAFTA gewonnen, Nyong’o dagegen den Screen Actors Guild Award. Gegen Lawrence spricht vor allem die Tatsache, dass sie erst letztes Jahr für „Silver Linings Playbook“ ausgezeichnet worden und zudem erst 23 Jahre alt ist – für weitere Oscars bleibt da noch genug Zeit. Ihre Performance in „American Hustle“ war zweifellos sehr, sehr gut, wenn man über die Tatsache hinwegsehen konnte, dass sie für ihre Rolle dort mindestens zehn Jahre zu jung ist. Ich kann mir zwar durchaus vorstellen, dass die Academy sie in diesem Jahr erneut auszeichnet, tippe aber mal auf Lupita Nyong’o. Sie wäre auch meine eigene Wahl.
Beste Regie
Hier gibt es einen klaren Favoriten: Alfonso Cuarón hat mit Gravity Bilder auf die Leinwand gezaubert, wie wir sie zuvor noch nicht gesehen haben. Jahrelang musste der mexikanische Regisseur (der mit „Der Gefangene von Askaban“ den einzigen wirklich guten „Harry Potter“-Film gedreht hat) warten, bis die Technik überhaupt so weit war, um die Bilder, die ihm vorschwebten, auch genau so auf die Leinwand bringen zu können. Den Regie-Oscar bekäme er völlig verdient. Zwar wäre auch für David O. Russell („Silver Linings Playbook“, „The Fighter“) langsam mal einer fällig, aber Cuarón hat alle anderen wichtigen Preise abgeräumt – warum sollte es bei den Oscars anders sein? Dass Martin Scorcese für seinen außer Kontrolle geratenen „The Wolf of Wall Street“ nominiert worden ist, darüber kann man sicherlich streiten. Echte Siegchancen dürfte er jedenfalls ebenso wenig haben wie Russell, Steve McQueen („12 Years a Slave“) oder Alexander Payne („Nebraska“). Wenn ich richtig liege, dann gehen die Preise für die beste Regie und den besten Film an unterschiedliche Filme, was nur sehr selten der Fall ist (aber im letzten Jahr ja auch vorkam, wo „Argo“, der als bester Film gewann, nicht einaml für die Regie nominiert war).
Bester Animationsfilm
Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass diese Kategorie 2001 gerade dann erst eingeführt wurde, als es mit der Zeit der großen Disney-Trickfilme vorbei war. Allerdings waren seitem fast alle Pixar-Filme in dieser Kategorie nominiert – und Pixar gehört ja auch längst zu Disney. Die einzige Ausnahme war bislang „Cars 2“ – bis in diesem Jahr das aktuelle Pixar-Werk („Die Monster Uni“ / „Monsters University“) ebenfalls ohne Nominierung blieb. Dafür sind nun aber die Disney Animation Studios selbst wieder zum Zug gekommen: Mit „Frozen“ („Die Eiskönigin“) ist ihre Version des Hans Christian Andersen-Märchens nominiert worden und auch klarar Favorit. Die anderen Nominierten – darunter Hayao Miyazaki für „The Wind Rises“ – werden wohl das Nachsehen haben.
Meine Tipps in den übrigen Kategorien:
Bester Fremdsprachiger Film: „La Grande Bellezza“ („Die große Schönheit“) von Paolo Sorrentino (Italien)
Bestes adaptiertes Drehbuch: „12 Years a Slave“ von John Ridley – Ich bin wahrscheinlich nicht der einzige, der hier lieber Richard Linklater, Julie Delpy und Ethan Hawke für „Before Midnight“ ausgezeichnet sehen würde. Die drei „Before…“-Filme sind so wunderbar geschrieben, dass eine Auszeichnung eigentlich mal fällig wäre.
Bestes Originaldrehbuch: „Her“ von Spike Jonze – Es könnte auch „American Hustle“ werden, aber da „Her“ bei den Golden Globes, den Critics Choice Awards und den Writers Guild Awards gewonnen hat, sehe ich den Film auch hier vorne. Außerdem ist die Drehbuchkategorie traditionell die Kategorie, in der Filme ausgezeichnet werden, die eigentlich auch Preise in den ganz großen Kategorien verdient hätten, aber dann doch irgendwie zu speziell dafür sind. Das trifft auf Spike Jonzes Liebesgeschichte zwischen einem Mann (Joaquin Phoenix) und der Computerstimme seines Handys (Scarlett Johansson) definitiv zu.
Beste Ausstattung (Production Design): „12 Years a Slave“ (Adam Stockhausen & Alice Baker) – es könnte aber auch „The Great Gatsby“ werden…
Beste Kamera (Cinematography): Ganz klar Emmanuel Lubezki für „Gravity“
Bester Ton (Sound Mixing): „Gravity“ (Skip Lievsay, Niv Adiri, Christopher Benstead und Chris Munro)
Bester Tonschnitt (Sound Editing): „Gravity“ (Glenn Freemantle)
Beste Musik: „Gravity“ (Steven Price) – natürlich würde ich es als großer John Williams-Fan gerne sehen, wenn der Altmeister für „The Book Thief“ noch einmal ausgezeinet würde, aber seine Chancen stehen leider nicht gut. (Und ich kenne den Film und seine Musik auch noch gar nicht.)
Bestes Lied: „Let It Go“ aus „Frozen“, komponiert und geschrieben von Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez. Da bei den Golden Globes allerdings „Ordinary Love“ aus „Mandela: Long Walk to Freedom“ ausgezeichnet wurde und die Academy ja immer wieder gerade so scheinbar offensichtliche Sieger wie „Let It Go“ nicht ausgezeichnet hat, könnte auch hier „Ordinary Love“ die Nase vorn haben.
Beste Kostüme: „The Great Gatsby“ (Catherine Martin). Oder doch „12 Years a Slave“…?
Beste Dokumentation: „The Square“ von Jehane Noujaim und Karim Amer
Beste Kurzdokumentation: „The Lady in Number 6: Music Saved My Life“ von Malcolm Clarke und Nicholas Reed – Bei den Doku-Kategorien schieße ich übrigens ziemlich ins Blaue hinein. Ich habe leider keinen der nominierten Filme gesehen und die „Experten“ auf die ich mich in solchen Fällen verlasse sind sich auch nicht einig.
Bester Schnitt: Ich tippe auch in dieser technischen Kategorie mal auf „Gravity“ (Alfonso Cuarón und Mark Sanger). Fast immer gewann bisher übrigens der „beste Film“ auch den Preis für den besten Schnitt. Aber kann ja dieses Jahr mal anders sein.
Beste Maske (Makeup & Hairstyling): „Dallas Buyers Club“ (Adruitha Lee und Robin Mathews)
Bester animierter Kurzfilm: „Mr. Hublot“ von Laurent Witz und Alexandre Espigares
Bester Kurzfilm: „The Voorman Problem“ von Mark Gill und Baldwin Li (und mit Martin Freeman und Tom Hollander)
Beste visuelle Effekte: „Gravity“ (Tim Webber, Chris Lawrence, David Shirk und Neil Corbould)