„Nothing’s over yet“: Downton Abbey – Series 4

Eigentlich sollte ich zurzeit die dritte Staffel von „Buffy“ anschauen, aber ich kann nicht anders, als immer wieder fremd zu gehen. Neben der achten Staffel von „Dexter“ habe ich in den letzten Wochen auch die vierte Staffel von „Downton Abbey“ zwischen ein paar „Buffy“-Folgen geschoben. Ich habe erst gegen Ende der Staffel angefangen, mir Notizen zu machen, aber da es mir hier sowieso nicht um eine inhaltliche Nacherzählung der Handlung geht, ist das nicht weiter schlimm.

Die Handlung der vierten Staffel beginnt sechs Monate nach dem Ende von Staffel drei (bzw. des 2012er Christmas Specials). Lady Mary (Michelle Dockery) ist immer noch in Trauer über den plötzlichen Tod ihres Ehemannes Matthew. Ein ähnliches Schicksal bleibt der Kammerzofe von Marys Mutter, Sarah O’Brien, zum Glück erspart. Deren Darstellerin Siobhan Finneran wollte die Serie nämlich ebenso verlassen wie Matthew-Darsteller Dan Stevens, weswegen beide aus der Handlung geschrieben werden mussten. Nachdem bereits Lady Sybil aus demselben Grund in der dritten Staffel der Serientod ereilte und man Matthew am Schluss des 2012er Christmas Specials sterben ließ, wäre ein weiterer Todesfall nach so kurzer Zeit dann vielleicht doch etwas zu viel gewesen. O’Brien musste also nicht sterben; stattdessen beginnt die vierte Staffel damit, dass die übrige Dienerschaft in Downton Abbey feststellen muss, dass O’Brien ganz plötzlich abgehauen ist, um Lady Flintshire nach Indien zu begleiten (wer Lady Flintshire ist, weiß ich zwar nicht mehr, aber darum geht es ja nicht).

Zumindest in den ersten Episoden fand ich die vierte Staffel weniger spannend und unterhaltsam als die ersten drei. Allerspätestens jetzt wird nämlich klar, dass „Downton Abbey“ „nur“ eine Soap Opera ist, in der kein noch so unwahrscheinlich erscheinendes Ereignis ausgelassen wird, um Probleme zu erzeugen und die Handlung fortbestehen zu lassen. In der vierten Staffel gehören dazu unter anderem eine Vergewaltigung, die anschließend geheim gehalten werden muss, eine ebenfalls zu verheimlichende Schwangerschaft oder des Diebstahls verdächtigte Bedienstete. Der Vorteil des Soap-Schemas ist allerdings, dass Figuren meist ohne negative Folgen aus der Handlung geschrieben werden können, wie ja in „Downton Abbey“ bereits mehrfach geschehen. Was die Serie aber trotzdem noch sehenswert macht, sind die fast ausnahmslos fantastischen Schauspieler. Zusammen mit den hohen Produktionskosten, den aufwändig ausgestatteten Sets und Kostümen und der Tatsache, dass hier eben nicht wie am Fließband produziert wird, sondern nur etwa neun Stunden pro Jahr, heben die Schauspielerleistungen die Serie über den Status einer bloßen Soap hinaus.

In den ersten drei Staffeln waren für mich meistens die herrlichen One-Liner von Maggie Smith die Höhepunkte. Leider fallen diese in der vierten Staffel nicht mehr so gelungen aus. Lachen musste ich aber, als Smiths Figur, die Dowager Countess of Grantham, einen der Verehrer Lady Marys, Lord Gillingham, als „the most unconvincing fiancé I’ve ever met“ bezeichnete (weil dieser nämlich immer wieder hinter Mary her ist, obwohl er mit einer anderen Frau verlobt ist). Schmunzeln musste ich zudem bei ihrer Bemerkung „I feel as if I spent the whole evening trapped in a whodunnit“ im 2013er Christmas Special, weil ich dies als Anspielung auf „Gosford Park“ (2001) verstanden habe, also jenen Film, der wie „Downton Abbey“ von Julian Fellowes geschrieben wurde. Man könnte ihn als inoffiziellen Pilotfilm zu „Downton Abbey“ betrachten, weil er ebenfalls auf einem aristokratischen Anwesen spielt, wo sich Adelige und ihre Diener im Jahr 1932 zu einem Jagdwochenende einfinden. Maggie Smith spielt darin quasi die gleiche Rolle wie in „Downton Abbey“, nämlich die einer alternden Gräfin, die die gesellschaftlichen Veränderungen um sie herum äußerst kritisch betrachtet. Vordergründig handelt es sich bei „Gosford Park“ um einen Whodunnit, weil etwa in der Mitte des Films der Hausherr ermordet wird und der Mord anschließend aufgeklärt werden muss. Tatsächlich geht es in dem Film aber kaum um diesen Mord, sondern um die Verwicklungen zwischen den zahlreichen Anwesenden auf Gosford Park – above stairs und below stairs. Die Idee zu „Downton Abbey“ ging aus dem Konzept zu „Gosford Park“ hervor und die Serie war ursprünglich sogar als Spin-off des Films gedacht.

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Film und Serie liegt im Auftauchen realer Personen: In „Gosford Park“ zählte der Schauspieler und Sänger Ivor Novello (gespielt von Jeremy Northam) zu den Gästen, während in einer Folge von „Downton Abbey“ die australische Opernsängerin Nellie Melba (dargestellt von der Sopranistin Kiri Te Kanawa) zu Gast ist. Aber um noch einmal zu Maggie Smiths Figur zurück zu kommen: Ihr bester Moment der vierten Staffel war wohl ihre fassungslose Äußerung, als ihr Sohn nach seiner Rücker aus den USA erklärt, wie sehr er sich freue, endlich wieder Alkohol trinken zu dürfen: „You can’t mean you never had a drink all the time you were there!“

„I’m not unhappy. I’m just not quite ready to be happy.“

Mit diesen Worten beschreibt Lady Mary in der sechsten Folge ihren Gemütszustand. Nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes hat sie viele Monate in Trauer verbracht. Diese Zeit ist nun zwar vorbei, doch wie sie sagt ist sie eben immer noch nicht ganz bereit dafür, wieder glücklich zu sein. Damit bringt sie das Soap-Prinzip auf den Punkt, wonach eigentlich keine Figur jemals langfristig glücklich sein darf. Insofern war der Ausstieg von Matthew-Darsteller Dan Stevens überhaupt nicht die Katastrophe für die Serie, die er zunächst zu sein schien. In einer „Making of“-Doku auf der Blu-ray erzählt Gareth Neame, ausführender Produzent der Serie, dass der Ausstieg erst eine sehr schlechte Nachricht zu sein schien („the worst thing that could happen“), doch dann wurde den Serienmachern folgendes klar: „The moment you look at it a different way and you spin it around and you say ‚Okay, so Mary can’t be with Matthew anymore‘. If you look at it another way, suddenly you have the best piece of sort of storytelling rocket fuel that you could have.“ Hier hat jemand offensichtlich seine Soap-Lektion gelernt, denn Soaps leben eben von Problemen, Krisen, Drama – und was könnte es da besseres geben, als hin und wieder einene Todesfall?

Aus solchen Ereignissen ergibt sich erst die Handlung, wobei es nie um die Ereignisse selbst geht, sondern stets um deren Konsequenzen und um die Reaktionen der Figuren. Daraus, wie Lady Mary mit dem Tod ihres Mannes umgeht, ergibt sich die Handlung (zum Beispiel wie sie Folge für Folge alle Männer, die um sie werben, abweist, weil sie noch in Trauer ist). Nachdem Mr. Bates von der Vergewaltigung seiner Frau Anna erfahren hat, ist Mrs. Hughes erleichtert, dass das Problem zwischen ihm und Anna nun ausgesprochen und damit aus der Welt geschafft ist. Aber: „Nothing’s over yet“, erwidert Mr. Bates. Es kann auch noch gar nichts vorbei oder das Problem beseitigt sein, denn das widerspräche dem Soap-Prinzip, Ereignisse möglichst lange nachhallen zu lassen. So schlimm eine reale Vergewaltigung auch ist, aus Soap-Sicht ist sie genau wie ein plötzlicher Todesfall ein freudiges Ereignis, da sie Erzähsoff für viele Episoden bietet. Auch in diesem Fall geht es wieder weniger um die Vergewaltigung an sich, sondern darum, wie die Figuren damit umgehen. Anna beschließt, ihre Vergewaltigung vor ihrem Mann geheim zu halten, aus Angst, er könnte sonst ihren Peiniger umbringen. Ihr Mann, Mr. Bates, wiederum fragt sich, warum seine Frau auf einmal so kalt und abweisend zu ihm ist und versucht heraus zu finden, was geschehen ist. Und Mrs. Hughes versucht so gut sie kann, zwischen den beiden zu vermitteln, ohne Annas Geheimnis zu verraten. Dass Anna vergewaltigt wurde ist – aus erzählerischer Sicht, wohlgemerkt – zu diesem Zeitpunkt schon fast irrelevant. Die Vergewaltigung dient bloß als ein eine Krise auslösendes Ereignis, das die Figuren dann für möglichst viele Episoden leiden, Geheimnisse haben, intrigieren, spionieren und trösten lässt.

Immer wieder sind es auch die Blicke der Figuren, die uns zeigen, dass eine Sache noch längst nicht vorbei ist. Misstrauische, verdächtigende, sehnsuchtsvolle, verspottende oder verachtende Blicke sind es, die sich die Figuren zu werfen oder mit denen sie sich heimlich umschauen. Einer der Bediensteten, der unsympathise Thomas Barrow (Robert James-Collier) hat sich das Sammeln von Geheimnissen und deren Benutzen für eigene Zwecke geradezu zum Geschäft gemacht. In der vierten Staffel instruiert er Mrs. Baxter, in seiner Abwesenheit auf die Geschehnisse im Haus zu achten und ihm bei seiner Rückkehr genau Bericht zu erstatten. Manchmal habe ich den Eindruck, Thomas weiß als einzige Figur in „Downton Abbey“, dass er sich in Wahrheit nur in einer Soap Opera befindet, so offensichtlich versucht er stets, andere auszuspionieren und gegen sie zu intrigieren.

„How curious these phrases are!“

Ich habe schon geschrieben, dass ich die vierte Staffel nicht mehr ganz so interessant fand, wie die vorhergehenden. Mit zunehmender Dauer wird leider immer klarer, dass hier eben immer nach demselben Prinzip erzählt wird. Wo die Staffel aber doch interessant wurde und wirklichen Witz entwickelt hat, war immer dann, wenn Grenzen überschritten oder sonstwie relevant wurden – Grenzen zwischen geselschafftlichen Schichten oder unterschiedlichen Kulturen. Die Einteilung in Adlige above stairs und deren Bedienstete below stairs ist ja offensichtlich; manchmal aber wird deutlich, dass auch innerhalb dieser beiden Schichten Abgrenzungen vorgenommen werden, zum Beispiel als ein schwarzer Sänger in den Dienstbotenquartieren zu Gast ist und von Mr. Carson doch tatsächlich gefragt wird, ob er je daran gedacht habe, nach Afrika zu gehen!

Mehrmals in der Staffel wird auch die Differenz zwischen Adeligen und Dienern zum Thema der Handlung, und zwar indem es zu Verwechslungen oder Täuschungen kommt. Rose gibt sich etwa auf einem Tanz in York als Bedienstete aus, während einige Folgen später Anna und ihr Mann in einem Restaurant aufgrund eines Missverständisses als Adelige behandelt werden. Eine Figur, für die diese Differenz ständig für Anspannung sorgt, ist der ehemalige Chaffeur Tom, der in die Familie Crawley eingheiratet hat. Formell gehört er nun zwar zur Familie, doch immer wieder wird ihm bewusst, dass er keineswegs einer von ihnen ist. Als eine Party auf dem Anwesen stattfindet, hat ihn Violet (ich nenne Maggie Smiths Figur der Einfachheit halber nun beim Vornamen, möge sie mir verzeiehen) darüber aufzuklären, mit welchen Titeln er die verschiedenen Gäste anzusprechen hat. Als er bemerkt, dass diese Regelungen unlogisch seien, entgegnet Violet: „If I were to search for logic, I should not look for it among the English upper class.“ 😀 Auch seinen ehemaligen Kollegen Thomas hat er nun, da er als Herr zum Diener spricht, mit dem Nachnamen anzureden, während er selbst nun als Teil der Familie von den anderen Familienmitgliedern nicht mehr mit seinem Nachnamen, sondern lediglich als „Tom“ anzusprechen ist, was wiederum bei Violet für Irritation sorgt.

Molesley (Kevin Doyle), der frühere Butler von Lady Isobel und ihrem Sohn Matthew, kehrt in der vierten Staffel als einfacher Hausdiener (footman) nach Downton Abbey zurück. Er nimmt die Stellung nur nach langem Zögern an, da sie einen Rückschritt für ihn bedeutet. Als er in seiner neuen Stellung das Essen serviert, spricht ihn Violet weiter mit seinem Nachnamen an, obwohl einfache Hausdiener im Gegensatz zum Butler eigentlich beim Vornamen genannt werden. Dem Butler Mr. Carson (Jim Carter) passt das gar nicht, doch er drückt seinen Ärger lediglich mit einem bösen Blick aus.

Im an die vierte Staffel anschließenden Christmas Special „Downton Abbey: The London Season“ kommt einmal mehr Besuch aus Amerika. Martha Levinson (Shirley MacLaine), die Mutter von Cora sowie Coras Bruder Harold (Paul Giamatti) sind aus New York angereist; auch sie haben natürlich ihre Bediensteten dabei. Das Aufeinandertreffen von Briten und Amerikanern sorgt für den Großteil der Lacher in dieser 90-minütigen Episode. So ist es etwa die britische Dienerschaft gewohnt, auswärtige Diener, die sich auf Downton Abbey aufhalten, der Einfachheit halber mit dem Namen ihrer jeweiligen Vorgesetzten anzureden (in „Gosford Park“ sorgt diese Praxis beim Zuschauer für reichlich Verwirrung). Als Ethan, Harold Levinsons Kammerdiener, von Mr. Carson als „Mr. Levinson“ angesprochen wird, ist er irritiert und weist Mr. Carson zurecht: „My employer is called Levinson, not me.“, woraufhin Mr. Carson entgegnet: „In this house, you both are.“

Als Ethan später auf Wunsch von Mr. Carson für einige Zeit die Aufgabe eines Hausdieners übernimmt und bei einem Empfang die Häppchen auf seinem Tablett den Gästen gegenüber aktiv anpreist („Would you care for one of these? I think they’re quite nice.“), muss ihn Mr. Carson erneut scharf zurecht weisen: „You’re a footman, not a travelling salesman. Please keep your opinions on the catering to yourself.“ 😀 Selten war ein culture clash unterhaltsamer. Einige Zeit später erfahren wir, dass die Dienerschaft Probleme hat, all das Eis aufzutreiben, das der Amerikaner Harold Levinson offenbar „in everything he drinks“ haben möchte…

Aber nicht nur unter der Dienerschaft sorgt die Anwesenheit der Gäste für Irritationen, auch die von Maggie Smith und Shirley MacLaine gespielten Figuren geraten erneut aneinander. Als Martha (MacLaine) und Harold das Zimmer betreten, in dem sich Violet (Smith) und der Rest der Familie gerade aufhalten, begrüßt Martha die Anwesenden mit einem „Oh, well, the gang’s all here, I see.“, was Violet trocken mit „Is that American for ‚Hello‘?“ kommentiert, nur um kurze Zeit später die Bemerkung „How curious these phrases are!“ nach zu schieben.

In all diesen Fällen gilt: die Irritation ergibt sich stets aus einer Differenz zwischen Angehörigen verschiedener Schichten oder unterschiedlicher Kulturen. Solche Unterschiede werden immer dann relevant, wenn sie in irgendeiner Form stören. Denn „da“ sind sie ja immer, sorgen im Normalfall aber nicht für Störungen, sondern tragen im Gegenteil dazu bei, eine bestimmte gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten, so kompliziert und umständlich sie zum Teil auch erscheinen mögen. Nur wenn sich jemand nicht in Übereinstimmung mit den ungeschriebenen Gesetzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens verhält, gerät die Kommunikation ins Stocken und es kommt zum Beispiel zu peinlichen Situationen wie der, in der der ehemalige Chauffeur die Damen der feinen Gesellschaft mit den falschen Titeln anspricht. (In diesem Fall ist ihm das zwar selbst nicht peinlich, weil er seinen Fehler gar nicht bemerkt, doch seine Gesprächspartnerinnen werden sich schon ihren Teil dabei denken.)

Meine Lieblingsszene aus dem 2013er Christmas Special ist in dieser Hinsicht das Aufeinandertreffen des Amerikaners Harold Levinson und des Prince of Wales, Eward VIII. (Oliver Dimsdale) auf einem Empfang im Buckingham Palace. Harold, der schon im Vorfeld seine Begeisterung über ein mögliches Treffen mit dem Prinzen zum Ausdruck gebracht hat, nutzt die Gelegenheit, als er diesen gerade ohne Gesprächspartner stehen sieht und geht entschlossen auf ihn zu. „How do you do? Harold Levinson.“, stellt er sich vor und streckt dem Briten seine Hand entgegen. Dies sorgt jedoch leider bereits für eine Störung und schließlich den kompletten Abbruch der Kommunikation, da die Sitte, sich jemandem vorzustellen, indem man einfach den eigenen Namen sagt, dem britischen Prinzen vollkommen unbekannt zu sein scheint. „You are mistaken, sir. I am not Harold Levinson, whoever he may be.“, erwidert der Prinz. Der Amerikaner Harold hat wahrscheintlich in dieser Situation gleich mehrere Regelen gebrochen, da er weder Ahnung von den britischen Gepflogenheiten im Allgemeinen zu haben scheint, noch davon, wie man sich einem Mitglied des Königshauses zu nähern hat. Es bleibt der herrliche, zunächst irritierte und schließlich belustigte Ausdruck auf Harolds Gesicht, nachdem ihn der ebenfalls irritierte Prinz einfach hat stehen lassen.

Aber nicht nur die Unterschiede zwischen Briten und Amerikanern, zwischen Adeligen und ihren Dienern spielen in „Downton Abbey“ eine Rolle. Je weiter die Handlung fortschreitet, um so öfter ist auch die Rede von einem gesellschaftlichen Wandel, in dem sich das starre  Klassensystem zumindest ein wenig aufzulösen beginnt. Martha Levinson sieht sich als eine der Vorreiterinnen dieser Entwicklung (was zugegeben wohl mit ihrer Identität als Amerikanerin zu tun hat). Sie bezeichnet sich als modern und legt keinen Wert darauf, einen Mann nur seines Titels wegen zu heiraten. Dass ihre eigene Tochter einen höheren gesellschaftlichen Rang innehat als sie selbst, stört sie nicht. Ganz am Ende der Staffel erklärt sie in einem Aufeinandertreffen mit Violet, der wohl stärksten Verfechterin der alten Ordnung: „I have no wish to be a great lady.“ Kurz darauf fügt sie hinzu: „I don’t mind looking in the mirror, because what I see is a woman who’s not afraid of the future. My world is coming nearer, and your world? It’s slipping further and further away.“

Hoffentlich werden diese gesellschaftlichen Umbrüche in der kommenden fünften Staffel der Serie noch näher beleuchtet. Sie bieten definitiv eine Menge an neuem, interessantem Erzählstoff.

„Downton Abbey“ als Soap Opera

Vor ein paar Tagen habe ich die dritte Staffel von „Downton Abbey“ zu Ende angeschaut. Wie auch schon nach der ersten und zweiten Staffel bin ich von dieser Serie weiterhin sehr fasziniert. Ich war vorher schon ein großer Fan von  Robert Altmans Film „Gosford Park“, der ebenso wie „Downton Abbey“ von Julian Fellowes geschrieben wurde und eigentlich genau die gleiche Thematik behandelt. Zwar spielt der Film im November 1932, also zwei Jahrhrzehnte später als die erste Folge von „Downton Abbey“, doch zeigt auch er anhand der auf einem Landhaus versammelten Gesellschaft aus Adeligen und ihren Dienern ein Abbild des britischen Klassensystems.

Während „Gosford Park“ zumindest vordergründig als Murder Mystery daherkommt, ist „Downton Abbey“ ganz klar von den klassischen Elementen einer Soap Opera geprägt. Zu diesen gehört beispielsweise, dass die Handlung fast ausschließlich über Gespräche vorrangetrieben wird; Actionszenen oder aufwändige Außenaufnahmen gibt es nicht zu sehen, dafür aber Menschen, die miteinander reden. Dafür eignet sich ein zentraler Schauplatz, an dem sich die Serie abspielt und an dem alle Hauptfiguren immer wieder versammelt sind, natürlich hervorragend,  sei dieser nun ein Krankenhaus, eine Wohngemeinschaft oder wie im Fall von „Downton Abbey“ ein aristokratischer Landsitz, auf dem etwa zwei Dutzend Menschen wohnen, zum Teil auch arbeiten oder jedenfalls regelmäßig dort zu Gast sind. Die Unterhaltungen der Protagonisten drehen sich dabei fast immer um deren persönliche Probleme. Soaps erzählen nicht von großen Kriegen und außergewöhnlichen, weltpolitischen Ereignissen, jedenfalls erzählen sie nicht direkt von ihnen. Denn all das kann in ihnen schon zum Thema werden, jedoch nur insoweit es für die Figuren der Soap von Bedeutung ist. So erzählt „Downton Abbey“ etwas über den ersten Weltkrieg, nimmt seine Zuschauer aber nicht mit ins Kampfgeschehen. Stattdessen wird der Krieg sozusagen nach Downton geholt und es werden seine Konsequenzen für die Zuhausegebliebenen zum Thema gemacht.

Ein weiteres wichtiges Merkmal von Soaps ist ihre prinzipielle Endlosigkeit. In der heutigen Serienwelt, in der sich Genres und Erzählformen immer mehr vermischen, ist dies vielleicht gar nicht mehr so klar erkennbar (auch „Downton Abbey“ widerspricht in einigen seiner Merkmale dem klassischen Soap-Schema), doch im Kern sind Soap Operas Geschichten, die sich endlos fortsetzen lassen. Für Daily Soaps, die in manchen Fällen jahrzehntelang vier oder fünf neue Folgen pro Woche hervorbringen müssen, ist dieses Charakteristikum geradezu überlebensnotwendig. Diese Endlosigkeit wird über eben jene kleinen und größeren Probleme hergestellt, über die die Figuren Episode für Episode reden. Während (Kino-)Filme, die in zwei Stunden eine abgeschlossene Geschichte erzählen, klar auf die Lösung der zu Beginn ihrer Handlung eingeführten Problemstellungen hinarbeiten und sie zum Schluss auch erreichen können, nehmen Soap Operas die Lösung von Problemen immer wieder zum Anlass für neue Probleme. In diesem Sinne ist hier eine Lösung niemals eine Lösung, sondern stets nur ein vorrübergehendes Ende. Zwar träumen die Charaktere (und mit ihnen die Zuschauer) davon, dass sich all die Krisen irgendwann auflösen und sie frei von Sorgen leben können, doch genau dieser Zustand wäre in diesem Fall das Ende der Erzählung. Dann bliebe nur noch ein „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“. Verbrechen, Ehekrisen, krumme Geschäfte, drohender Bankrott usw. werden in Soap Operas immer nur so zu einem Schluss gebracht, dass sich daran direkt die nächste Krise anschließen lässt. Auflösungen werden nur auf Zeit geboten, Stillstand gibt es nicht.

Sehr schön lässt sich dies an Hochzeiten verdeutlichen: In Liebesfilmen wird meist auf die Hochzeit hin erzählt und die Zuschauer sind glücklich, wenn sich das Liebespaar am Ende des Films endlich „gekriegt hat“ und die Glückseligkeit dann mit der Heirat ihren höchsten, finalen Punkt erreicht. Für Soap Operas wäre eine solche Funktion der Hochzeit dagegen fatal, da damit ein wirklicher Schlusspunkt erreicht wäre. Das Paar darf nach der Hochzeit eben nicht glücklich bis an sein Lebensende zusammen leben, diesen Luxus können sich nur Filme leisten, die aber den unfairen Vorteil haben, einfach zum Abspann übergehen zu können und nicht weiter erzählen müssen. In Soap Operas hält das frische Eheglück nie lange an. Sehr bald entdeckt die eben noch so glückliche Braut, dass ihr Mann ihr untreu ist. Oder dass er Drogen nimmt. Oder ein Kind aus einer früheren Beziehung vor ihr geheim hält. Oder der Mann hegt plötzlich große Zweifel and dem geschlossenen Bund fürs Leben, weil er eigentlich in eine andere verliebt ist. Die Möglichkeiten sind vielfältig und was Hochzeiten angeht, macht auch „Downton Abbey“ in der dritten Staffel mehrmals von ihnen Gebrauch.

Es ließen sich noch weitere Merkmale aufzählen, aber ich will hier keine medienwissenschaftliche Arbeit schreiben. Tatsache ist, dass „Downton Abbey“ in vielen Punkten genau dem klassischen Soap-Schema enstpricht. Die beiden genannten – die Fokussierung auf das Persönliche und auf persönliche Gespräche, sowie die Krise als Normalzustand und als Motor der Erzählung – gehören dazu. Interessanterweise verbindet „Downton Abbey“ diese Soap-Merkmale aber mit einigen anderen Merkmalen, die ganz und gar nicht zu einer Soap Opera passen wollen und schafft so eine (neue?) Mischform. Vor allem die Tatsache, dass nicht Tag für Tag oder Woche für Woche neue Episoden produziert werden, sticht dabei ins Auge (dennoch steht in der Serie nie etwas still, anders als andere aktuelle Serien wie etwa „Mad Men“ leistet sich „Downton Abbey“ zu keinem Zeitpunkt den Luxus eines langsames Erzähltempos). Dazu kommt, dass die schauspielerischen Leistungen weit über das Niveau hinausgehen, wie man es zumindest von einer konventionellen Daily Soap erwartet. Sicherlich ist auch dies ein Teil des weltweiten Erfolges der Serie. Die One-Liner, die Julian Fellowes Maggie Smiths Figur mindestens einmal pro Folge in den Mund legt, wären aus dem Mund einer anderen Schauspielerin etwa bestimmt nicht so zum Brüllen komisch (für mich zählen sie zu den Höhepunkten der Serie!).

Shirley MacLaine, die in der dritten Staffel eine Gastrolle spielt, äußert in einer der Dokumentationen auf den DVDs die Vermutung, der Erfolg der Serie läge auch in ihrem Erzähltempo begründet, das den Gewohnheiten der heutigen Internetgeneration entspricht. Tatsächlich ist mir – gerade im Vergleich zu anderen aktuellen Serien – der schnelle Wechsel an Szenen auch schon aufgefallen. Die Serie erzählt in jeder Folge mehrere parallele Handlungsstränge und schneidet dabei im gefühlten Minutentakt von einer Gesprächsszene zur nächsten, wobei meist direkt und ohne Erklärung mitten ins Thema eingestiegen wird. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das etwas Neues ist; vielmehr scheint es mir ein generelles Soap-Merkmal zu sein, dass man von modernen Serien vielleicht nur kaum noch gewohnt ist; hier wäre eine tiefergehende Analyse sicherlich interessant.

„Downton Abbey“ scheint also eine höchst interessante Verbindung neuer und alter Formen zu sein (und nicht nur neuer und alter, schließlich verbindet es auch die als kulturell wenig wertvoll angesehen Soap Operas mit den modernen, „sophisticated“ Serien, wo Schauspiel, Ausstattung usw. nur vom Feinsten sind). Ich bin schon gespannt auf das letztjährige 90minütige Christmas Special der Serie, das die Handlung nach der dritten Staffel weiterführt und das ich mir demnächst ansehen werde. Leider habe ich von entscheidenden Entwicklungen der Handlung schon gelesen und bin in diesem Sinne massiv gespoilert, doch vor dem Hintergrund meiner obigen Ausführunge muss es eigentlich klar sein, dass die Crawleys Weihnachten nicht in Glück und Frieden verbringen können, sondern dass die Handlung für alle Figuren erneut ein Wechselbad der Gefühle bereithält.