Zu „The Empty Hearse“ und „The Sign of Three“, den ersten beiden der drei neuen „Sherlock“-Folgen, habe ich schon etwas geschrieben. Es fehlt also noch Episode Nummer drei, „His Last Vow“. (Selbstverständlich enthält auch dieser Blogpost Spoiler!) Nach der konfusen zweiten Folge der Staffel konnte die finale Folge ja eigentlich nur besser werden – und das wurde sie dann auch. Der Titel „His Last Vow“ bezieht sich auf das Versprechen, das Sherlock (Benedict Cumberbatch) in der vorherigen Episode seinem besten Freund John Watson (Martin Freeman) und dessen Frau Mary (Amanda Abbington) gegeben hat: immer für sie da zu sein und sie zu beschützen. Während der Episodentitel ganz klar eine Abwandlung von „His Last Bow“ darstellt, basiert die Folge inhaltlich größtenteils jedoch auf einer anderen Sherlock Holmes-Kurzgeschichte, „The Adventure of Charles Augustus Milverton“.
Holmes‘ Anatagonist in dieser Folge ist Charles Augustus Magnusson (wahrscheinlich wurde der Name geändert, weil der Darsteller Lars Mikkelsen hörbar Däne ist). Nach der verführerischen Irene Adler und dem manisch-verrückten James Moriarty haben wir es dieses Mal mit einem kühlen, rationalen Bösewicht zu tun. Magnusson ist gerade deswegen so gefährlich für Sherlock, weil er ihm so ähnlich ist. Dass Magnusson über ähnlich brillante geistige Fähigkeiten verfügt wie Sherlock, ist eine der Überraschungen der Episode. Zu Beginn der Folge wird gezielt der Eindruck erweckt, Magnussons Brille sei eine Art Google Glass und füttere ihn jederzeit mit allen möglichen nützlichen Informationen. In dem Moment, als er während der Anhörung die Brille aufsetzt, sehen wir die ihm gegenüber sitzende Lady Smallwood (Lindsay Duncan) aus seiner Perspektive, während zahlreiche Informationen über sie eingeblendet werden (wie wir es aus der Serie sonst nur aus Sherlocks Sicht gewohnt sind). Die gewählte Courier-Schriftart und der Zeitpunkt der Einblendung suggerieren, dass die Informationen Mikkelsen über seine Brille erreichen – eine Täuschung, die die Episode lange aufrecht erhält. Als Mikkelsen in dieser Szene Lady Smallwoods Schwachpunkte abruft, teilt er ihr jedoch mit, er habe ein hervorragendes Gedächtnis, was bereits ein Hinweis darauf ist, dass er eben nicht auf Technik angewiesen ist, sondern genau wie Sherlock über einen mind palace verfügt, in dem er Informationen sammeln und wieder abrufen kann. Auch die Szene, in der wir ihn in seinem Haus eine Wendeltreppe hinuntergehen und in sein Archiv hinabsteigen sehen, in dem er Daten über alle Personen, die ihm gefährlich werden könnten, gespeichert hat, ist natürlich eine falsche Fährte, denn tatsächlich handelt es sich dabei ja um diesen mind palace.
„His Last Vow“ ist eine sehr, sehr gute „Sherlock“-Folge, qualitativ auf demselben Niveau wie einige der Episoden der ersten beiden Staffeln (besser als „Baskerville“, aber natürlich nicht so gut wie der wohl unerreichbare Höhepunkt „A Scandal in Belgravia“). Erneut ist das Erzähltempo sehr hoch und die Geschichte wartet mit immer neuen Wendungen und Überraschungen auf. Ist Sherlock drogenabhängig!? Warum steht Magnusson unter Mycrofts Schutz!? Sherlock hat plötzlich eine Freundin!!??? Sherlock erschießt Magnusson!!! Moriarty ist wieder da??? Besser als in den beiden vorhergehenden Folgen gelingt es dieses Mal, Drama, Spannung und Humor zu verbinden. Die lustigen Szenen nehmen nicht Überhand, wie in der vorherigen Folge und stehen klar in Zusammenhang mit dem großen Handlungsbogen; dadurch wirken sie nicht so aufgesetzt. Kritisieren könnte man sicherlich die Sequenz, die sich in Sherlocks Kopf abspielt, nachdem er angeschossen wurde. Manche mögen sie als unnötig und überzogen ansehen, für mich hat sie aber funktioniert und die Spannung erhöht, zumal danach ja auch wirklich Schluss ist und nicht zu einem gefühlten Dutzend weiterer Rückblenden oder mind palace-Szenen übergegangen wird, wie in der letzten Folge.
Filmisch hat die Episde ein paar tolle Effekte zu bieten. Vor allem die Szene, in der Sherlock John erklärt, wie sie gleich in Magnussons Büro einbrechen werden, hat mir in dieser Hinsicht gefallen. Bei genauerem Hinsehen lassen sich zudem ein paar Verbindungen zu den anderen beiden Folgen der Staffel finden. So versteht man rückblickend zum Beispiel, warum Sherlock auf Johns und Marys Hochzeit so freundlich zu Marys Brautjungfer Janine war. Und am Ende der Episode erkennt man, dass Magnusson für Sherlock nicht einfach nur ein weiterer Fall ist, sondern dass Sherlock dabei auch ein persönliches Motiv hat – eben jenes Verprechen, John und Mary zu beschützen.
„His Last Vow“ ist definitiv die beste Folge der Staffel. Mit Magnusson trifft Sherlock auf einen Gegner, der ihn mit seinen eigenen Waffen schlägt und bis zum Schluss die Oberhand behält. Die Schauspieler sind wie gewohnt fantastisch (auch Neuzugang Lars Mikkelsen), während Steven Moffats Drehbuch die Spannung konstant hoch und dabei immer neue Wendungen bereit hält. Und wo ich gerade bei Wendungen bin: Da ist ja noch der Cliffhanger zum Schluss… Den kann man dämlich finden oder großartig. Ich entscheide mich für die zweite Möglichkeit, ganz einfach weil ich Vertrauen in die Autoren habe. Klar, mit „The Sign of Three“ haben sie zwar die schlechteste Folge der Serie geschrieben, aber selbst die hatte noch hervorragende Momente. Da Steven Moffat in einem Interview gesagt hat, Moriartys nun angekündigte Rückkehr sei schon lange – seit seinem ersten Auftritt in der Serie – geplant gewesen, glaube ich ihm das einfach mal und hoffe, dass wir Anfang 2016 in der vierten Staffel eine ebenso vernünftige wie erstaunliche Erklärung dafür bekommen, wie und warum Moriarty nun zurück ist. In einem anderen Interview hat Moffat gesagt, dass nicht auch noch Moriarty (wie Sherlock) seinen Selbstmord nur vorgetäuscht hat. Er ist also am Ende der zweiten Staffel gestorben. Also haben wir den wahren Moriarty vielleicht wirklich noch gar nicht kennen gelernt? Was aber, wenn die Serien-Macher unbedingt dessen Darsteller Andrew Scott zurück bringen wollen? Ein Moriarty-Klon? Ein Zwillingsbruder? Ein „virtueller“ Moriarty, der Sherlock per Videobotschaft und Cyberangriff quasi aus der Vergangenheit terrorisiert? Die einfachste Erklärung wäre sicher, dass ein neuer Anatagonist einfach Moriartys Bild nutzt, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Aber so einfach wird es hoffentlich dann doch nicht sein. Wie die Auflösung dieser Geschichte aussieht, erfahren wir in ca. zwei Jahren, bis dahin heißt es nun wieder: Warten.