20 Jahre „HIStory“

Der deutschen Wikipedia-Seite zufolge erschien Michael Jacksons „HIStory“-Album heute vor 20 Jahren, am 14. Juni 1995. Da ich das Erscheinen dieses Albums als den Beginn meines Fanseins markiere, bin ich also bereits seit 20 Jahren Michael Jackson-Fan! Lasst mich noch ein bisschen weiter in der Zeit zurück gehen. Ich wurde im November 1981 geboren. Bereits einige Zeit vor der Veröffentlichung von „HIStory“, als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war, begann ich meine Leidenschaft für Michael Jackson zu entdecken. Meine Eltern hatten zu dieser Zeit zwei seiner Alben als CDs im Regal stehen: „Thriller“, das man einfach haben musste und das mein Vater wohl gekauft hatte, sobald ein CD-Player bei uns in der Wohnung stand, und das 1991 veröffentlichte „Dangerous“, das er wohl deshalb gekauft hatte, weil es bei seinem Erscheinen – wie die meisten MJ-Alben – aufwändig beworben wurde. Ich erinnere mich, dass meine Eltern mir einmal erzählten, sie hätten die Premiere eines Musikvideos von Michael Jackson im Fernsehen gesehen; vielleicht handelte es sich dabei um „Black Or White“, die erste Singleauskopplung aus „Dangerous“ und vielleicht war das der Auslöser, der zum Kauf des Albums geführt hatte. Musikvideos, gerade die von Michael Jackson, waren damals ja noch eine große Sache. Für uns umso mehr, wir hatten nämlich bis zu unserem Umzug 1996 kein Kabelfernsehen, was bedeutete, dass wir MTV und VIVA nicht empfangen und damit auch fast keine Musikvideos sehen konnten. Ich erinnere mich auch daran, dass mein Vater einmal nach Hause kam und vollkommen beeindruckt davon erzählte, er habe bei einem Freund das Video zu Meat Loafs „I’d Do Anything For Love“ (Regie: Michael Bay!) gesehen. Natürlich hatte er danach gleich das dazugehörige Album gekauft (das ich wie die beiden Jackson-Alben irgendwann quasi beschlagnahmte und in meinen eigenen CD-Ständer stellte – ich habe die drei CDs noch heute). Jedenfalls überspielte ich mir „Thriller“ und „Dangerous“ auf Kassette, um die Alben mit meinem Walkman hören zu können, den ich glaube ich zum zwölften Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Dabei handelte es sich nicht um einen „echten“ Walkman, also nicht um ein Sony-Gerät, aber man konnte mit ihm auch Radio hören, was zumindest in dieser Kombination etwas Besonderes war. Ich kann mich nicht erinnern, die beiden Alben schon damals besonders häufig gehört zu haben oder bereits eine bewusste Vorliebe für Michael Jackson entwickelt zu haben, aber sie müssen sich irgendwie in mein Unterbewusstsein eingebrannt haben.

Im Juni 1995 erschien also Michael Jacksons neues Album „HIStory“. Über Michael Jackson wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht besonders viel. Ich war 13 Jahre alt, interessierte mich erst seit etwa einem Jahr aktiv für Musik und konnte wie erwähnt zuhause kein MTV gucken. An einem Samstag im Juni schlug mein Vater vor, zum TV Markt 2000 zu fahren, um Michael Jacksons neues Album zu kaufen. Der TV Markt 2000 war ein großer Elektronikmarkt in einer der umliegenden Gemeinden und genau wie Media Markt oder Saturn (damals noch Saturn Hansa) in unserer Familie ein beliebtes Wochenendausflugsziel. In meiner Erinnerung handelte es sich bei diesem Samstag um den Erscheinungstag von „HIStory“, vielleicht war das Album aber auch bereits einige Tage auf dem Markt (der 14.06.1995 war jedenfalls ein Mittwoch). Mein Vater und ich fuhren also in den Elektronikmarkt, kauften dort die Doppel-CD und füllten im Geschäft auch noch jeder eine Teilnahmekarte für ein Gewinnspiel aus. Als wir wieder zuhause waren, klingelte das Telefon und es meldete sich ein Mitarbeiter des Marktes. Mein Vater und ich hatten bei dem Gewinnspiel den ersten und zweiten Preis gewonnen: er eine Stereoanlage, ich einen Videorekorder! Wir konnten die Gewinne sofort abholen, mussten uns aber beeilen, da damals die Geschäfte an Samstagen noch um 13 oder 14 Uhr schlossen. Doch wir kamen noch rechtzeitig, um unsere Gewinne in Empfang zu nehmen, düsten wieder zurück nach Hause und tauschten dort unsere Gewinne: Da ich mir sowieso eine Stereoanlage gewünscht hatte, bekam ich die Anlage und mein Vater den Videorekorder. Tja, und der Rest ist HIStory… Ich hatte die Stereoanlage über neun Jahre lang in meinem Besitz und hörte dort vor allem sämtliche Jackson-Alben rauf und runter. Mit „HIStory“ nahm meine Jackson-Leidenschaft so richtig Fahrt auf. Ein paar Wochen später kaufte ich mir „Off The Wall“ und „Bad“ und hatte damit erst einmal die wichtigsten, damals erschienen MJ-Alben beisammen.

die deutsche

Die deutsche „Earth Song“ Maxi-CD.

Seitdem sind 20 Jahre vergangen. Michael Jackson hat nach „HIStory“ mit „Invincible“ noch ein weiteres volles Studioalbum veröffentlicht, aus dem wegen seiner Streitigkeiten mit Sony Musik jedoch kaum Musikvideos, Hitsingles und Performances hervorgegangen sind. Ich bin froh, 1995 zum Fan geworden zu sein und so wenigstens noch ein paar Jahre lang miterlebt zu haben, wie aufregend es war, auf eine neue Single oder ein neues Musikvideo zu warten bzw. diese ganz unvorbereitet zu entdecken. Denn damals – das Internet war bei mir noch nicht richtig angekommen – wusste ich oft gar nicht, dass etwa eine neue Single bevorstand. Ich weiß noch, wie ich einige Tage vor MJ’s Auftritt bei „Wetten dass…?“ die „Earth Song“-Maxi-CD zufällig im Geschäft entdeckte. Auf der Hülle prangte ein Aufkleber mit dem Hinweis „Der Song aus Wetten, dass…?“, allerdings lag der Auftritt in Thomas Gottschalks Sendung noch einige Tage in der Zukunft. Erst durch diese Entdeckung erfuhr ich überhaupt von der Singleauskopplung. Auch dass es von manchen Maxi-CDs verschiedene Versionen gab, entdeckte man oft nur durch das geduldige Durchsuchen der CD-Abteilungen in den Geschäften. Als ich 1998 im Frankreich-Urlaub in einem Laden, der gebrauchte CDs verkaufte, französische, in Pappschubern steckende Versionen von „You Are Not Alone“, „Earth Song“ und „They Don’t Care About Us“ ergatterte, war ich überrascht und überglücklich.

drei französische Singles

Drei französische Singles.

Gestern jährte sich Michael Jacksons Freispruch von den falschen Anschuldigungen wegen Kindesmissbrauchs zum zehten Mal. Der australische MJ-Podcast „The MJCast“ hat dazu ein zweistündiges Interview mit Jacksons Anwalt Tom Mesereau geführt, das – wie alle Episoden des Podcasts – sehr hörenswert und informativ ist. Die 15 neuen Lieder auf der zweiten Disc von „HIStory“ beschäftigen sich bekanntlich zu einem großen Teil mit den Anschuldigungen von 1993, als Michael Jackson zum ersten Mal dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs ausgesetzt wurde. In „Scream“ setzen sich Michael und seine Schwester Janet gegen die Schmutzkampagnen der Medien zur Wehr, in „D.S.“ geht Michael persönlich mit Bezirkstaatsanwalt Tom Sneddon ins Gericht (dem Booklet zufolge steht „D.S.“ für „Dom Sheldon“, Michael singt aber hörbar „Tom Sneddon“) und in „Tabloid Junkie“ beklagt er sich über den Teufelkreis aus falschen Sensationsmeldungen und der Jagd nach immer höheren Auflagen und Einschaltquoten und fordert die Medienkonsumten auf, sich diesem Kreislauf schlicht zu verweigern: „To buy it is to feed it.“ (Lange Zeit dachte ich als Jugendlicher, der Song handele von MJ’s Tablettensucht, weil ich das in einer Zeitschrift gelesen hatte. Der Redakteur hatte das Lied wohl nicht genau angehört und nicht gewusst, dass „tabloid“ eine Bezeichnung für die Boulevardpresse ist.) Bei all den Aggressionen, die in vielen Liedern spürbar sind, finde ich es bezeichnend, dass Jackson das Album mit einer positiven Note enden ließ: mit seiner Version eines seiner Lieblingslieder, Charlie Chaplins „Smile“. „He starts the record with a scream, but ends it with a smile“, schreibt Brad Sundberg, der lange im Studio mit Jackson zusammen gearbeitet hat.

Der volle Titel des Albums lautet „HIStory – Past, Present and Future, Book I“. Ein „Book II“ ist nie erschienen, obwohl Michael nach den Jahren 2003 bis 2005 wohl Grund genug gehabt hätte, ein weiteres, sehr persönliches Album aufzunehmen. Während des Prozesses 2005 schrieb er zwar Songs, in denen er sich mit den Erfahrungen dieser Zeit auseinandersetzte, aber bekanntlich wurde zu seinen Lebzeiten keines der Lieder, an denen er nach „Invincible“ arbeitete, vollendet und veröffentlicht. „HIStory“ wurde 1995 beworben, als handele es sich um einen Kinoblockbuster. Michael drehte einen Kurzfilm, mit dem auf die Album-Veröffentlichung aufmerksam gemacht werden sollte und der soweit ich weiß auch im Kino zu sehen war (wer sich für die Interpretation dieses als „HIStory Teaser“ bekannten Werks interessiert, dem empfehle ich die drei sehr ausführlichen Blogposts auf dem „Dancing With The Elephant“-Blog). In mehreren europäischen Großstädten ließ Sony Music Statuen die vom Albumcover bekannten Michael Jackson aufstellen, unter anderem in London, wo eine davon auf der Themse schwamm. Michael Jackson gab zur Albumveröffentlichung eines seiner seltenen Interviews. Gemeinsam mit seiner damaligen Frau Lisa Marie Presley stellte er sich live im Fernsehen den Fragen von Diane Sawyer, die sich natürlich wie die meisten Journalisten kaum für die neue Musik interessierte, sondern Fragen stellte wie die, ob Michael und Lisa wirklich Sex miteinander hätten… (Auch zu diesem Interview gibt es eine sehr interessante Analyse.) Im September legte Michael einen spektakulären, 15-minütigen Auftritt bei den MTV Video Music Awards hin, der zu seinen besten Auftritten zählt: Wenn ich schon bei spektakulären Auftritten bin, darf ich natürlich auch Michaels Performance bei „Wetten, dass…?“ nicht vergessen, wo er die Halle zunächst mit „Dangerous“ und dann mit „Earth Song“ zum Beben brachte. Dieser Auftritt brachte ihm auch endlich seine erste Nummer 1-Single in Deutschland ein – „Earth Song“ blieb sechs Wochen auf dem Spitzenplatz. Auch die nächste Singleauskopplung „They Don’t Care About Us“ schaffte es hierzulande ganz nach oben in die Charts. Rückblickend hätte ich mir gerne noch weitere Singleauskopplungen aus „HIStory“ gewünscht. Insgesamt wurden sechs Titel als Singles ausgekoppelt (wenn man von den nicht käuflich erwerbbaren Promo-Singles einmal absieht), einer davon („HIStory“) jedoch nur als Remixversion und ohne richtig neues Musikvideo. Bemerkenswert ist die (für damalige Verhältnisse nicht ungewöhnliche) lange Lebensdauer des Albums. Durch die erst im September 1996 gestartete und über ein Jahr dauernde HIStory Tour und die zwischenzeitliche Veröffentlichung des Remixalbums „Blood On The Dance Floor – HIStory in the Mix“ wurde das Album über zwei Jahre lang aktiv beworben. Mit „Smile“ war zumindest eine weitere Singleauskopplung 1997 noch geplant gewesen, die jedoch wieder zurück gezogen wurde. Die wenigen bereits produzierten Promo-CDs sind heute ein begehrtes Sammlerstück (ich besitze leider keine). Besonders schade finde ich es, dass „2 Bad“ nicht als Single veröffentlicht wurde. Es ist eines der drei Lieder, die im knapp 40-minütigen Film „Ghosts“ vorkommen, der ursprünglich sogar als Musikvideo ganz allein für diesen Song geplant war. Es handelt sich dabei übrigens nicht um eine Fortsetzung von „Bad“, auch wenn das Wortspiel im Titel dies andeutet. Stattdessen setzt sich Michael hier ein weiteres Mal gegen all die Anschuldigungen zur Wehr, denen er ausgesetzt war.

Vor kurzem habe ich mir „HIStory“ wieder einmal angehört. Ich höre eigentlich so gut wie jeden Tag Musik von Michael Jackson, aber eben meistens auf dem iPod oder dem Laptop und in zufälliger Reihenfolge. Schon lange habe ich kein ganzes Album mehr am Stück gehört, so wie ich das früher oft getan habe. Genau das habe ich aber neulich getan: Die CD in den Player geschoben, mir gute Kopfhörer aufgesetzt und das Album vom ersten bis zum letzten Song durchgehört. In gewisser Weise war es, als hörte ich das Album zum ersten Mal. So viele Details gehen beim Anhören von mp3s auf dem Laptop oder mit kleinen iPod-Ohrstöpseln verloren und gerade Michael Jacksons Musik ist ja bekannt dafür, dass sie in teils jahrelanger Studioarbeit mit viel Liebe zum Detail aufgenommen und produziert worden ist. Ich habe so viele Dinge in den Liedern entdeckt, die ich schon lange nicht mehr – oder manchmal sogar noch nie – gehört habe.

die deutsche Erstveröffentlichung des

Die deutsche Erstveröffentlichung des „HIStory“-Albums (für eine größere Ansicht auf das Bild klicken).

A propos Details, von „HIStory“ existieren – wie von allen Jackson-Alben – verschiedene Versionen, die sich nicht nur äußerlich unterscheiden, sondern zum Teil auch inhaltlich. Wer das Album 1995 in Deutschland gekauft hat, der wird vielleicht genau wie ich eine Version der auf 500.000 Exemplare limitierten Erstauflage besitzen, die mit einem Aufkleber versehen war (siehe Foto). Die „persönliche Botschaft“ an seine deutschen Fans befindet sich als 16. Track auf der ersten CD. Neben Deutschland bekamen auch Frankreich und Holland eine eigene Botschaft von Michael. Außer dem Booklet lag der Erstauflage noch ein Flyer bei, mit dem man T-Shirts und anderes offizielles Merchandise bestellen konnte. (Übrigens besitze ich das Album, das mein Vater damals 1995 gekauft hat, schon seit einigen Jahren nicht mehr. Durch den jahrelangen fast täglichen Gebrauch ist irgendwann die Hülle kaputt gegangen, sodass ich das Album irgendwann leider weggeschmissen und mir bei Ebay ein anderes Exemplar der Erstauflage besorgt habe.) Neben diesen äußeren Besonderheiten bietet die Erstauflage des Albums auch ein paar inhaltliche: „They Don’t Care About Us“ liegt hier noch in der usprünglichen Version, bei der die Worte „jew“ und „kike“ noch nicht durch Geräusche unhörbar gemacht worden waren. (Für die Singleversion des Songs wurde zusätzlich der erste Refrain des Songs verändert. In der Albumversion singt Michael ihn alleine, in der Singleversion zusammen mit dem Chor, genau wie auch im späteren Verlauf des Songs.) Ein weiterer Unterschied betrifft den Titelsong des Albums: Auf der ursprünglichen Fassung beginnt das Lied mit einem Auszug der Orchesterfassung von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, der später durch ein anderes, ähnlich klingendes Stück ersetzt wurde (den Grund dafür kenne ich nicht). „Come Together“ liegt auf „HIStory“ leider nur in einer gekürzten Version vor (dabei hätten doch noch zwei Minuten mehr auf die CD gepasst). Die ursprüngliche, fast fünfeinhalb Minuten lange Fassung des Liedes wurde 1992 auf der Maxi-CD zu „Remember The Time“ veröffentlicht. Dass Michael den Song 1995 auf das Album packte, obwohl er ihn zuvor bereits veröffentlicht hatte, finde ich sehr interessant. Auch „You Are Not Alone“ ist auf „HIStory“ nicht in voller Länge zu hören, zumindest ist die 2004 auf der „Ultimate Collection“ veröffentlichte Fassung des Songs tatsächlich um etwa 15 Sekunden länger (es wird später ausgeblendet).

die beiden Discs des

Die beiden Discs des „HIStory“-Albums als Einzel-CD-Ausgaben.

„HIStory“ ist fast überall nur als Doppelalbum erschienen. Zwar wurde 2001 die erste CD des Albums als separates Greatest Hits-Album unter dem Titel „Greatest Hits – HIStory Volume I“ in den Handel gebracht, die zweite Disc – also das eigentlich neue Album – erschien jedoch nie als einzelne CD. Das dachte ich zumindest bis vor ein paar Jahren, als ich im Internet auf eine spezielle, in Italien veröffentlichte „HIStory“-Version stieß. Dabei handelt es sich um eine Einzel-CD, die nur aus der zweiten Disc besteht – diese ist allerdings nicht gold, wie die ursprünglichen „HIStory“-CDs, sondern in normalem „CD-Silber“ gehalten. Ich bin ja eigentlich niemand, der jede einzelne mal irgendwo auf der Welt veröffentlichte Fassung eines Albums sammelt, aber diese Version musste ich mir dann doch kaufen.

die italienische Single-Disc-Version von

Die italienische Single-Disc-Version von „HIStory“ mit silberner CD.

Mit „HIStory“ bin ich also zum Michael Jackson-Fan geworden. Mein Lieblingsalbum ist „Dangerous“, aber jetzt – nachdem ich mir „HIStory“ wieder einmal ganz angehört habe – ist mir erneut bewusst geworden, was für ein Meisterwerk auch dieses Album ist. Als es 1995 erschien, taten die Medien das Album fast ausnahmslos als Musik eines paranoiden und größenwahnsinnigen Spinners ab, der seine besten Zeiten hinter sich hatte. Dass Michael Jackson sich durchaus künstlerisch weiter entwickelt hatte und auf „HIStory“ einige seiner besten Lieder („Earth Song“, „Stranger In Moscow“) veröffentlichte, wollten oder konnten damals die Wenigsten sehen. Neben der geradezu unverstellbar detailverliebten Produktion der Songs ist auch die Zusammenstellung der Lieder bemerkenswert. Wütende Aufschreie gegen die Medien („Scream“, „Tabloid Junkie“) stehen neben einem Protestsong, der sich für die Rechte der Armen und Benachteiligten einsetzt („They Don’t Care About Us“). Ein intimer Blick in Jacksons manchmal so einsame Seele („Stranger In Moscow“), eine sämtliche Konventionen der Popmusik sprengende Hymne für den Planeten („Earth Song“) und sogar eine klassisch instrumentierte Ballade über Kindesmisshandlung (!) („Little Susie“) finden sich ebenfalls auf dem Album. Dann gibt es noch einen Sprechgesang gegen Gier und Korruption („Money“), einen simplen und aggressiven Rocksong, in dem Michael seine Wut über Tom Sneddon herausschreit („D.S.“), ein funkiges R&B-Stück, mit dem Michael Tom Sneddon, Evan Chandler & Co. quasi die Zunge raustreckt („This Time Around“), eine ganz konventionelle Liebesballade („You Are Not Alone“), eine sehr gelungene Beatles-Coverversion („Come Together“), einen weiteren intimen Blick in Michaels Seelenleben und sein wohl persönlichstes Lied („Childhood“), eine aggressive Funk/R&B-Tanznummer („2 Bad“) und ein mit Zitaten angereichertes, in den Strophen zackig-trotziges und im Refrain euphorisch-hymnisches Stück, das sich wie der Albumtitel sowohl auf Michael Jackson persönlich als auch auf den Zustand der Welt im Allgemeinen beziehen lässt („HIStory“). Zum versöhnlichen Abschluss dann Michaels grandiose Version von „Smile“.

„HIStory“ ist sicherlich Michael Jacksons vielseitigstes Album. Er wechselt darauf zwischen so vielen Genres und Stilen hin und her, dass der Begriff „Popalbum“ fast schon nicht mehr auszureichen scheint. Wenn man dem Album eines vorwerfen kann, dann dass es uneinheitlich ist. Im Gegensatz zu „Dangerous“, das sich trotz auch dort vorhandener Genrewechsel wie aus einem Guss anhört, ist „HIStory“ eine Zusammenstellung höchst unterschiedlicher Stücke, die auf den ersten Blick nicht immer zusammenpassen wollen. Michael hätte sich dafür entscheiden können, erst einmal nur ein Album voller aggressiver, funkiger Songs herauszubringen. Doch er dachte jenseits von Genregrenzen, Musik war für ihn Musik und ein guter Song ein guter Song. Zudem waren ihm viele Lieder auf „HIStory“ sicherlich wegen ihrer Botschaft sehr wichtig. Der fehlende musikalische rote Faden ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass er hier noch mehr als bei „Dangerous“ mit mehreren unterschiedlichen Produzenten arbeitete. Erstmals produzierte er allerdings auch einige Titel ganz alleine (z.B. „Stranger In Moscow“, „Little Susie“, „They Don’t Care About Us“). „HIStory“ ist wahrlich ein monumentales Album, ein in seinem Umfang extrem ehrgeiziges Werk, aber auch eines, das Michael Jackson auf dem Höhepunkt seines musikalischen Schaffens zeigt und intime Blicke in seine Sicht auf die Welt – nicht nur auf seine Welt – ermöglicht. Leider hat der Michael Jackson Estate das Jubiläum des Albums vollkommen ignoriert. Wir warten also erst einmal auf den 25. Jahrestag des Albums – vielleicht erwartet uns ja dann die Jubiläumsedition mit Demoversionen, unveröffentlichten Stücken und Hintergrundmaterial (allerdings bezweifliche ich das). Bis dahin höre ich einfach das Original-Album wieder und wieder an – es gibt darin noch so vieles zu entdecken.

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