DOK.fest 2015: The Circus Dynasty

Gestern Abend wurde das 30. DOK.fest in München offiziell eröffnet. Die Eröffnung fand zum Jubuliäum erstmals im Deutschen Theater statt, wo sich die Anhänger des Dokumentarfilms in Scharen einfanden. Im Laufe der Eröffnungszeremonie war mal von 1.400, dann 1.800 und später 1.500 Gästen im fast ganz gefüllten Saal die Rede, der Regisseur des Eröffnungsfilms „The Circus Dynasty“, Anders Riis-Hansen, schaffte schließlich mit der Angabe „fast 2000 Gäste“ Klarheit.

Dass das Festival mit einem Besucherandrang dieser Größenordnung noch seine Probleme hatte, konnte jeder Gast beim Einlass erleben. Der Beginn der Veranstaltung war mit 20:00 Uhr angegeben, aber als ich um 19:45 Uhr eintraf, verstopfte eine große Menschentraube den Durchgang zum Innenhof des Theaters. Um Zugang zu erhalten, musste sich jeder Gast bei den DOK.fest-Mitarbeitern ein Armband abholen, doch die (kaum als solche erkennbaren) Warteschlangen vor den Schaltern wurden lange Zeit kaum kürzer. Als sich die Reihen endlich lichteten und ich fast am Schalter angelangt war, wurden aufgrund der inzwischen großen Verspätung alle noch wartenden Gäste einfach ohne Armband ins Theater durch gewunken. Das Ganze war definitiv sehr schlecht organisiert, aber Maya Reichert, die Moderatorin des Abends entschuldigte sich mehrfach und gelobte Besserung fürs nächste Jahr.

Nachdem alle Reden geschwungen waren, wurde das Theater für 90 Minuten zum Kino. Festivalleiter Daniel Sponsel hatte zuvor noch darüber sinniert, was man in einem Film über Liebe denn eigentlich genau zeigen und wie man das Thema dem Publikum vermitteln kann. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass es in „The Circus Dynasty“ gar nicht so sehr oder jedenfalls nicht hauptsächlich um Liebe geht. Die dänische Dokumentation erzählt aus dem Alltag zweier europäischer Zirkusfamilien – den Cassellys und den Berdinos – und versucht dabei, die jungen verliebten Artisten Merrylu Casselly und Patrick Berdino als Zirkus-Traumpaar ins Zentrum zu rücken. Die Verbindung der beiden stellt für deren Familien natürlich einen Glücksfall dar, lässt sich das hoch talentierte Paar doch hervorragend vermarkten und wird womöglich eines Tages für ebenso talentierten Nachwuchs sorgen.

Merrylu Casselly und Patrick Berdino

Foto Credit: DOK.fest München / The Circus Dynasty

Der Film stellt zwar zu Beginn die beiden Familien kurz jeweils in einem Standfoto vor. Darüber hinaus werden aber keine Erläuterungen zur Herkunft der Familien geliefert. Genauso wenig erfährt man, wo die Zirkusse ihre Zelte aufgeschlagen haben und die einzelnen Szenen gefilmt wurden. Zusätzlich verwirrt hat mich die Tatsache, dass Patrick Berdino anscheinend zu Beginn des Films bereits bei den Cassellys lebt. Wann genau es dazu kam (und ob seine Familie ihn widerspruchslos hat fort gehen lassen), erfährt man nicht. Für einige Zeit ist deshalb manchmal unklar, bei welcher Familie man sich gerade befindet. Es dauert eine Weile, bis man alle Personen und deren Beziehungen zueinander kennen gelernt hat. Da hätte Regisseur Riis-Hansen dem Zuschauer durch eine klarere und ausführlichere Einführung der Familienmitglieder zu Beginn des Films etwas Verwirrung ersparen können.

Wie erwähnt geht es zwar immer wieder um die Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Merrylu und Patrick, doch es sind eigentlich die anderen Aspekte des Films, die die viel interessanteren sind. Weil Riis-Hansen versucht, die Liebesgeschichte ins Zentrum zu rücken, werden viele davon leider nur angerissen. Da ist zum Beispiel der schwerreiche amerikanische Entertainment-Konzern, der extra einen Vertreter zu den Cassellys schickt, um sie zu einem mehrjährigen Engagement in den USA zu überreden. Oder das harte Zirkusleben im Allgemeinen: das jahrelange und tägliche Trainieren, die ständigen Ortswechsel usw. – zumindest mich hätte all das sehr interessiert, aber man erhält leider nur relativ kurze Einblicke in den harten Alltag eines Geschäfts, dessen Darbietungen in der Manege so leicht und mühelos wirken.

Der Film ist mir generell etwas zu oberflächlich geblieben. Riis-Hansen hat sich zwar entschieden, die Liebesgeschichte zum Zentrum seiner Geschichte zu machen, doch auch dabei hätte er ein wenig mehr nachbohren können. Er hätte zum Beispiel zumindest die Frage stellen sollen, ob die Beziehung zwischen Merrylu und Patrick nicht auch durch Druck ihrer Eltern zustande kam. Oder ob man als Zirkuskind jemals daran denkt, einen anderen Beruf zu ergreifen als die Eltern und ob nicht auch hier deren Erwartungen eine Rolle gespielt haben. Von Zweifeln und Konflikten ist im Film allerdings lange Zeit kaum etwas zu sehen. (Und es stellt keinen großen Spoiler dar, wenn ich verrate dass der einzige nennenswerte Konflikt die Liebesbeziehung betrifft. Schließlich braucht jede Liebesgeschichte einen dramaturgischen Spannungsbogen.)

„The Circus Dynasty“ ist also ein nur bedingt gelungener Film, der einem aber nicht das Gefühl vermittelt, umfassend über das Thema informiert zu werden. Riis-Hansens Versuch, eine Liebesgeschichte ins Zentrum zu stellen, macht den Film zwar recht kurzweilig und emotional, aber bei mir blieb vor allem der Eindruck zurück, dass hier weitaus interessantere Geschichten hätten erzählt werden können.

„The Circus Dynasty“ wird noch dreimal auf dem DOK.fest gezeigt. Infos über die genauen Zeiten und Spielorte sowie zu den Tickets gibt es hier.

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