Rogue One

Dieser Blogpost enthält Spoiler!


Ich war im Vorfeld gar nicht so sehr gespannt auf den neuen „Star Wars“-Film. Obwohl letztes Jahr mit „Das Erwachen der Macht“ erst der erste von vielen sich bei Disney und Lucasfilm in Planung befindenden neuen „Star Wars“-Filmen ins Kino gekommen war, war 2016 für mich schon von einem „Zuviel an Star Wars“ geprägt. Während man zu Zeiten der Prequel-Trilogie jeweils drei Jahre zwischen den Filmen Zeit hatte, um das Gesehene und Erlebte zu verarbeiten, über den Fortgang der Geschichte zu spekulieren, sich mal zwischendurch auch kaum mit „Star Wars“ zu beschäftigen und dann allmählich wieder von der Vorfreude auf den nächsten Film gepackt zu werden, ist das nun nicht mehr möglich. Sofort nach der Heimkino-Veröffentlichung von Episode VII wurde die Marketingmaschine für „Rogue One“ angeschmissen; eine Pause gab es nicht. Noch dazu war hier in München „Star Wars“ über Monate hinweg im Stadtbild präsent – Plakate warben für die „Star Wars Identities“-Ausstellung und zwischenzeitlich auch für „Star Wars“-Parfum. Man kann also durchaus jetzt schon von einer leichten Übersättigung sprechen.
Jyn Erso (Felicity Jones)Aber ich will mich (noch) nicht beschweren. In den letzten zwei oder drei Wochen vor dem Kinostart von „Rogue One“ hat mich das „Star Wars“-Fieber dann doch wieder gepackt. Natürlich habe ich den Film bereits am Starttag wieder zweimal angeschaut, wie schon „Das Erwachen der Macht“ im letzten Jahr. Und ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt.

Den Gerüchten um ausgiebige Nachdrehs und den zahlreichen Szenen aus den Trailern, die im fertigen Film vorkommen nach zu urteilen, waren die Handlung des Films sowie die Charakterisierung einiger Figuren noch relativ spät größeren Änderungen unterworfen (einige Spekulationen dazu finden sich hier). Angemerkt hat man das dem fertigen Film kaum. Dieser fühlt sich durch und durch nach „Star Wars“ an und ist zwar phasenweise etwas düsterer und gewalttätiger als die Episoden der Skywalker-Saga, aber grundsätzlich viel anders macht der Film nicht. Was ihn allerdings positiv von Episode VII abhebt, ist die Bereitschaft, neue Welten und Schauplätze vorzustellen. Denn während sich J.J. Abrams in „Das Erwachen der Macht“ fast schon ängstlich an aus früheren Filmen bekannte Bilder, Landschaften und Szenarien hielt, betritt Regisseur Gareth Edwards mit „Rogue One“ in dieser Hinsicht öfter Neuland. Besonders interessant fand ich den Planeten Jedha mit seiner heiligen Stadt, in der sich ein früherer Jedi-Tempel befindet. Obwohl – oder gerade weil – dies im Film nur kurz erwähnt wird, will ich unbedingt mehr darüber erfahren. Auch die vom Imperium besetzte Stadt an sich stellt einen interessanten neuen Schauplatz dar, ebenso wie der tropische Planet Scarif.

Die Schlacht um ScarifDie Handlung an sich war stellenweise etwas wirr, unlogisch und künstlich in die Länge gezogen. Auch erschienen mir nicht alle Szenen des Films wirklich etwas zur Geschichte beizutragen; den Prolog etwa hätte man gar nicht gebraucht, ebenso wie die Szenen auf Eadu. Ähnliches gilt für die Figuren, derer es zu viele im Film gibt. Nicht alle sind für die Geschichte wirklich notwendig und viele von ihnen erfahren kaum Charakterisierung oder Entwicklung. Den Auftritt von Jyns Vater Galen Erso (Mads Mikkelsen) hätte man eigentlich auf seine Hologramm-Botschaft beschränken können und ähnliches gilt für den desertierten imperialen Piloten Bodhi Rook (Riz Ahmed), der erst in der Schlacht am Ende aktiv für die Handlung relevant wird. Umgekehrt verhält es sich mit Saw Gerrera (Forest Whitaker; die Figur tauchte übrigens erstmals in der fünften Staffel von „The Clone Wars“ auf): er wird erst mysteriös und bedeutungsschwanger in die Handlung eingeführt, ohne dann aber viel zu tun zu haben. Streng genommen ist auch die erste der beiden Szenen mit Darth Vader reiner Fanservce, aber was habe ich mich gefreut, das alte Ralph McQuarrie-Konzept von Vaders Festung auf einem Lavaplaneten doch noch in einem „Star Wars“-Film zu sehen!

Director Krennic (Ben Mendelsohn)Überhaupt gab es natürlich eine Menge toller Anspielungen und Easter Eggs. Die Erwähnung von „General Syndulla“ (womit wohl Hera Syndulla aus „Rebels“ gemeint ist) in einer Durchsage in der Rebellenbasis, fand ich besonders toll. Auch dass einige der Piloten, die in Episode IV in der Schlacht um den Todesstern mitkämpfen, durch 1976 gedrehtes, aber damals nicht im Film verwendetes Material nun noch einmal auf der Leinwand auftauchen, ist großartig. Doch die beiden Figuren, über die natürlich am meisten geredet wird, sind Grand Moff Tarkin und Prinzessin Leia, die hier dank moderner CGI-Technik so auf der Leinwand erscheinen, wie sie 1977 zu sehen waren. Leias Szene ist zwar sehr kurz und Tarkin tritt wohl bewusst nur in relativ dunklen Szenen auf, dennoch haben die beiden Figuren im Kino für offene Münder und erstauntes Keuchen gesorgt.

Der Film hat mir beim zweiten Mal deutlich besser gefallen, weil ich dabei schon mit der teilweise etwas wirren und unlogischen Handlung vertraut war. Gerade im Mittelteil zieht sich die Geschichte doch arg in die Länge und nimmt erst mit der Ankuft auf Scarif so richtig Fahrt auf. Hochemotional wird es schließlich erst in den letzten Minuten, als die Soldaten der Allianz von Darth Vader niedergemetzelt werden und unter Einsatz ihres Lebens die Todessternpläne weitergeben. Nachdem Leia den Datenträger schließlich erhält, ist der Film abrupt zu Ende; ich hatte erwartet, dass es danach noch einige Minuten lang weiter geht und wir Leia, R2-D2, C-3PO und Captain Antilles noch eine Weile auf ihrer Flucht Jedhavor Darth Vader folgen, aber das wäre nur weiterer Fanservice gewesen und hätte nichts Wichtiges zum Film beigetragen. Man kann aber ganz klar sagen, dass man „A New Hope“ fortan mit anderen Augen sehen wird…

Insgesamt bin ich also sehr zufrieden mit „Rogue One“. Denn trotz einer teilweise etwas zähen Handlung, zu vielen Figuren und einigen Logiklöchern hat mir der Film großen Spaß gemacht, sich eindeutig wie „Star Wars“ angefühlt und einige interessante Schauplätze eingeführt.

Bilder: Copyright Walt Disney Pictures

Hannibal – Die dritte Staffel

Achtung! Dieser Text enthält Spoiler zur dritten Staffel von „Hannibal“!

„Hannibal“ ist eine Serie voller Gegensätze. Jede Episode ist voller grausamer Bilder, die aber doch so kunstvoll und ästhetisch in Szene gesetzt sind, dass man nicht wegschauen kann. Die Serie hat zahlreiche Fans auf der ganzen Welt („Fannibals“), wurde aber nach der dritten Staffel wegen schlechter Quoten abgesetzt. In den Haupt- und Nebenrollen sind namhafte Stars aus Film und Fernsehen zu sehen, deren Schauspiel hier aber oft so entrückt und fremdartig wirkt, dass es mit ihren anderen Arbeiten kaum zu vergleichen ist.

Hannibal - Blu-raySchon von den ersten Episoden an war ich ein Fan von „Hannibal“. (Die erste Staffel habe ich im Blog besprochen, bei der zweiten habe ich es leider versäumt.) Ich habe die Romane von Thomas Harris gelesen und alle früheren Verfilmungen des Stoffes gesehen. Ridley Scotts „Hannibal“ hatte es mir für eine Weile besonders angetan. Als ich von Bryan Fullers Plan erfuhr, in der Serie nacheinander die drei Romane „Roter Drache“, „Das Schweigen der Lämmer“ und „Hannibal“ fürs Fernsehen zu adaptieren, war ich begeistert. Und wer hätte sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass Mads Mikkelsen sich die Rolle des Hannibal Lecter so sehr zu eigen machen würde – eine Rolle, die zuvor untrennbar mit der Darstellung durch Sir Anthony Hopkins verbunden schien.

Dr Hannibal LecterBasierend auf Figuren aus „Roter Drache“ – allen voran Will Graham (Hugh Dancy), Dr. Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) und Jack Crawford (Laurence Fishburne) – erzählten die ersten beiden Staffeln der Serie weitgehend neue Geschichten. Erst in der dritten Staffel beginnen Fuller und die anderen Drehbuchautoren nun konkret damit, Handlungsstränge aus den Romanen zu adaptieren. In der ersten Hälfte der Staffel hält man sich dabei an den Roman „Hannibal“, während die zweite Hälfte sich an „Roter Drache“ orientiert. Dass die beiden Bücher eigentlich in umgekehrter Reihenfolge spielen (und mit einem Abstand von mehreren Jahrzehnten) spielt dabei keine Rolle. Denn die Serie war von Beginn an keine strenge Adaption der Romane – was sowieso langweilig gewesen wäre – sondern eher so eine Art Remix der aus den Büchern und bisherigen Verfilmungen bekannten Figuren und Handlungselemente. (Übrigens haben die Serienmacher sich zwar die Rechte an den Romanen „Roter Drache“, „Hannibal“ und der Lecter-Vorgeschichte „Hannibal Rising“ sichern können, jedoch noch nicht an „Das Schweigen der Lämmer“. Dies ist der Grund dafür, warum in der Serie bisher keine Figuren und Elemente aus diesem Buch aufgetaucht sind, u.a. natürlich auch nicht Clarice Starling.)

Jack CrawfordFans des Hannibal Lecter-Universums bekommen mit „Hannibal“ sowohl viele altbekannte Elemente vorgesetzt, die man bei einer Adaption des Stoffes erwartet, als auch Neues und Überraschendes. Ein Beispiel ist die Balkon-Szene in Florenz, die man aus dem Roman „Hannibal“ und dessen Verfilmung kennt und die eine meiner Lieblingsszenen des Films ist. Sie läuft in der Serie zunächst genau so ab, wie man es voller Spannung und Vorfreude erwartet: Hannibal Lector karrt den gefesselten Inspektor Pazzi (Fortunato Cerlino) auf einen Balkon des Palazzo Vecchio, um ihm dort den Bauch aufzuschlitzen. Genau wie im Roman erhält Pazzi einen Anruf und genau wie man es erwartet, geht Lecter ans Telefon. Hier ist es aber (aus den erwähnten Gründen) nicht Clarice Starling, die anruft um Pazzi vor Lecter zu warnen, sondern die FBI-Psychologin und ehemalige Lecter-Geliebte Alana Bloom (Caroline Dhavernas). Und als Lecter Pazzi schließlich vom Balkon stürzt und dort baumeln lässt, wird die Szene durch die Ankunft von Jack Crawford erweitert, der Lecter sodann in einem Kampf auf Leben und Tod verwundet. Aber Lecter entkommt.

Als Lecter in der nächsten Folge Will Graham und Crawford in seine Gewalt bringen kann, bringt uns das zu einer Abwandlung der berühmten „Gehirnszene“ aus „Hannibal“. Hier ist es nun Will, dessen Schädel Lecter aufschneiden will. Leider kommt es nicht dazu – dafür habe ich mich hier aber bei meinem eigenen Voyeurismus ertappt, weil ich richtig enttäuscht war, dass nun doch kein Schädel aufgeschnitten und kein Gehirn verfüttert wurde. Immerhin waren die Blutspritzer, als Lecter seine Säge an Wills Kopf ansetzte, sehr schön – selten zuvor sahen Gewalt und Tod so kunstvoll und ästhetisch aus wie in „Hannibal“.

Hannibal Lecter & Bedelia Du MaurierLeichte Unterhaltung ist „Hannibal“ sicher nicht, und das nicht nur wegen des hohen Gewaltanteils. Die Serie macht es ihren Zuschauern auch nicht leicht. Die Handlung wird zu einem großen Teil über Bilder vermittelt und nicht immer chronologisch erzählt. Zeitsprünge sind ebenso an der Tagesordnung wie minutenlange Szenen gänzlich ohne Dialoge, untermalt nur von der eigenwilligen, aber äußerst passenden und effektiven Musik von Brian Reitzell. Es ist schon eine Weile her, dass ich die zweite Staffel angeschaut habe, aber ich hatte nun bei der dritten Staffel den Eindruck, als sei die Serie noch einmal ein ganzes Stück sonderbarer geworden. Die teils surrealen Bilder und die nicht traditionelle Erzählweise gehörten ja schon immer zum Stil der Serie, aber in der dritten Staffel wird die Schraube diesbezüglich noch einmal ein ganzes Stück angezogen. Wer schon die ersten beiden Staffeln geliebt hat, wird das mögen. Aber neue Zuschauer kann man so sicher keine gewinnen und auch diejenigen, die „Hannibal“ bisher als crime drama zu schätzen wussten, werden zumindest in der ersten Hälfte der Staffel enttäuscht. Das aus den ersten zwei Staffeln bekannte Schema, wo Will und Hannibal stets mit vereinten Kräften einem Mörder auf die Spur kommen mussten, wird hier fallen gelassen. Einfach mal eben eine Folge anschauen und sich davon gut unterhalten lassen, ist sowieso nicht möglich. Man muss schon ganz genau bescheid wissen und kann nicht einfach mittendrin einsteigen. Dafür wird hier viel zu episodenübergreifend erzählt; die Handlung bricht meist am Episodenenede einfach ab und wird in der nächsten Folge wieder aufgenommen. Zudem geht die Handlung manchmal ziemlich langsam voran. Oder wirkt das nur aufgrund des Stils und des Schauspiels so? Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass die von den Regisseuren am meisten gegebene Regieanweisung „Noch langsamer!“ gewesen sein muss. Das soll kein Kritikpunkt sein, das Langsame, Traumartige ist ganz einfach Teil des „Hannibal“-Stils. Es schlägt sich auch im Schauspiel nieder. Ganz besonders Gillian Anderson spricht ihre Dialoge so, als sei sie die ganze Zeit auf Drogen (zugegeben: das ist ihre Figur vielleicht wirklich). Noch besser fand ich in dieser Staffel nur Richard „Thorin“ Armitage als von Zweifeln und Selbsthass geplagten Serienmörder Francis Dolarhyde. In seiner ersten Folge hatte er glaube ich keine einzige Dialogzeile! Teilweise wirkt das, als würde man ihm bei einer Schauspielübung zusehen, weil man derartige Darstellungen aus Film und Fernsehen einfach kaum gewohnt ist. In welcher anderen Serie bekommen Schauspieler schon die Gelegenheit, so körperbetont und fast wie in einem Stummfilm zu spielen?

Will GrahamDas Ergebnis dieser eigenwilligen Mixtur hat leider wohl viele Zuschauer befremdet. Die zweite Hälfte der Staffel ist zwar weniger experimentell als die erste, doch zu diesem Zeitpunkt dürfte schon ein Teil des Publikums verloren gewesen sein, was ich sehr, sehr schade finde. Ich hätte so gerne noch gesehen, wie Bryan Fuller „Das Schweigen der Lämmer“ (sofern er die Rechte bekommen hätte) und weitere Elemente der anderen Romane adaptiert. Das Ende der Staffel fand ich jedenfalls sehr gekonnt geschrieben und inszeniert. Ich hatte mich schon gefragt, ob Hannibal Lecter für den Rest der Serie in Gefangenschaft bleiben soll. Doch seine Flucht, bei der Dolarhyde nachgeholfen hat, war tatsächlich glaubwürdig, der anschließende Kampf Wills und Hannibals gegen Dolarhye nerven- und das Ende herzzerreißend. Hannibal Lecter stürzt sich mit Will Graham von der Klippe – Dr Lecter liebt eben nicht nur Menschenleber und guten Wein, sondern auch das große Drama.

Falls das also wirklich das Ende sein sollte und „Hannibal“ keine Fortsetzung bei einem Streamingdienst oder in Form eines Kinofilms vergönnt ist, dann bleibt neben einer großartig inszenierten Serie mit grandiosen Schauspielleistungen auf jeden Fall eines der tragischsten Liebespaare der Fernsehgeschichte: Will Graham und Dr Hannibal Lecter. Zur Verdeutlichung hier ein paar Zitate: „I’ve never known myself as well as I know myself when I’m with him“, sagt Will über Hannibal. Und als sie sich ein paar Folgen später gegenüber stehen: „You and I have begun to blur. (…) We’re conjoined. I’m curious whether either of us can survive separation.“ Die vorletzte Episode enthält dann schließlich die Abwandlung eines meiner Lieblingszitate aus „Hannibal“ (dem Buch und Film). Will fragt Bedelia Du Maurier (Gillian Anderson): „Is Hannibal in love with me?“, und sie antwortet: „Could he daily feel a stab of hunger for you and find nourishment at the very sight of you? Yes. But do you ache for him?“

Mit „Hannibal“ ist es den Autoren und Schauspielern gelungen, dem Mythos um Hannibal Lecter eine weitere Facette hinzu zu fügen. Fanden wir den intelektuellen Kannibalen auch bisher aufgrund seiner Widersprüche schon faszinierend, so haben wir hier auch seine menschliche, weiche und emotionale Seite kennen gelernt. Noch mehr als früher wünschen wir Hannibal, dass er ungeschoren davon kommt, nicht geschnappt wird und in Freiheit leben und speisen darf bis an sein Lebensende – nur eben nun zusammen mit seiner großen Liebe Will Graham.

Die dritte Staffel von „Hannibal“ ist auf DVD und Blu-ray erhältilch. Als Bonusmaterial sind nicht nur zahlreiche interessante Audiokommentare enhalten, sondern auch eine zweistündige und damit sehr umfangreiche Making of-Dokumentation.

Copyright Bilder: Studiocanal

Hannibal – Season 1

Hannibal Lecter war schon immer eine faszinierende Figur. Gebildeter Akademiker, begabter Koch, Genussmensch – und gleichzeitig brutaler Serienmörder und Kannibale. Gerade diese Kombination macht den von Thomas Harris für seinen Roman „Roter Drache“ erdachten Charakter für viele Leser so interessant. In Michael Manns „Blutmond“ („Manhunter“), der ersten Verfilmung dieses Romans, war Lecter 1986 zum ersten Mal im Kino zu sehen, damals noch gespielt von Brian Cox. Aber erst die Verkörperung Lecters durch Anthony Hopkins fünf Jahre später in Jonathan Demmes Verfilmung des zweiten Lecter-Buches „Das Schweigen der Lämmer“ machte den Namen Hannibal Lecter zum weltweit bekannten Synonym für das Böse schlechthin und Hannibal Lecter zu einem der bekanntesten Filmbösewichte überhaupt.

1999 veröffentlichte Harris mit „Hannibal“ sein drittes Lecter-Buch. Kurz bevor Ridley Scotts Verfilmung des Romans zwei Jahre später in die Kinos kam, tauchte auch ich erstmals in die Welt von Hannibal Lecter ein; ich las die Romane, sah mir danach die beiden Filme an und war damals vor allem ein großer Fan von „Hannibal“. Die Special Limited Edition des Films mit den beiden blutroten (!) DVDs ist ein tolles Sammlerstück, das ich nie wieder hergeben möchte. 2002 kam schließlich die zweite Verfilmung von „Roter Drache“ ins Kino, die angesichts der Tatsache, dass Brett Ratner als Regisseur dahinter stand, überraschend gut war. Damit war die Kino-Trilogie mit Anthony Hopkins als Lecter komplett.

2006 folgte schließlich mit „Hannibal Rising“ noch ein weiterer Roman von Thomas Harris, in dem er Lecters Vorgeschichte erzählte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich allerdings das Interesse am Lecterversum wieder verloren, sicherlich auch deshalb, weil die dazugehörige Verfilmung von Lecters Jugendjahren von der Kritik zerrissen wurde (ich habe den Film bis heute noch nicht gesehen und auch das Buch nicht gelesen).

Als ich dann aber irgendwann im letzten Jahr davon las, dass es eine Hannibal-Fernsehserie mit Mads Mikkelsen in der Titelrolle geben würde, erwachte mein Interesse für die Figur und das Thema wieder. Hannibal Lecter ist zwar einerseits scheinbar untrennbar mit der Darstellung, Präsenz und Stimme von Anthony Hopkins verbunden, andererseits aber machte für mich die Nachricht, dass Mads Mikkelsen nun Hannibal Lecter spielen würde, irgendwie sofort Sinn. Das schien eine perfekte Castingentscheidung zu sein – und war es auch, wie ich nun bestätigen kann.

In den letzten Wochen habe ich mir alle 13 Episoden der ersten Staffel von „Hannibal“ angeschaut. Die Serie heißt zwar „Hannibal“, basiert aber (bislang) auf dem Buch „Roter Drache“. Die Handlung dieser ersten 13 Folgen hat allerdings noch nichts mit dem Roman zu tun, es wurden lediglich die Charaktere des Buches übernommen und eine größtenteils neue Geschichte erzählt. Auch wenn es dem Titel nach um Hannibal geht, steht er hier keineswegs allein im Vordergrund. Die eigentliche Hauptfigur ist der junge FBI-Profiler Will Graham (Hugh Dancy), der sich im Lauf dieser ersten Staffel mit Dr. Lecter anfreundet.

Bewusst zeigen die Autoren Hannibal Lecter nicht schon zu Beginn als das, von dem wir alle wissen, dass er es ist: als Serienmörder. Seine Identität als grausamer Killer wird lange nur angedeutet und auch später nur ganz kurz gezeigt. Da die Figur Lecters eine so bekannte ist, wird seinem Gegenüber Will Graham zunächst viel mehr Aufmerksamkeit zuteil, denn schließlich ist diese Figur dem Publikum längst nicht so gut bekannt wie Lecter. Lecter ist auch in der Serie ein wahnsinnig charmanter, intelligenter und eleganter Mann, von dem man sich gerne bekochen lassen würde und mit dem man anregende Gespräche führen möchte. Diese fast schon aristokratische Seite an Lecter vermittelt Mikkelsen sehr gut; gleichzeitig gibt er ihm aber auch von Beginn an den Schatten des Dunklen und Mysteriösen – oder sind das nur die Erwartungen, die der Zuschauer automatisch auf die Figur projiziert? Wie auch immer, Mikkelsen erweist sich jedenfalls als ideale Besetzung.

Will Graham ist jedoch wie erwähnt die Figur, die zunächst stärker ausgearbeitet wird. Der junge FBI-Agent verfügt über eine Begabung, die zugleich sein Fluch sein wird. Dank seiner hoch ausgeprägten empathischen Fähigkeiten fällt es ihm extrem leicht, sich in die Täter hineinzuversetzen, die all die schrecklichen Morde begangen haben, bei deren Aufklärung er dem Team von Jack Crawford (Laurence Fishburne) behilflich sein soll. Genau dies wird über die 13 Folgen hinweg aber immer mehr zum Problem. „There’s nothing he can’t understand and that terrifies him“, fasst Lecter an einer Stelle Wills zentrales Problem zusammen. Will kann sich tatsächlich in jeden Mörder hineinversetzen, jeden Tathergang nachvollziehen und bis in die Details hinein nicht nur rekonstruieren, sondern nacherleben. Auf diese Weise schafft er es, vollkommen die Perspektive des Mörders einzunehmen, ja er wird dabei gewissermaßen jeweils zu dem Täter, dessen Tat er aufzuklären helfen soll. Will erlebt die Morde so intensiv, als wäre er selbst dabei gewesen, als hätte er sie selbst begangen. Das führt dazu, dass ihn die Bilder dieser Taten immer mehr verfolgen und er sich immer weniger von den Morden distanzieren kann. Schließlich kommt er an einen Punkt, an dem er sich nicht mehr sicher ist, ob er nicht selbst zum Mörder geworden ist. An dieser Stelle scheint der Grat zwischen Genie und Wahnsinn ein sehr schmaler zu sein.

Hugh Dancy spielt dieses graduelle Verrücktwerden Grahams wirklich fantastisch. Ist er anfangs lediglich verwirrt und unsicher, schlägt diese Verwirrtheit schließlich immer mehr in Angst und Verzweiflung um bis Will sich schließlich nicht mehr sicher sein kann, was noch Realität ist und was nicht. All das bringt Dancy in seinem nuancierten Schauspiel wirklich sehr gut zum Ausdruck, als Zuschauer leidet man zeitweise förmlich mit ihm.

Die dritte, aber kleinste Hauptrolle in diesem fantastischen Cast hat Laurence Fishburne als Direktor der Behavioral Analysis Unit des FBI. Fishburne hat es anscheinend akzeptiert, dass er hier nicht im Vordergrund steht und einmal mehr den Mentor-Typen à la Morpheus („Matrix“) spielt. Das macht er aber erwartungsgemäß routiniert und überzeugend. Crawford ist es auch, der Lecter und Graham miteinander bekannt macht: Er holt Dr. Lecter ins Team, um Will Graham zu helfen, besser mit den schrecklichen Morden zurecht zu kommen. Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellen wird – nicht nur deswegen, weil Lecter einer der Serienmörder ist, nach denen das FBI sucht (auch wenn Lecters zweite Identität natürlich noch niemandem bekannt ist). Neben Lecter, Graham und Crawford tauchen noch weitere aus dem Buch bekannte Charaktere in der Serie auf: Dr. Chilton, der Direktor des Baltimore State Hospitals for the Criminally Insane (wo in „Das Schweigen der Lämmer“ die erste Begegnung zwischen Clarice Starling und Lecter stattfindet) wird hier von Raúl Esparza gespielt, der zwar überhaupt keine Ähnlichkeit mit Anthony Heald hat, dem Darsteller der Figur in „Das Schweigen der Lämmer“ und „Roter Drache“, sie aber dennoch genauso schmierig und unsympathisch anlegt. Schade, dass er bis jetzt nur in drei Folgen vorkam! Aus dem Klatschreporter Freddy Lounds wurde für die Serie eine Frau, Fredricka „Freddie“ Lounds (Lara Jean Chorostecki). Und wie es sich heute gehört, schreibt sie auch nicht für ein lokales Käseblatt, sondern für eine Klatschwebsite, die über spektakuläre Kriminalfälle berichtet. Es ist schon lange her, seit ich „Roter Drache“ gelesen habe, aber ich habe das Gefühl, dass Will Graham hier die Figur ist, die am stärksten ausgebaut wurde (Bryan Fuller hat allerdings in einem Interview erzählt, dass diese Komplexität Wills bereits in den Büchern vorhanden war und lediglich nicht in die bisherigen Verfilmungen übernommen wurde).

Sehr gut gefallen hat mir Hannibal Lecters Psychotherapeutin, Dr. Bedelia Du Maurier. Richtig gelesen, der Psychoanalytiker Dr. Lecter sucht in der Serie selbst reglemäßig eine Therapeutin auf. Sie wird gespielt von der großartigen Gillian Anderson (ich bin ein Fan von ihr, obwohl ich in meinem ganzen Leben bislang nur etwa 1,5 Folgen von „Akte X“ gesehen habe; ich mag ihre Ausstrahlung einfach unglaublich gerne). Interessant an Lecters Beziehung zu Dr. Du Maurier ist vor allem die Frage, wie viel sie über ihren Patienten und seine mörderischen und kannibalischen Neigungen weiß. In dieser Richtung hat die Serie bislang lediglich ein paar Andeutungen gemacht.

— Spoilerwarnung: Die folgenden drei Absätze enthalten Spoiler zum Ende der ersten Staffel. Ich bleibe zwar vage und verrate keine Details, aber wer sich die Spannung nicht nehmen lassen möchte, sollte die kommenden drei Absätze lieber überspringen! —

Der Kern der Serie ist bislang eindeutig die Beziehung zwischen Will Graham und Dr. Hannibal Lecter. Lecter erkennt sich selbst in dem jungen, begabten FBI-Agenten wieder und ich glaube, er sorgt sich wirklich um ihn und möchte ihm helfen. Gleichzeitig möchte Lecter natürlich seine „Nebentätigkeit“ als Serienmörder geheim halten und genau dieser Drang ist der entscheidende Punkt, an dem seine Freundschaft und Fürsorge zu Will schließlich endet. Als er nämlich die Möglichkeit sieht, Wills Zustand auszunutzen, um ihm jene Morde anzuhängen, die er selbst begangen hat, nutzt er sie sofort. Er fördert Wills Krankheit ja sogar noch, anstatt sie zu heilen und an diesem Punkt ist er dann leider doch kein Freund für Will mehr, sondern sein böses Spiegelbild. Dass Lecter hier der eigentliche Feind ist, hat außer Will am Ende der Staffel noch niemand begriffen und auch Will kommt leider zu spät hinter Lecters Geheimnis. Die letzten Folgen der Staffel sind von der Frage geprägt, ob Hannibal Lecter enttarnt wird und wie er das dann verhindert, ist wirklich toll geschrieben und wurde schon die ganze Staffel über angelegt.

Dass das Ganze dann in einer Spiegelung der klassichen Situation aus „Das Schweigen der Lämmer“ und „Roter Drache“ endet, gefällt mir sehr gut. Viele werden das sicher dämlich finden, ich aber finde es vor allem interessant, dass nach „Star Trek Into Darkness“ hier nun ein weiteres Mal im popkulturellen Bewusstsein fest verankerte Charaktere und Situationen einem Update unterzogen werden, indem das bekannte Szenario einfach „umgedreht“ wird. Die grundlegenden Eigenschaften der Figuren bleiben in beiden Fällen die gleichen, aber die Positionen der Figuren in der Erzählung werden vertauscht.

Das Ende ist dann in diesem Fall ein äußerst tragisches: natürlich für Will, aber auch für Jack Crawford (der diese Tragik nur noch nicht sehen kann). Crawford hat ja Lecter in Wills Leben gebracht, aus genau dem Grund, um Wills psychische Gesundheit zu erhalten. Stattdessen hat Lecter Will einfach benutzt und das genaue Gegenteil erzielt. Crawford bleibt dabei bis zum Schluss vollkommen ahnungslos. Lecter hat fast alle hinters Licht geführt.

— Spoiler Ende —

Neben der Tatsache, dass „Hannibal“ in allen Bereichen erstklassige Unterhaltung bietet, finde ich an der Serie vor allem interessant, dass man sie in eine Reihe mit einigen anderen aktuellen Serien stellen kann, die ihr in der Ausgangssituation ähnlich sind. Hannibal Lecter ist ein Serienmörder, was aber zu Beginn der Serie keiner der anderen Protagonisten weiß. Allein daraus entsteht ja schon ein Spannungsverhältnis, denn wenn die Figuren hier eine Entwicklung durchmachen sollen, muss Lecters Geheimnis früher oder später ans Licht kommen. Wann und wie also werden Crawford, Graham und die anderen herausfinden, dass Lecter ein Mörder und Kannibale ist? Wird Lecter einen Fehler machen und sich unabsichtlich selbst verraten? Erzählerisch bewegen sich die Autoren hier auf einem schmalen Grat: Denn einerseits möchte man als Zuschauer ja, dass die anderen Lecter auf die Schliche kommen, andererseits möchte man aber auch, dass er möglichst lange ungeschoren davonkommt. Eine ähnliche Konstellation findet man in „Dexter“ – auch dort ist die Hauptfigur ein Serienmörder, auch dort weiß zu Beginn der Serie noch niemand etwas davon. Und auch dort sympathisiert man mit der Hauptfigur, fragt sich aber gleichzeitig ständig, wie die Serie weitergehen würde und sich die Beziehung Dexters zu den anderen Protagonisten verändern würde, wenn einer oder mehrere von ihnen hinter sein Geheimnis kämen. Ähnliches gilt auch für „Breaking Bad“; Walter White begibt sich hier im Lauf der Serie auf einen Pfad, der ihn vom Status eines rechtschaffenen Bürgers in immer tiefere kriminelle und moralische Abgründe führt. Die Gründe für seine Verbrechen sind zwar andere als bei Hannibal oder Dexter, doch auch hier fiebert man mit der Hauptfigur mit und möchte manchmal geradezu applaudieren, wenn Walter White in seiner Heisenberg-Identität Erfolge feiert indem er zum Beispiel skrupellos seine Gegner und Konkurrenten ausschaltet. Gleichzeitg steht lange Zeit ständig die Frage im Raum, ob Walts Schwager Hank, der bei der Drogenfahndung arbeitet, jemals hinter Walts Geheimnis kommen und ihn verhaften wird.

Weiterhin scheint der Trend in Fernsehserien in den letzten Jahren zu „gestörten, aber sympathischen“ Hauptfiguren zu gehen. Will Graham in „Hannibal“ ist dem FBI dank seiner stark ausgeprägten empathischen Fähigkeiten eine große Hilfe, gleichzeitig zerbricht er aber an den Konsequenzen, die diese Fähigkeiten in ihm auslösen. Auch Sherlock Holmes in „Sherlock“ verfügt über für seine Mitmenschen nicht nachvollziehbare geistige Fähigkeiten, dank derer er zu unglaublichen Denkleistungen in der Lage ist, zugleich hat er aber Defizite im sozialen Umgang mit seinen Mitmenschen. Und auch Dexter ist in seinem Job ein für die Polizei wertvoller Experte, gleichzeitig aber „gestört“ und schleppt einen „dark passenger“, wie er es nennt, mit sich herum, der ihn dazu zwingt, Morde zu begehen.

„Hannibal“ ist eine äußerst faszinierende Serie, die in allen Bereichen – Darsteller, Drehbücher und Storyentwicklung, Setdesign – sehr gute Fernsehunterhaltung bietet. Im nächsten Jahr wird es eine zweite Staffel geben und wenn es nach Bryan Fuller geht, sollen es insgesamt sogar sieben werden. Wie er in dem bereits erwähnten Interview erläutert hat, sollen die ersten drei Staffeln neue Geschichten erzählen, während die Staffeln vier bis sechs auf den Büchern „Roter Drache“, „Das Schweigen der Lämmer“ und „Hannibal“ basieren sollen. Das würde natürlich auch bedeuten, dass bekannte Charaktere wie Clarice Starling, Francis Dolarhyde oder Jame Gumb doch noch in der Serie vorkommen. Die zweite Staffel wird bereits gedreht, die weitere Zukunft der Serie ist aber noch nicht sicher, zumal Fuller sich bisher nur die Rechte an „Roter Drache“ gesichert hat. Ich bin von Fullers Plan wirklich begeistert und wünsche ihm dabei alles Gute (und immer wieder grünes Licht für eine weitere Staffel!). Ganz besonders seine Idee, in der letzten und siebten Staffel schließlich zu erzählen, wie die Geschichte von Hannibal Lecter und Clarice Starling nach dem Ende des Romans „Hannibal“ (das ein anderes ist als das des Films) weitergeht, finde ich reizvoll. Generell finde ich ja, dass man mehr Romane in Serienform verfilmen sollte (hoffentlich macht das irgendwann einmal jemand mit den „Harry Potter“-Büchern!). „Hannibal“ ist jedenfall eine weitere Serie, die nun für mich zur Pflicht geworden ist und die ich in ihrer Gänze anschauen möchte. Ich freue mich schon auf die zweite Staffel.