— Der folgende Text enthält Spoiler! Ich bespreche hier die ersten sieben Folgen der zweiten Staffel von Alias. Weiterlesen sollte nur, wer die Serie schon mindestens bis zu diesem Punkt angeschaut hat. Außerdem habe ich noch einen Spoiler zu „Dexter“ unterbringen müssen. Wer diese großartige Serie allerdings mindestens bis zum Ende ihrer sechsten Staffal gesehen hat, hat nichts zu befürchten. —
Seit ein paar Wochen ist es richtig heiß draußen. Und nicht nur dort, sondern auch in meiner Wohnung. Wirklich Lust dazu, mich vor den Fernseher zu setzen, um Filme und Serien anzuschauen habe ich daher zurzeit nicht. Draußen ist es eh viel schöner und abends wird es da ja eigentlich erst erträglich. Der Turm aus DVDs und Blu-rays, die noch angesehen werden wollen, wird deshalb nur sehr langsam kleiner. Nachdem ich mich durch die fünfte (und letzte) Staffel von Fringe gearbeitet habe (schön war’s), habe ich mir anschließend die fünfte Staffel von „True Blood“ vorgenommen (aber mir dabei überhaupt keine Notizen gemacht, deswegen kann ich nix dazu schreiben; vielleicht kommt nächstes Jahr ein Blogpost zu „True Blood“, wenn ich die sechste Staffel gesehen habe – Staffel Nr. 5 war jedenfalls wieder deutlich besser als Nr. 4). Inzwischen bin ich wieder bei „Alias“. Die erste Staffel der Serie mit Jennifer Garner habe ich vor ein paar Monaten gesehen und zweimal darüber gebloggt. Süchtig gemacht hat mich die Serie zwar nicht gerade, aber ich will doch wissen, wie es weitergeht und was sich J.J. Abrams & Co. noch so alles an Storywendungen ausgedacht haben. Wie gesagt tue ich mich mit dem regelmäßigen Serienkonsum derzeit etwas schwer, gucke also nicht gleich zehn oder mehr Folgen pro Woche, aber bis zur siebten Episode der Staffel habe ich es schon mal geschafft. Hier also meine Eindrücke soweit.
Gleich zu Beginn der Staffel hat mich schon mal die Mitwirkung von Lena Olin begeistert. Die schwedische Schauspielerin, die ich bisher nur aus Hollywood-Filmen wie „Chocolat“ oder „Mr. Jones“ kannte, spielt hier die KGB-Agentin Irina Derevko, Sidney Bristows Mutter. Unter Vortäuschung einer falschen Identität hatte sie einst die Bekanntschaft von Sidneys Vater Jack (Victor Garber) gemacht, der jahrelang keine Ahnung hatte, dass die Frau, die er unter dem Namen Laura kannte, nicht die war, die sie zu sein vorgab.
Die erste Folge beginnt mit einer hilfreichen Zusammenfassung der Ereignisse der ersten Staffel und insbesondere deren letzter Folge. Während Sidney ihrer Therapeutin bei der CIA die Ereignisse schildert, sehen wir teils Wiederholungen von bereits bekannten Szenen und teils neue Szenen. So werden wir auf den aktuellen Stand der Ereignisse gebracht. Selbst wenn man die erste Staffel gesehen hat, ist das keine schlechte Sache, schließlich erzählt „Alias“ in einem derart hohen Tempo, dass man schon mal einiges durcheinander bringen oder vergessen kann, besonders wenn mehrere Monate zwischen dem Anschauen von zwei Staffeln liegen.
Nach gut einer Viertelstunde ist es dann aber vorbei mit dem „Was bisher geschah“ und die Episode geht direkt zum Briefing für Sidneys nächste Mission über. Sid macht sich auf nach Frankreich und wenn man zu diesem Zeitpunkt schon wieder vergessen haben sollte, was sie dort eigentlich zu tun hat, dann ist das nicht weiter schlimm. Erstens, weil in „Alias“ die Durchführung der Mission das eigentlich Spannende und Unterhalsame ist und zweitens, weil man meistens noch in derselben, spätestens aber zu Beginn der nächsten Episode die Ergebnisse der Mission (und die gewonnenen Erkenntnisse sowie daraus resultierenden Konsequenzen) sowieso noch einmal zusammengefasst bekommt. In dieser Hinsicht ist „Alias“ eine Soap Opera: Die Missionen, auf die Sidney geschickt wird, führen immer zu weiteren Missionen. Jedes gelöste Problem bringt mindestens ein weiteres Problem, eine neue offene Frage mit sich, die nur durch einen weiteren gefährlichen Einsatz von Sidney beantwortet werden kann.
Gleich von der ersten Folge an legt auch die zweite Staffel ein hohes Tempo vor. Nach dem etwa 15minütigen Rückblick folgt wie gesagt Sidneys nächste Mission (die Befreiung Michael Vaughns), dann das Mission Briefing für den nächsten Einsatz und schließlich auch noch die Beerdigung von Arvin Sloans am Ende der ersten Staffel gestorbenen Frau.
Sehr gut gefallen hat mir die Entscheidung der Autoren, zumindest einen von Sidneys engen Freunden bereits nach der ersten Staffel von Sidneys Doppelleben als Agentin und normale Studentin erfahren zu lassen. Eine ähnliche Konstellation wie hier zwischen Sidney und ihrem besten Freund Will (Bradley Cooper) herrscht ja in „Dexter“; die Hauptfigur, also Dexter Morgan (Michael C. Hall), führt ein Doppelleben und muss seine Serienmörder-Identität vor seinen Kollegen und seiner Schwester Debra verbergen. Dass ihm das aber über sechs Staffeln hinweg gelingt, erscheint mit der Zeit immer unglaubwürdiger und seine Enttarnung durch Debra am Ende der sechsten Staffel ist damit überfällig. In „Alias“ hat man die Situation schlauer gelöst: Während Will nun Sidneys Geheimnis kennt, hat Francie (Merrin Dungey) immer noch keine Ahnung vom Agentendasein ihrer besten Freundin. Für die Beziehung zwischen Sidney und Will ergeben sich so neue Entwicklungsmöglichkeiten, während bei Francie das Rätselraten weitergeht, ob und wie sie Sidney jemals auf die Schliche kommen wird.
Unglaubwürdig finde ich allerdings, dass Will überhaupt überlebt hat. SD6 wurde bisher stets äußerst konsequent im Umgang mit Feinden und Mitwissern gezeigt. In der allerersten Folge hat Sloan Sidneys Verlobten umbringen lassen, der über wesentlich weniger Wissen verfügte als Will. Mit der „Zwangstarnung“ Wills als Heroinsüchtigem, der all seine Enthüllungen angeblich unter Drogeneinfluss erfunden hat, wurde dieses Dilemma zwar ganz gut gelöst, wenn man ehrlich ist, hätte Sloan Will aber einfach umbringen lassen müssen. Für die Serie allerdings ist es gut, dass Will weiterlebt (was natürlich auch die Autoren erkannt haben), schließlich ergeben sich dadurch wie erwähnt einige neue Erzählmöglichkeiten.
Als Will in der vierten Folge eine Selbsthifegruppe besucht, hat er mir schon fast leid getan. Der Arme muss den ehemaligen Heroinsüchtigen spielen, obwohl er mit dem Zeug vermutlich nie in Berührung gekommen ist. Als man ihn dort im Kreis all der „echten“ Süchtigen sitzen sieht, bekommt man allerdings den Eindruck, die Gruppe könnte ihm dennoch ganz gut tun. Schließlich hat er nach all den Erfahrungen mit Sidney und Jack und seinen Berührungen mit der Welt der Geheimdienste bestimmt einigen Redebarf (wenn er auch natürlich nicht wirklich offen über all das reden kann). Als er dann auf eine Verschwörungstheoretikerin trifft, die mit ihm in der Selbsthilfegruppe sitzt und davon überzeugt ist, dass die Dinge, die er über SD6 geschrieben hat, der Wahrheit entsprechen und er nur zum Schweigen verdonnert wurde, dachte ich ein paar Minuten, jetzt würde alles wieder von vorne losgehen. Das gleiche Schema wie in der ersten Staffel, aber mit anderer Rollenverteilung: während nun jene Verschwörungstheoretikerin die Rolle einnimmt, die Will früher innehatte, ist er nun derjenige, der (wie früher Sidney) darauf aufpassen muss, dass sie nicht zuviel herausfindet – um ihrer beider Leben willen. Zum Glück war das ganze jedoch nur von SD6 inszeniert und sollte Will testen. Da er weiter darauf beharrt, sich den Inhalt seiner Artikel nur ausgedacht zu haben, hat er den Test bestanden und dieses Handlungselement ist nach nur einer Episode abgehakt. Später bekommt er von Michael Vaughn einen neuen Rechercheauftrag, womit wieder neue Möglichkeiten für Will geschaffen werden, sich die Finger zu verbrennen…
Dann ist da natürlich noch Irina Derevko, die in Hannibal Lecter-Manier von der CIA gefangen gehalten wird. Die von ihr gelieferten Informationen haben zu einigen Erfolgen geführt, so dass Sidney sich nun nicht mehr sicher ist, ob ihre Mutter wirklich ihr Feind ist. Doch Sidneys Vater ist sich ganz sicher, dass Derevko nur ihre eigenen Motive verfolgt und nur deswegen versucht, eine emotionale Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen, um sie besser manipulieren zu können. „She’s someone you’ve idolized for twenty years“, sagt er zu Sidney. Und: „You wanted a mother and here she is“. „I’m not that naive.“, entgegnet ihm Sidney und erklärt: „The difference between you and me is that I am willing to squeeze her for everything she’s got.“ Während Jack also um keinen Preis jemals wieder irgendeine Form der Kooperation mit der Frau eingehen will, die ihn so lange ge- und schließlich maßlos enttäuscht hat, denkt Sidney pragmatischer und möchte das von Derevko zur Verfügung gestellte Wissen nutzen. Doch ist die Situation wirklich so einfach? Kann Sidney ihre Emotionen unter Kontrolle und die Beziehung zu ihrer Mutter trotz all der Manipulationsversuche Derevkos auf einer rein sachlichen Ebene halten? Natürlich nicht…
Als ihm klar wird, dass er Sid nicht davon überzeugen kann, sich von ihrer Mutter fern zu halten, greift Jack zu extremen Mitteln. Er lässt ein Haus auf Madagascar, in dem Sidney auf Derevkos Hinweis hin wichtige Informationen beschaffen soll, mit Sprengstoff ausstatten. Kurz bevor Sidney das Haus betritt, „entdeckt“ Jack den Sprengstoff; das Haus explodiert, aber Sidney kommt gerade noch einmal davon. Da es nun so wirkt, als habe Derevko absichtlich die Existenz des Sprengstoffs verschwiegen (von dem sie gar nichts wusste), hat sie das Vertrauen der CIA verloren. „You were right about her.“, sagt Assistant Director Kendall (Terry O’Quinn) zu Sidney. Diese wiederum entschuldigt sich bei ihrem Vater: „Everything you said was right. I’m sorry that I doubted you.“ Nach diesen Worten liegt Sidney wieder in den Armen ihres Vaters, der damit erreicht hat, was er wollte und sich nun mindestens genauso manipulativ gezeigt hat, wie er es von Derevko behauptet hat. Worum es hier eigentlich zu gehen scheint, ist der Kampf eines geschiedenen Paares um die Zuneigung der gemeinsamen Tochter. Scheidungsfamilien gehören ja zum Standardrepertoire in Spielberg-Filmen und so erscheint es nur passend, dass mit J.J. Abrams auch der Spielberg der nächsten Generation dieses Thema aufgreift (wie zum Beispiel auch in „Super 8“).
Es dauert natürlich nicht lange, bis Sidney erfährt, dass ihr Vater sie getäuscht hat und dass er sie sogar von Kindebeinen an zur Geheimagentin hat ausbilden lassen, was Jack wiederum vor Derevko geheim halten wollte. Nun kommt es wieder zum Bruch zwischen ihm und Sidney; auch das ist ein typisches Element vieler Fernsehserien (ganz besonders, aber nicht nur von Soap Operas): kaum herrscht in einer Beziehung endlich wieder so etwas wie Harmonie, schon tut sich der nächste Abgrund auf und stört die Ruhe. Und Sidney rennt von Jacks Armen direkt in die Arme von Michael Vaughn, dem Mann der nichts so gut beherrscht wie einen sorgenvollen Gesichtsausdruck.
Vaughn (Michael Vartan) wiederum hat, wie sich in der siebten Folge herausstellt, doch noch eine Freundin, die gerade dann auftaucht, als Sid kurz davor ist, ihr Leben für Vaughn zu riskieren. Die ganze Episode dreht sich hauptsächlich um die Beziehung zwsichen Sidney und Vaughn und darum, was die beiden für einander empfinden und bereit zu tun sind. Sidney handelt schließlich gegen ihre Befehle, um Vaughn zu retten und verspricht, SD6-Direktor Arvin Sloan (Ron Rifkin) an Julian Sark auszuliefern. Ganz sicher scheint sie sich ihrer Sache dabei nicht zu sein, obwohl sie Sloan natürlich abgrundtief hasst.
Die Information über das rettende Gegengift hat Derevko jedenfalls nur deswegen zur Verfügung gestellt, weil sie weiß, dass Sidney sehr, sehr viel an Vaughn liegt. Derevko formuliert es am Ende der Folge selbst sehr schön: Letztendlich dreht es sich hier nur um die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau (Sidney & Michael Vaughn). Und wie Vaughn so schön sagt, ist seine Beziehung zu Sidney längst nicht mehr nur die eines „Betreuers“ zu einer Doppelagentin. Aber welcher Art ihre Beziehung denn dann ist und was er nun genau für sie fühlt, das spricht er noch nicht aus. Am Ende fasst er doch den Entschluss, es zu tun und rennt ihr hinterher – doch sie ist verschwunden. Auch die Geschichte von Sidney und Michael geht also in der nächsten Folge weiter.
Arvin Sloan wiederum macht seine Frau Emily zu schaffen, die er eigentlich für tot hielt. Schließlich hat er sie gerade erst begraben, doch nun mehren sich die Zeichen dafür, dass Emily entweder noch am Leben ist oder jemand anderes ein perfides Spiel mit Sloan treibt. Die anderen Mitglieder der „Alliance“ sähen es natürlich gar nicht gerne, wenn Emily noch am Leben wäre, schließlich war sie hinter das Geheimnis ihres Mannes gekommen und hatte von dessen Position als Direktor von SD6 erfahren. Zudem konnte SD6 in letzter Zeit immer weniger Erfolge verbuchen, was sicherlich auch auf Sidney und Jack zurückzuführen sein dürfte, die im Auftrag der CIA bei den meisten Missionen dazwischen funken. „I need a victory“, sagt der niedergeschlagene Sloan zu Jack.
Dann folgt der Paukenschlag: Sidney liefert Sloan tatsächlich an Sark aus. Sloan ist also tot! Oder? Ich hätte es dieser Serie jedenfalls zugetraut, so etwas durchzuziehen. Allerdings war die Geschichte um Sloans Frau gerade so schön vorbereitet worden und würde vollkommen nutzlos im Sand verlaufen, wenn Sloan plötzlich sterben würde. Aber Sloan ist doch noch am Leben, da Sark ihm ein unerwartetes, aber nicht unlogisches Angebot macht. Die beiden arbeiten fortan in einer „strategischen Allianz“ zusammen, als Feinde mit gemeinsamen Zielen. Sidneys Gesichtsausdruck, als sie dem totgeglaubten Sloan im Büro plötzlich gegenübersteht, ist herrlich und vielleicht der bisherige Höhepunkt der Serie!
So weit also zu den ersten sieben Folgen der zweiten „Alias“-Staffel. Ich finde die Serie unterhaltsam. Die Schauspieler sind sehr gut, die verschiedenen Missionen äußerst kreativ umgesetzt und bei dem hohen Tempo der Serie wird es eigentlich nie wirklich langweilig. Vollkommen begeistert bin ich von „Alias“ zwar nicht, werde die Serie aber weiter anschauen. Ein schönes Detail übrigens: Auf Marshalls Labortisch liegt in einer Folge ein Eisbär – da musste ich natürlich sofort an „Lost“ denken, zumal hier keine Erklärung für das Dasein des Eisbären abgegeben wird. Fast schon zum Running Gag entwickelt sich außerdem der Satz „I’ll buy time for you/us with Sloan.“, den Jack so oder ähnlich jedesmal äußert, wenn Sidney sich mal wieder auf eine CIA-Mission begibt und Jack ihre Abwesenheit bei SD6 irgendwie erklären muss. Sidney Bristows Tage müssen ja sowieso 36 Stunden haben, schließlich arbeitet sie als Geheimagentin für zwei Organisationen und studiert nebenbei auch noch (wovon man in der zweiten Staffel bislang allerdings nichts mitbekommen hat).
Ich freue mich jedenfalls auf Sidneys nächste Missionen. Die laufen zwar immer nach dem gleichen Schema ab – unerkannt eindringen, enttarnt werden, kämpfen und/oder flüchten – doch wie ich schon angemerkt habe, sind sie trotzdem sehr unterhaltsam und es geht zudem ja darum, dass das Ergebnis einer jeden Mission wieder der Grund dafür ist, Sidney auf einen weiteren Einsatz zu schicken. Klingt fast so, als wäre „Alias“ ein erzählerisches perpetuum mobile. Da man aber von anderen Serien weiß, dass sich so etwas trotzdem früher oder später tot läuft, bin ich gespannt, was für Tricks Abrams & Co. für die kommenden Folgen und Staffeln noch auf Lager haben.